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Was kann ich euch berichten über... Sextus Roscius?« Erucius spuckte den Namen mit allem Abscheu aus, den er aufbringen konnte, »ln Ameria, seiner Heimatstadt, weiß man über ihn, daß er alles andere als ein frommer Mann ist. Geht nach Ameria, wie ich es getan habe, und fragt die Leute, wann sie Sextus Roscius zum letztenmal bei einer religiösen Feier gesehen habe. Sie werden kaum wissen, von wem ihr sprecht. Doch dann erinnert sie an Sextus Roscius, den Mann, der angeklagt ist, seinen eigenen Vater ermordet zu haben, und sie werden euch einen wissenden Blick zuwerfen und die Augen aus Furcht vor dem Zorn der Götter abwenden.

Sie werden euch berichten, daß Sextus Roscius in vielerlei Hinsicht ein Rätsel ist - ein einsamer Mann, ungesellig, gottlos, rüpelhaft und kurz angebunden im Umgang mit anderen. In der Gemeinde von Ameria ist er einzig und allein aus einem Grund bekannt - oder sollte ich sagen berüchtigt: wegen seiner lebenslangen Fehde mit seinem Vater.

Ein guter Mensch streitet nicht mit seinem Vater. Ein guter Mensch ehrt seinen Vater und gehorcht ihm, nicht nur weil das Gesetz es so verlangt, sondern auch weil es der Wille der Götter ist. Wenn ein schlechter Mensch dieses göttliche Mandat ignoriert und sich offen mit dem Mann streitet, der ihm das Leben geschenkt hat, dann betritt er einen Pfad, der zu allen möglichen unsagbaren Verbrechen führt - ja sogar zu dem Verbrechen, das zu bestrafen wir uns hier alle versammelt haben.

Was war der Grund dieser Feindschaft zwischen Vater und Sohn? Wir wissen es nicht genau, obwohl Titus Roscius Magnus, der Mann, der hier neben mir auf der Bank sitzt, bezeugen kann, daß er viele schmutzige Episoden dieser Fehde mit eigenen Augen gesehen hat, wie im übrigen auch ein weiterer Zeuge, den ich möglicherweise aufrufen werde, nachdem die Verteidigung das Wort hatte, der ehrwürdige Capito. Magnus und Capito sind beide Vettern des Opfers und auch dieses Mannes. Sie sind geachtete Bürger der Gemeinde von Ameria. Sie haben jahrelang voller Trauer und Abscheu mit angesehen, wie Sextus Roscius sich seinem Vater widersetzt und ihn hinter seinem Rücken verflucht hat. Erschüttert beobachteten sie, wie der alte Herr jenem Scheusal, das von seinem eigenen Samen Mensch geworden war, nur um seiner persönlichen Würde willen den Rücken kehrte.

Er kehrte ihm den Rücken, sage ich. Ja, Sextus Roscius pater kehrte Sextus Roscius filius den Rücken, zweifelsohne zu seinem unendlichen Bedauern - denn ein kluger Mann wendet einer Schlange von einem Menschen mit der Seele eines Mörders nicht den Rücken zu, nicht einmal seinem eigenen Sohn, jedenfalls nicht, wenn er kein Messer in den Rücken gestoßen bekommen will!«

Erucius schlug mit der Faust auf die Balustrade der Rostra und starrte mit aufgerissenen Augen über die Köpfe der Menschenmenge hinweg. In dieser Pose verharrte er eine Weile, dann trat er einen Schritt zurück und holte Atem. Nach dem Donner seiner Stimme war es jetzt auf dem Platz eigenartig still. Inzwischen hatte sich Erucius so in Rage geredet, daß sein Gesicht schweißbedeckt war. Er faßte den Saum seiner Toga und tupfte sich über Stirn und Wangen. Er hob den Blick zum Himmel, als suche er Erlösung von der mörderischen Qual, der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen zu müssen. Mit wehleidiger Stimme, gerade laut genug, daß jeder ihn hören konnte, murmelte er: »Jupiter, gib mir die Kraft!« Ich sah, wie Cicero die Arme verschränkte und die Augen verdrehte. Inzwischen hatte Erucius sich wieder gefaßt, trat mit gesenktem Kopf erneut vor und fuhr fort:

»Dieser Mann - warum soll ich mir die Mühe machen, seinen besudelten Namen zu nennen, da er es wagt, sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, auf daß jeder anständige Mann es sehen und entsetzt zurückschrecken kann

