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Auch als er auf den Diktator zu sprechen kam, scheute er sich nicht, die Wahrheit beim Namen zu nennen; er schien beinahe süffisant zu lächeln. »Ich bin der festen Überzeugung, ihr Richter, daß all dies geschah, ohne daß der ehrenwerte Lucius Sulla davon erfuhr, ja ohne daß er es überhaupt wahrnahm. Schließlich bewegt er sich in völlig anderen Sphären; nationale Angelegenheiten von höchster Wichtigkeit beanspruchen seine Aufmerksamkeit, er ist beschäftigt damit, die Wunden der Vergangenheit zu heilen und zukünftige Bedrohungen abzuwehren. Alle Augen ruhen auf ihm; alle Macht liegt in seinen festen Händen. Frieden zu schaffen oder Kriege zu führen - er allein hat die Wahl und die Mittel. Bedenkt die Schar der kleinen Schurken, die einen solchen Mann umgeben, ihn beobachten und auf jene Gelegenheiten lauern, zu denen seine Konzentration voll und ganz von anderen Dingen in Anspruch genommen ist, so daß sie in die Lücke stoßen und die Gunst des Augenblicks nutzen können. Sulla, der von Fortuna Begünstigte, das ist er fürwahr, aber, beim Herkules, es gibt niemanden, den Fortuna so sehr liebt, daß sich in seinem riesigen Haus nicht irgendein unehrlicher Sklave, oder schlimmer noch, ein gerissener und skrupelloser Ex-Sklave verbergen könnte.«

Er warf einen Blick auf seine Notizen und fuhr dann fort, jeden Punkt von Erucius’ Rede zu widerlegen und in seiner Banalität lächerlich zu machen. Auf Erucius’ Argument, daß Sextus Roscius’ Verpflichtungen auf dem Lande ein Zeichen der Mißstimmung zwischen Vater und Sohn gewesen seien, entgegnete er mit einem langen Exkurs über den Wert und die Ehre des ländlichen Lebens - ein Thema, mit dem man bei den verstädterten Römern immer auf offene Ohren stieß. Er protestierte dagegen, daß die Sklaven, die den Mord gesehen hatten, vor Gericht nicht als Zeugen aufgerufen werden konnten, weil ihr neuer Besitzer - Magnus, der sie zur Zeit im Haus des Chrysogonus versteckt hielt - seine Erlaubnis verweigerte.

Er verweilte bei der Abscheulichkeit des Vatermordes, eines Verbrechens, das so schwerwiegend war, daß eine Verurteilung einen eindeutigen Schuldbeweis verlangte. »Fast möchte ich sagen, die Richter müssen die vom Blute des Vaters bespritzten Hände sehen, wenn sie eine so schlimme, so rohe, so abstoßende Tat glauben sollen!« Er beschrieb die uralte Strafe für Vatermörder, was beim Publikum eine Mischung aus Faszination und Entsetzen hervorrief.

Seine Rede war so erschöpfend und lang, daß die Richter auf ihren Stühlen hin und her zu rutschen begannen, und zwar längst nicht mehr, weil die Erwähnung von Sullas Namen sie beunruhigte, sondern aus schierer Ungeduld. Ciceros Stimme wurde heiser, obwohl er gelegentlich an einem Glas Wasser nippte, das unter dem Rednerpult verborgen war. Ich fing an zu glauben, er wolle Zeit schinden, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, warum.

Tiro hatte die Bank der Verteidigung vor geraumer Zeit verlassen - um sich zu erleichtern, wie ich vermutete, weil ich ein immer dringenderes Bedürfnis verspürte, dasselbe zu tun. In diesem Moment kam Tiro flink an der Tribüne vorbeigehumpelt und nahm, auf seine Krücke gestützt, wieder auf der Bank Platz. Von der Spitze der Rostra blickte Cicero herab und zog eine Braue hoch. Sie tauschten irgendein Zeichen aus und lächelten dann beide.

Cicero räusperte sich und nahm einen großen Schluck Wasser. Er atmete tief ein und schloß einen Moment lang die Augen. »Und nun, werte Richter, kommen wir zum Fall eines ganz bestimmten Schurken und Ex-Sklaven, von Geburt Ägypter und von Natur aus unendlich habgierig - aber seht, da kommt er mit einem prächtigen Gefolge aus seiner Luxusvilla auf dem Palatin, wo er in der Nachbarschaft von Senatoren und den altehrwürdigsten Familien der Republik in verschwenderischem Überfluß lebt.«

Von Erucius alarmiert, war Chrysogonus endlich eingetroffen.

Seine Leibwächter machten kurzen Prozeß bei der Räumung der letzten Reihe der Tribüne, wo einige wenige glückliche Zuschauer aus der Menge die von weniger bedeutenden Adligen freigelassenen Plätze besetzt hatten. Köpfe wandten sich um, und ein Raunen ging über den Platz, als Chrysogonus zur Mitte der Bank schritt und sich setzte. Er war von so viel Gefolgsleuten umgeben, daß einige in den Gängen stehenbleiben mußten.

