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Ich hielt es nicht länger aus. Meine Blase drohte ebenso bald zu platzen wie Chrysogonus’ aufgeblähte Wangen.

Ich erhob mich von meinem Platz und drängte mich seitlich an ein paar Adligen vorbei, die mich der Störung wegen anknurrten und hochnäsig den Saum ihrer Toga rafften, als ob die bloße Berührung durch meinen Fuß den Stoff beflecken würde. Während ich mich durch den überfüllten Gang zwischen der Richterbank und der Tribüne zwängte, warf ich einen Blick auf den Platz und empfand die eigenartige Losgelöstheit eines anonymen Zuschauers, der das Auge des Sturms verläßt - Cicero gestikulierte leidenschaftlich, die Menge verfolgte angespannt jede seiner Bewegungen, Erucius und Magnus bissen die Zähne aufeinander. Zufällig sah Tiro zu mir herüber. Er lächelte und sah dann auf einmal zutiefst beunruhigt aus. Er winkte mich krampfhaft zu sich herüber. Ich lächelte und machte eine abwehrende Handbewegung. Er gestikulierte noch heftiger und machte Anstalten, von seinem Platz aufzustehen. Ich wandte ihm den Rücken zu und eilte weiter. Wenn er mich zu einer letzten eiligen Besprechung zitieren wollte, mußte das Zeit haben, bis ich dringlichere Geschäfte erledigt hatte. Erst später wurde mir klar, daß er mich vor der Gefahr in meinem Rücken hatte warnen wollen.

Am Ende der Tribüne kam ich an Chrysogonus und seiner Gefolgschaft vorbei. In jenem Moment bildete ich mir unwillkürlich ein, die Hitze spüren zu können, die sein blutrotes Antlitz ausstrahlte.

Ich bahnte mir einen Weg durch die Schar der Bediensteten und Sklaven, die den Raum hinter der Tribüne füllten. Die dahinter liegende Straße war menschenleer. Einige Zuschauer, denen es an Bürgerstolz mangelte, hatten ihre Notdurft in der nächstbesten Gosse verrichtet und einen stechenden Uringestank in der Luft hinterlassen, aber meine Blase war nicht so schwach, daß ich es nicht noch bis zur nächsten öffentlichen Latrine ausgehalten hätte. Hinter dem Heiligtum der Venus, direkt oberhalb der Cloaca Maxima, gab es eine schmale Nische mit angeschrägtem Fußboden und Abflüssen an den Wänden, die ausdrücklich für diesen Zweck vorgesehen war.

Ein Mann mit ergrautem Bart und einer makellos weißen Toga verließ eben den Ort, als ich herankam. Er nickte mir zu. »Spektakulärer Prozeß, was?« keuchte er.

»Kann man wohl sagen.«

»Und dieser Cicero ist kein schlechter Redner.«

»Ein erstklassiger Redner«, pflichtete ich ihm hastig bei. Der alte Mann ging. Ich stand an der Innenmauer, starrte auf die Kalksteinrinne und hielt wegen des Gestanks den Atem an. Dank einer Merkwürdigkeit der Akustik konnte ich Cicero von der Rostra hören. Seine Stimme war verhallt, aber deutlich zu vernehmen: »Das letztendliche Ziel der Ankläger ist so offensichtlich wie verständlich: Es geht um nichts anderes als um die vollständige Beseitigung der Kinder des Geächteten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Euer Eid und die Hinrichtung von Sextus Roscius sind die ersten Schritte dieser Kampagne.«

Cicero kam zum Schluß. Ich schloß die Augen, die Schleusen öffneten sich, und ich genoß ein Gefühl unbeschreiblicher Erleichterung.

In diesem Moment hörte ich ein leises Pfeifen hinter mir und hielt mitten im Fluß inne. Ich sah mich über die Schulter um und sah zehn Schritte hinter mir Mallius Glaucia stehen. Er strich mit der Hand über seine Tunika, bis sich seine Finger um die unverkennbare Form eines in den Falten um die Hüfte versteckten Dolches schlossen. Er tätschelte den Knauf mit einem obszönen Grinsen, als ob er sein Glied halten würde.

