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Glaucia trat mir ein paarmal in die Rippen und drehte mich dann um. Sein fettes Gesicht, das grinsend über mir schwebte und langsam näher kam, war das Häßlichste, was ich je gesehen hatte. So sollte es also enden, dachte ich: Ich würde nicht als zahnloser alter Mann in Bethesdas Armen sterben, ihren lieblichen Gesang im Ohr, die süßen Düfte meines Gartens in der Nase, sondern im erstickenden Gestank einer verschmutzten Latrine, vollgesabbert von einem widerwärtigen Mörder, das Echo von Ciceros dröhnender Stimme im Ohr.

Ich vernahm ein gleitendes Geräusch, als ob ein Messer über Stein rutschen würde, und etwas Spitzes traf mich in der Hüfte. Ich glaubte ganz ernsthaft und mit dem Vertrauen, das ansonsten den reinen Vestalinnen Vorbehalten ist, daß mein Messer irgendwie zu mir zurückgeglitten sei, schlicht und einfach, weil ich es so wollte. Ich hätte danach greifen können, hätte ich nicht mit beiden Armen vergeblich versucht, mir Glaucia vom Leibe zu halten. Ich starrte in seine Augen, fasziniert von dem puren Haß, den ich darin erblickte. Plötzlich sah er auf, und im nächsten Moment war da ein Stein von der Größe eines Brotlaibs an seinem Stirnverband, als sei er plötzlich aus seinem Kopf hervorgetreten wie Minerva aus Jupiters Stirn. Der Stein blieb an Ort und Stelle, wie angeklebt von dem sofort austretenden Blut - nein, der Stein wurde von zwei Händen dort festgehalten, die ihn krachend auf den Kopf des Riesens hatten niedersausen lassen. Ich schielte nach oben und entdeckte den auf dem Kopf stehenden Tiro vor dem blauen Himmel darüber.

Er schien nicht glücklich darüber, mich zu sehen. Fortwährend zischte er mir etwas zu, immer wieder, bis meine Hand (nicht mein Ohr) endlich das Wort Messer verstand. Irgendwie gelang es mir, den Arm so zu verdrehen, daß ich nach dem Messer greifen konnte, das Tiro dorthin getreten hatte. Ich hielt es aufrecht vor meiner Brust. Es gibt kein lateinisches Wort, aber es sollte eines geben, für das eigenartige Gefühl des Wiedererkennens, das ich empfand, als hätte ich genau dasselbe schon einmal getan. Tiro hob den schweren Stein in die Luft und ließ ihn erneut auf Glaucias bereits eingeschlagene Stirn niedersausen, worauf der Riese wie ein Berg über mir zusammenbrach und Ecos Klinge sich bis zum Heft in sein Herz bohrte.

»Duldet nicht, daß diese Bösartigkeit sich länger in diesem Staate austobt«, rief eine Stimme aus der Ferne. »Beseitigt sie! Weist sie zurück!

Denn durch sie sind so viele Römer in gräßlichster Weise ums Leben gekommen. Schlimmer noch! Sie hat uns innerlich ärmer gemacht. Die fortwährenden Scheußlichkeiten haben uns betäubt. Sie haben in dem für seine Barmherzigkeit bekannten Volk das Mitgefühl zum Schweigen gebracht. Denn wenn die Konfrontation mit der Gewalt alltäglich wird, dann verlieren auch die sanftesten Wesen jegliches Gefühl für Menschlichkeit.«

Es entstand eine Pause, dann hörte man den Widerhall von donnerndem Applaus. Verwirrt und blutbedeckt glaubte ich einen Moment lang, der Jubel müsse mir gelten. Die Wände der Latrine sahen schließlich ein wenig aus wie die Umrandung einer Arena, und Glaucia war so tot wie ein toter Gladiator. Doch als ich aufblickte, sah ich lediglich Tiro, der mit verzweifelter und angeekelter Miene seine Tunika glattstrich.

»Ich habe den Schluß verpaßt!« fuhr er mich an. »Cicero wird wütend sein. Beim Herkules! Wenigstens hab ich kein Blut abgekriegt.« Mit diesen Worten drehte er sich um, verschwand und ließ mich allein unter einer riesigen Masse toten Fleischs zurück.

31

Cicero gewann den Prozeß. Eine überwältigende Mehrheit der fünfundsiebzig Richter, einschließlich des Praetors Marcus Fannius, stimmte dafür, Sextus Roscius von der Anklage des Vatermordes freizusprechen. Nur die parteiischsten Sullaner, unter ihnen eine Handvoll neuer Senatoren, die direkt vom Diktator ernannt worden waren, stimmten für schuldig.