Auch ich drehte mich wie alle anderen um, um einen Blick auf die sagenumwobenen goldenen Locken, die hohe Alexanderstirn und das breite, kräftige Kinn zu erhaschen, das heute wie versteinert wirkte. Ich wandte mich wieder zu Cicero um, der sich auch körperlich für seine Attacke zu wappnen schien. Er hatte seine schmächtigen Schultern hochgezogen und den Kopf gesenkt wie eine angreifende Ziege.

»Ich habe einige Erkundigungen eingeholt über diesen Ex-Sklaven«, sagte er. »Wie ich herausgefunden habe, ist er sehr wohlhabend und schämt sich nicht, seinen Reichtum auch zu zeigen. Neben seinem Haus auf dem Palatin hat er einen prachtvollen Landsitz und mehrere Güter, die alle auf ausgezeichnetem Boden und in der Nähe der Stadt liegen. Sein Haus ist vollgestopft mit korinthischen und delischen Gold-, Silber- und Kupfergefäßen sowie einem mechanischen Kochgefäß, das er neulich auf einer Auktion für einen so hohen Preis erworben hat, daß Passanten, die im Vorbeigehen sein letztes Gebot hörten, glaubten, man verkaufe ein größeres Stück Land. Der Gesamtwert seines ziselierten Silbers, der bestickten Decken, Gemälde und Marmorstatuen läßt sich kaum schätzen - es sei denn, man addierte sämtliche Beutestücke, die in zahlreichen vornehmen Familien geraubt und in einem Haus aufgehäuft werden könnten!

Und das ist nur sein stummer Besitz. Was ist mit dem sprechenden Personal? Zusammen bilden sie einen riesigen Hausstand aus Sklaven mit den verschiedenartigsten Fertigkeiten und natürlichen Talenten. Die gemeinen Berufe muß ich kaum nennen - Köche, Bäcker, Schneider, Sänftenträger, Schreiner, Teppichmacher, Polsterer, Stubenmädchen, Putzfrauen, Maler, Fußbodenpolierer, Spülfrauen, Mädchen für alles, Stalljungen, Dachdecker und Ärzte. Um Herz und Ohren zu erfreuen, hält er sich eine solche Schar von Musikern, daß die ganze Nachbarschaft vom Klang der Stimmen, Saiten, Trommeln und Flöten widerhallt. Und nachts hört man den Lärm seiner Gelage - Akrobaten treten auf, und Poeten deklamieren anzügliche Verse zu seiner Erbauung. Könnt ihr euch die täglichen Aufwendungen für einen derartigen Lebensstil vorstellen, ihr Richter? Die

Kosten für seine Garderobe? Den Etat für seine ausschweifende Unterhaltung und das reichhaltige Essen? Man sollte seine Behausung eigentlich gar nicht Haus nennen, sondern vielmehr eine Brutstätte der Liederlichkeit und eine Herberge aller Laster. Das gesamte Vermögen eines Sextus Roscius würde kaum einen Monat reichen!

Schaut euch den Mann an, werte Richter - dreht euch um und seht ihn euch an! Wie er mit seinem wohlfrisierten und pomadisierten Haar überall auf dem Forum herumstolziert mit seinem Gefolge aus römischen Bürgern, die ihre Toga entweihen und sich in der Gefolgschaft eines Ex-Sklaven zeigen! Seht, wie er auf alle herabblickt und sich für absolut einzigartig hält, wie er sich aufbläst, als sei allein er reich und mächtig.«

Ich sah mich über die Schulter um. Jeder, der Chrysogonus in diesem Moment möglicherweise zum erstenmal sah, hätte ihn nie und nimmer für einen gutaussehenden Mann gehalten. Sein Gesicht war so rot und aufgequollen, als stünde er am Rand eines Schlaganfalls. Seine Augen drohten aus ihren Höhlen zu platzen. Ich hatte noch nie soviel angestaute Wut in einem so starren Körper gesehen. Wenn er buchstäblich explodiert wäre, es hätte mich nicht gewundert.

Auch Cicero konnte von der Rostra aus deutlich die Wirkung erkennen, die seine Worte zeitigten, und er fuhr ohne Pause fort. Auch seine Wangen waren vor Aufregung gerötet. Er redete schneller, bewahrte jedoch die vollständige Kontrolle über sich, ohne sich auch nur einmal zu versprechen oder um ein Wort verlegen zu sein.

»Ich fürchte, meine Anwürfe gegen diese Kreatur könnte mancher von euch mißverstehen, könnte glauben, ich wolle die Sache des Adels oder ihres Helden Sulla angreifen, die sich in den Bürgerkriegen als siegreich erwiesen hat. Dem ist nicht so. Diejenigen, die mich kennen, wissen, daß ich mir während der Kriege Frieden und Versöhnung gewünscht habe, da eine Versöhnung aber unmöglich war, ging der Sieg an die rechtschaffenere Seite. Das ist durch das Wohlwollen der Götter, durch den Einsatz des römischen Volkes und natürlich durch die Weisheit, die Befehlsgewalt und das Glück von Lucius Sulla vollbracht worden. Es ist nicht an mir, die Belohnung der Sieger und die Bestrafung der Besiegten in Frage zu stellen. Aber ich kann nicht glauben, daß der Adel zu den Waffen gegriffen hat, nur damit seine Sklaven und Ex-Sklaven sich an unserem Vermögen und Besitz bereichern können.«