»Seid wachsam, ihr Richter, daß nicht durch euch hier und heute eine zweite und viel grausamere Welle der Proskription in Gang gebracht wird. Die erste richtete sich zumindest gegen Männer, die sich verteidigen konnten; die Tragödie, die ich heraufziehen sehe, wird sich gegen die Kinder der frühen Geächteten richten, gegen Säuglinge in ihren Windeln! Bei den unsterblichen Göttern, wer weiß, wohin eine solche Abscheulichkeit diese Republik führen könnte?«

»Nur zu«, sagte Glaucia. »Beende ruhig, was du angefangen hast.«

Ich ließ den Saum meiner Tunika fallen und drehte mich um.

Glaucia lächelte. Er griff langsam in seine Tunika, zog das Messer hervor und spielte damit herum. Dann kratzte er mit der Spitze über die Wand, ein Geräusch, das ich bis in die Zahnwurzeln spürte. »Das ist mein Ernst«, sagte er. »Glaubst du, ich würde einen Mann von hinten beim Pissen erstechen?«

»Durchaus vernünftig und ehrenhaft«, stimmte ich ihm zu, um Festigkeit in der Stimme bemüht. »Was willst du?«

»Dich umbringen.«

Ich zog scharf die Luft ein, die nach abgestandenem Urin stank. »Jetzt? Immer noch?«

»Genau.« Er hörte auf, mit dem Messer an der Wand entlangzukratzen, und berührte die Spitze mit der Kuppe seines Daumens. Blut quoll aus dem Fleisch. Glaucia lutschte es ab.

»Kluge Männer, die so viel Ansehen und Macht besitzen wie ihr, werte Richter, haben die Verpflichtung, den Mißständen abzuhelfen, an denen diese Republik am meisten leidet... «

»Aber warum. Der Prozeß ist praktisch gelaufen.«

Anstatt mir zu antworten, lutschte er weiter an seinem Daumen und begann erneut, mit der Messerspitze über den Stein zu kratzen. Er starrte mich an wie ein monströses schwachsinniges Riesenbaby. Das Messer in meiner Tunika konnte es mit seinem aufnehmen, aber seine Arme waren mindestens zwei Handbreit länger als meine. Meine Chancen standen nicht gut.

Das Kratzen der Klinge über die Wand hörte auf. Er nahm seinen Daumen aus dem Mund und sah mich ganz ernsthaft an. »Aber das hab ich dir doch schon gesagt: Ich will dich umbringen. Willst du jetzt zu Ende pissen oder nicht?«

»jeder von euch weiß, daß das römische Volk einst in dem Ruf stand, im Sieg gnädig und milde gegen seine ausländischen Feinde zu sein; doch noch heute wenden sich Römer mit schockierender Grausamkeit gegeneinander.«

Glaucia machte ein paar Schritte auf mich zu. Ich trat zurück und stand jetzt mit dem Rücken an der Wand direkt über dem Abfluß. Ein durchdringender Gestank von Exkrementen und Urin stieg in meine Nase.

Er kam näher. »Und? Du willst doch nicht etwa, daß man dich in einer Toga findet, die außer mit Blut auch noch mit Pisse besudelt ist, oder doch?«

Eine Gestalt tauchte hinter ihm auf - ein weiterer Zuschauer, der gekommen war, die Latrine zu benutzen. Ich hoffte, Glaucia würde sich nur für einen Moment umsehen, lange genug, daß ich auf ihn zustürzen und ihm möglicherweise zwischen die Beine treten konnte - aber Glaucia lächelte mich nur an und hielt seine Klinge so hoch, daß der Neuankömmling sie sehen konnte. Er war sofort wieder verschwunden.

Glaucia schüttelte den Kopf. »Jetzt kann ich dir keine Wahl mehr lassen«, sagte er. »Jetzt muß ich es schnell erledigen.«

Er war groß. Und er war auch tolpatschig. Er stürzte auf mich zu, und es gelang mir erstaunlich leicht, ihm auszuweichen. Ich zückte meinen eigenen Dolch und hoffte, ihn vielleicht gar nicht zu brauchen, wenn es mir gelang, ihm zu entwischen. Ich rannte los, rutschte auf dem vollgepißten Boden aus und schlug kopfüber auf den harten Stein.

Das Messer glitt aus meiner Hand und rutschte außer Reichweite. Verzweifelt kroch ich auf allen vieren hinter ihm her. Es war noch etwa eine Armlänge entfernt, als etwas mit enormer Kraft auf meinen Rücken schlug und mich flach niederstreckte.