- dieser Mann war nicht der einzige Sprößling seines Vaters. Es gab einen zweiten Sohn. Sein Name war Gaius. Wie sehr sein Vater ihn liebte, und warum auch nicht? Nach allem, was man hört, war er ein Beispiel dafür, wie jeder junge Römer sein sollte: gottesfürchtig gegenüber den Göttern, gehorsam gegenüber seinem Vater, ein Ausbund an Tugend, ein in jeder Hinsicht angenehmer, charmanter und kultivierter Mann. Seltsam, daß ein Mann zwei so unterschiedliche Söhne haben konnte! Ah, aber die Söhne hatten verschiedene Mütter. Vielleicht war es also gar nicht der Same, der verdorben war, sondern der Boden, in den er gepflanzt wurde. Bedenkt: Zwei Samen derselben Traube werden in unterschiedliche Böden gepflanzt. Einer wächst zu einem kräftigen und anmutigen Weinstock heran, der süße Früchte trägt, die einen berauschenden Wein hervorbringen. Der andere ist verkümmert und so ganz anders als der erste, knorrig und dornig; seine

Trauben sind bitter, sein Wein ist Gift. Ich nenne den ersten Weinstock Gaius und den anderen Sextus!«

Erucius wischte über sein Gesicht, erschauderte vor Ekel und fuhr fort. »Sextus Roscius pater liebte den einen Sohn und den anderen nicht. Gaius hielt er stets in seiner Nähe, stellte ihn stolz der besten Gesellschaft vor und überhäufte ihn öffentlich mit Güte und Zuneigung. Sextus filius hingegen hielt er sich so weit vom Leibe, wie er nur konnte, verbannte ihn auf die Güter der Familie in Ameria, versteckte ihn, als ob es eine Schande wäre, ihn in Gesellschaft anständiger Menschen zu zeigen. So tief ging diese Teilung seiner Zuneigung, daß Roscius pater lange und ernsthaft darüber nachdachte, seinen gleichnamigen Sohn zu enterben und Gaius zum alleinigen Erben einzusetzen, obwohl jener der jüngere der beiden Söhne war.

Ungerecht, mögt ihr sagen. Es ist besser, wenn ein Mann alle seine Söhne mit gleicher Rücksicht behandelt. Wenn er sich aber einen Liebling erwählt, so fordert er damit die Probleme in seiner und der nachfolgenden Generation geradezu heraus. Wohl wahr, aber in diesem Fall müssen wir, denke ich, das Urteil dem älteren Sextus Roscius überlassen. Warum hat er seinen Erstgeborenen so sehr verachtet? Ich glaube, er muß, besser als jeder andere, die Bösartigkeit gesehen haben, die in der Brust des jungen Sextus Roscius lauerte, und ist vor ihr zurückgeschreckt. Vielleicht hatte er sogar eine Vorahnung von der Gewalt, die sein Sohn eines Tages gegen ihn anwenden würde, und hat ihn deshalb so auf Distanz gehalten. Doch leider hat diese Vorsichtsmaßnahme nicht ausgereicht!

Die Geschichte der Roscier endet in vielfältiger Tragik -eine Serie von Tragödien, die nicht wiedergutzumachen sind, sondern nur gerächt werden können, und zwar von euch, verehrte Richter. An erster Stelle steht der viel zu frühe Tod des Gaius Roscius. Mit ihm starb jede Zukunftshoffnung seines Vaters. Bedenkt: Ist es nicht die größte Freude eines Mannes, einem Sohn das Leben zu schenken und in ihm ein Bild seiner selbst zu sehen? Ich weiß es, denn ich spreche hier selbst als Vater. Und wird es dereinst, wenn wir dieses Leben hinter uns lassen, nicht ein Trost und Segen ein, einen Nachfolger und Erben von eigenem Fleisch und Blut auf Erden zu wissen? Nicht nur irdische Güter zurückzulassen, sondern unsere gesammelte Weisheit, ja die Flamme des Lebens selbst, die vom Vater an den Sohn weitergereicht wird, auf daß er sie seinen Söhnen übergibt, so daß wir, wenn unsere sterbliche Hülle vergeht, gewiß sein können, in unseren Nachfahren weiterzuleben?

Mit dem Tod von Gaius erlosch diese Hoffnung auf Unsterblichkeit in seinem Vater Sextus Roscius. Aber er hatte doch noch einen weiteren, lebendigen Sohn, mögt ihr einwenden. Stimmt, aber in diesem Sohn sah er nicht sein offenes und wahres Ebenbild, wie man es in einem klaren Teich erblickte. Statt dessen sah er nur ein höhnisches Zerrbild seiner selbst, als blicke er in einen zerbeulten Silberteller. Selbst nach Gaius’ Tod erwog Roscius pater noch, seinen einzigen überlebenden Sohn zu enterben. Es gab gewiß zahlreiche andere, würdigere Kandidaten für diese Erbschaft innerhalb der Familie, nicht zuletzt Magnus, der hier neben mir auf der Bank des Anklägers sitzt und der seinen Vetter so sehr liebte, daß er dafür sorgte, daß dieser Mord nicht ungesühnt bleibt.