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Roscias Abgang löste eine eigenartige regelrechte Heulepidemie aus. Zunächst traf es Caecilia, die schneller getrunken hatte als alle anderen. Den ganzen Abend war sie lebhaft und ausgelassen gewesen. Nachdem Roscia gegangen war, verfiel sie plötzlich in tiefe Niedergeschlagenheit. »Ich weiß«, sagte sie, während wir Roscia im Flur schluchzen hörten, »ich weiß, warum dieses Mädchen weint. Ja, ich weiß es.« Sie nickte beschwipst. »Sie vermißt ihren lieben, lieben, alten Großvater. Ach ja, er war ja so ein reizender Mann. Wir dürfen nicht vergessen, was uns an diesem Abend eigentlich zusammengeführt hat - der viel zu frühe Tod meines liebsten, teuersten Sextus. Geliebter Sextus. Wer weiß, wäre ich nicht all die Jahre unfruchtbar geblieben...« Sie fuhr sich unkontrolliert mit der Hand durchs Haar und stach sich den Finger an der silbernen Nadel. Blut quoll aus ihrer Fingerkuppe. Sie starrte schaudernd auf die Wunde und fing an zu weinen.

Sofort war Rufus an ihrer Seite, um sie zu trösten und sie daran zu hindern, etwas zu sagen, was ihr später möglicherweise peinlich war.

Dann begann auch Sextus Roscius zu weinen. Zunächst kämpfte er dagegen an, biß sich auf die Fingerknöchel und verzog das Gesicht, aber die Tränen ließen sich nicht aufhalten. Sie rannen über seine Wangen und sein Kinn und tropften auf die Algen auf seinem Teller. Er atmete gepreßt ein und stieß die Luft dann mit einem langgezogenen, bebenden Stöhnen wieder aus. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und wurde von Krämpfen geschüttelt. Er stieß seinen Teller zu Boden, und ein Sklave hob ihn wieder auf. Er schluchzte laut und würgend, es klang wie das Geschrei eines Esels. Er mußte es oft wiederholen, bevor ich das Wort verstand, das er wieder und wieder rief: »Vater, Vater, Vater...«

Fast den ganzen Abend war er gewesen wie immer - still und in sich gekehrt, nur hin und wieder ein schüchternes Lächeln, wenn wir anderen vor Lachen brüllten bei einem gelungenen Witz über Erucius oder Chrysogonus. Selbst als das Urteil bekanntgegeben wurde, so hatte mir Rufus berichtet, war er seltsam unbeteiligt geblieben. Nachdem er so lange in Angst gelebt hatte, hatte er anschließend versucht, seine Erleichterung zu unterdrücken, bis sie schließlich doch aus ihm herausbrach. Deswegen weinte er.

Das dachte ich jedenfalls.

Es schien der geeignete Zeitpunkt zum Gehen.

Publius Scipio, Marcus Metellus und ihre adeligen Freunde wünschten uns eine gute Nacht und gingen ihrer Wege; Rufus blieb bei Caecilia. Ich sehnte mich danach, wieder in meinem eigenen Bett zu schlafen, aber Bethesda war noch immer bei Cicero und der Weg bis zur Subura weit. Im Hochgefühl seines Erfolges bestand Cicero gutgelaunt darauf, daß ich eine letzte Nacht unter seinem Dach verbrachte.

Wäre ich nicht mit ihm gegangen, wäre diese Geschichte hier zu Ende, inmitten von Halbwahrheiten und falschen Vermutungen. Statt dessen ging ich neben Cicero, flankiert von seinen Fackelträgern und Leibwächtern, über das mondbeschienene Forum und den Kapitolinischen Hügel hinauf, bis wir zu seinem Haus kamen.

So war es mir vergönnt, den glücklichsten Mann auf Erden endlich persönlich kennenzulernen. So erfuhr ich die Wahrheit, die ich bis dahin nur vage geahnt hatte.

*

Cicero und ich plauderten angeregt über nichts Besonderes -die lange Hitzeperiode, die karge Schönheit Roms bei Vollmond, die Gerüche, die die Stadt bei Nacht erfüllten. Wir bogen in die Straße, in der Cicero wohnte. Tiro bemerkte das Gefolge, das sich wie eine kleine Armee um den Eingang des Hauses drängte, als erster. Er zupfte an der Tunika seines Herrn und wies mit offenem Mund in die Richtung.