Die Masse war ebenso beeindruckt. Ciceros Name sowie Zitate seiner Rede machten überall in Rom die Runde. Noch Tage später konnte man am offenen Fenster einer Taverne oder einer Schmiede Vorbeigehen und hören, wie Männer, die nicht einmal dabeigewesen waren, einige von Ciceros Parade-Attacken gegen Erucius wiederholten oder lautstark seine Kühnheit rühmten, Chrysogonus anzugreifen. Seine Bemerkungen über das Land- und Familienleben und sein Respekt vor den Pflichten eines Sohnes und den Göttern fanden allgemeine Zustimmung. Über Nacht hatte er sich den Ruf eines tapferen und gottesfürchtigen Römers erworben, eines Bannerträgers der Gerechtigkeit und der Wahrheit.

An jenem Abend wurde im Haus von Caecilia Metella eine kleine Feier abgehalten. Rufus war da, strahlend und euphorisch, und trank ein wenig zuviel Wein. Ebenso die Männer, die mit Cicero auf der Verteidigerbank gesessen hatten, Marcus Metellus und Publius Scipio, sowie eine Handvoll weiterer Helfer, die sich hinter den Kulissen irgendwie nützlich gemacht hatten. Sextus Roscius wurde der Ehrenplatz auf dem Sofa zur Rechten seiner Gastgeberin zugewiesen; seine Frau und seine älteste Tochter saßen bescheiden auf Stühlen hinter ihm. Tiro durfte ebenfalls hinter seinem Herrn sitzen, damit er an der Feier teilnehmen konnte. Sogar ich wurde eingeladen und mit einem Sofa ganz für mich alleine bedacht sowie einem Sklaven, dessen Aufgabe es war, mir Köstlichkeiten von der Tafel anzureichen.

Roscius war vielleicht der nominelle Ehrengast, doch das ganze Gespräch drehte sich um Cicero. Seine Anwaltskollegen zitierten mit überschwenglichem Lob die brillanteren Passagen seiner Rede, fielen mit vernichtendem Spott über Erucius’ Vorstellung her und lachten laut bei der Erinnerung an seinen Gesichtsausdruck, als Cicero es zum erstenmal gewagt hatte, den Namen des Goldengeborenen zu erwähnen. Cicero nahm ihr Lob mit freundlicher Bescheidenheit entgegen. Er ließ sich zu einem Schlückchen Wein überreden, und es brauchte nicht viel, um seine Wangen in rotem Glanz erstrahlen zu lassen. Zweifelsohne ausgehungert vom Fasten und der Anstrengung ließ er seine gewohnte Vorsicht außer acht und aß wie ein Pferd. Caecilia rühmte seinen Appetit und sagte, es sei ein Glück, daß er diese Siegesfeier möglich gemacht habe, weil man sonst all die Delikatessen, deren Zubereitung sie ihrem Personal schon vorher aufgetragen hatte - Algen und Muscheln, Drosseln auf Spargel, purpurroter Fisch in Stachelschnecken, Feigenspieße in Früchtekompott, gekochter Saueuter, Mastgeflügel in Blätterteig, Ente, Eber und Austern ad nauseam weil man sonst all diese Köstlichkeiten als Gabe für die Armen in irgendeiner Gasse der Subura hätte abladen müssen.

Während ich meinen Sklaven um einen dritten Nachschlag von den bithynischen Pilzen losschickte, begann ich mich zu fragen, ob diese Feier nicht ein wenig voreilig war. Sicher, Sextus Roscius war mit dem Leben davongekommen, aber solange sein Besitz in der Hand seiner Feinde, ihm die Bürgerrechte wegen der Proskription aberkannt und der Mord an seinem Vater ungesühnt blieben, hing er gewissermaßen in der Luft. Er war der Vernichtung entgangen, aber wie standen seine Chancen auf ein anständiges Leben? Seine Anwälte waren nicht in der Stimmung, sich über die Zukunft Sorgen zu machen. Ich hielt meinen Mund und öffnete ihn nur, um über ihre Witze zu lachen oder mir noch mehr Pilze hineinzustopfen.

Den ganzen Abend sah Rufus Cicero mit leidenschaftlicher Sehnsucht an, doch ich schien der einzige zu sein, der das bemerkte. Wie konnte ich mich, nachdem ich heute Zeuge von Ciceros Auftritt geworden war, noch über seine unerwiderte Leidenschaft lustig machen? Tiro machte einen recht zufriedenen Eindruck, lachte laut über jeden Witz und nahm sich sogar die Kühnheit heraus, selbst ein paar zu machen, aber hin und wieder warf er voller Schmerz einen Blick in Roscias Richtung. Sie weigerte sich standhaft zurückzugucken. Sie saß steif und elend auf ihrem Stuhl, aß nichts und bat schließlich ihren Vater und ihre Gastgeberin, sie zu entschuldigen. Als sie aus dem Raum stürzte, hatte sie zu weinen begonnen. Wenig später erhob sich auch ihre Mutter und folgte ihr nach draußen.