Wir sahen die Gesellschaft, bevor sie uns entdeckten - die leere Sänfte und die Träger, die mit verschränkten Armen dagegen lehnten. Die Fackelträger, die sich müde an der Wand abstützten und ihre Fackeln schlaff nach unten hängen ließen. In ihrem flackernden Licht spielten auf der Straße ein paar Dienstboten Trigon, während diverse Sekretäre mit zusammengekniffenen Augen auf Pergamentrollen kritzelten. Außerdem gab es noch eine Schar bewaffneter Wächter. Einer von ihnen sah uns schließlich wie angewurzelt am Ende der Straße stehen und stieß einen teuer gekleideten Sklaven an, der eifrig auf die Trigonspieler wettete. Der Sklave richtete sich auf und kam hochmütig auf uns zugeschritten.

»Bist du der Redner Cicero, der Herr dieses Hauses?«

»Der bin ich.«

»Endlich! Du mußt den Auflauf vor deiner Tür entschuldigen - wir wußten nicht, wo wir die Leute sonst unterbringen sollten. Und natürlich wirst du auch entschuldigen, daß mein Herr dir zu so später Stunde einen Besuch abstattet; wir stehen allerdings schon eine ganze Weile hier rum, seit kurz nach Sonnenuntergang, um genau zu sein, und erwarten deine Rückkehr.«

»Ich verstehe«, sagte Cicero dumpf. »Und wo ist dein Herr?«

»Er wartet drinnen. Ich habe deinen Türsteher davon überzeugen können, daß es wenig sinnvoll gewesen wäre, Lucius Sulla vor der Tür warten zu lassen, selbst wenn sein Gastgeber nicht zu Hause war, um ihn zu begrüßen. Kommt, bitte.« Der Sklave ging vor und machte uns ein Zeichen, ihm zu folgen. »Mein Herr erwartet euch schon seit geraumer Zeit. Er ist ein vielbeschäftigter Mann. Ihr könnt eure Fackelträger und Leibwächter hier draußen lassen«, fügte er noch streng hinzu.

Neben mir atmete Cicero tief und gleichmäßig, wie ein Mann, der sich auf einen Sprung in eisiges Wasser vorbereitet. Ich bildete mir ein, in der Stille der Nacht sein Herz klopfen zu hören, bis mir klar wurde, daß es mein eigenes Ich war. Tiro hielt noch immer die Toga seines Herrn fest. Er biß sich auf die Lippe. »Du glaubst doch nicht, Herr - er würde es nicht wagen, nicht in deinem Haus -«

Cicero legte einen Finger auf seine Lippen. Er trat vor und machte den Leibwächtern ein Zeichen, zurückzubleiben. Tiro und ich folgten ihm.

Als wir zur Tür gingen, warfen uns die Männer aus Sullas Gefolge nur kurze, mürrische Blicke zu, bevor sie sich wieder ihrer Beschäftigung zuwandten, als ob wir daran schuld wären, daß sie sich langweilten. Tiro trat als erster durch die offene Tür. Er blickte ins Innere, als erwarte er ein Dickicht gezückter Dolche.

Aber in der Halle war nur der alte Tiro, der voller Panik auf seinen Herrn zugeschlurft kam. »Herr -«

Tiro legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter und ging weiter.

Ich hatte erwartet, im Haus weitere Mitglieder von Sullas Gefolge anzutreffen - noch mehr Leibwächter und Sekretäre, noch mehr Speichellecker. Aber das Haus war lediglich von Ciceros normalem Personal bevölkert, das sich sämtlich an den Wänden entlangdrückte und sich um Unsichtbarkeit bemühte.

Wir trafen ihn allein im Arbeitszimmer neben einer Lampe sitzend an, auf dem Tisch neben ihm stand eine halbvolle Schale Haferschleim, auf seinem Schoß lag eine Pergamentrolle. Er blickte auf, als wir eintraten. Er wirkte weder ungeduldig noch überrascht, nur leicht gelangweilt. Er legte die Schriftrolle beiseite und zog eine Braue hoch.

»Du bist ein Mann von beträchtlicher Gelehrsamkeit und einigermaßen passablem Geschmack, Marcus Tullius Cicero. Ungeachtet der Tatsache, daß ich in diesem Raum viel zu viele trockene Werke über Grammatik und Rhetorik gefunden habe, finde ich es ermutigend, eine so prächtige Sammlung von Dramen entdeckt zu haben, vor allem griechische. Und obwohl es den Anschein hat, als ob du vorsätzlich nur die miserabelsten lateinischen Dichter gesammelt hättest, soll dir vergeben sein wegen deines exquisiten Geschmacks bei der Auswahl dieser äußerst prachtvollen Kopie von Euripides - aus der Werkstatt des Epikles in Athen, wie ich sehe. Als ich jung war, habe ich oft davon geträumt, Schauspieler zu werden. Ich hab immer geglaubt, ich hätte einen sehr ergreifenden Pentheus abgegeben. Oder meinst du, ich wär ein besserer Dionysos gewesen? Kennst du Die Bakchen gut?«