Cicero schluckte schwer. »Lucius Cornelius Sulla, ich fühle mich geehrt von deinem Besuch -«
»Schluß mit dem Quatsch!« bellte Sulla und schürzte die Lippen. Es war unmöglich zu sagen, ob er verärgert oder amüsiert war. »Wir sind unter uns. Schone deinen Atem und meine Langmut und erspar uns die unsinnigen Formalitäten. Tatsache ist, daß du bestürzt bist über meinen Besuch und mich so schnell wie möglich loswerden willst.«
Cicero öffnete den Mund und nickte, offenbar unschlüssig, ob er antworten sollte oder nicht.
Sulla setzte noch einmal dieselbe Miene auf, halb amüsiert, halb verärgert, und wies ungeduldig in den Raum. »Ich denke, die Sitzgelegenheiten sollten für alle reichen. Setzt euch.«
Nervös holte Tiro Stühle für mich und Cicero, stellte sich dann rechts neben seinen Herrn und beobachtete Sulla, als wäre er ein exotisches und äußerst tödliches Reptil.
Ich hatte Sulla noch nie von so nahem gesehen. Das Licht der Lampen warf harte Schatten auf sein Gesicht, umrandete seinen Mund mit Falten und ließ seine Augen blitzen. Seine prachtvolle Löwenmähne, einst berühmt für ihren schimmernden Glanz, war zottig und stumpf geworden, fleckig und so dünn, daß man die dünnen, roten Äderchen sah, die seine Kopfhaut wie ein feines Spinnennetz überzogen. Seine Lippen waren ausgetrocknet und rissig. Ein Büschel schwarzer Härchen ragte aus seinen Nasenlöchern hervor.
Er war einfach ein alter General, ein alternder Lebemann und ein müder Politiker. Seine Augen hatten alles gesehen und nichts gefürchtet. Sie waren Zeuge jedes Extrems von Schönheit und Schrecken geworden, man konnte sie nicht mehr beeindrucken. Trotzdem flackerte noch immer ein Hunger in ihnen, der mich fast anzuspringen und meine Kehle zu packen schien, als er mir seinen Blick zuwandte.
»Du mußt Gordianus sein, den sie den Sucher nennen. Gut. Ich bin froh, daß du hier bist. Dich wollte ich mir auch mal ansehen.«
Er ließ seinen Blick träge von Cicero zu mir und zurück wandern und stellte unsere Geduld auf die Probe. »Ihr könnt euch sicher denken, warum ich hier bin«, sagte er schließlich. »Eine gewisse banale Rechtssache, die heute vor der Rostra verhandelt wurde, als ich gerade zu Mittag aß. Ein Sklave meines lieben Freigelassenen Chrysogonus kam ganz hektisch und bestürzt zu mir gerannt und brabbelte von einer Katastrophe, die sich auf dem Forum abspielen würde. Ich war gerade damit beschäftigt, eine sehr pikante Fasanenbrust zu verzehren, und die Neuigkeit verursachte mir eine üble Magenverstimmung. Der Haferbrei, den mir deine Küchenmagd gebracht hat, ist nicht schlecht - fade, aber schmerzlindernd, genau wie meine Ärzte es mir empfehlen. Natürlich hätte er auch vergiftet sein können, aber andererseits dürftest du mich kaum erwartet haben, oder? Egal, ich habe mich stets in die Gefahr gestürzt, ohne lange darüber nachzudenken. Ich habe mich nie Sulla, der Weise, genannt, immer nur Sulla, der Glückliche, was meines Erachtens viel besser ist.«
Er tupfte seinen Zeigefinger einen Moment lang in den Brei und fegte dann unvermittelt die Schale vom Tisch, die scheppernd zu Boden fiel. Eine Sklavin kam aus dem Flur herbeigerannt, sah Ciceros aufgerissene Augen und sein bleiches Gesicht und verschwand rasch wieder.
Sulla lutschte seinen Finger ab und fuhr dann mit ruhiger, melodiöser Stimme fort. »Was für einen Aufstand ihr beide betrieben haben müßt, um die Wahrheit über diese widerwärtig spießigen Roscier und ihre widerwärtigen
Verbrechen aneinander aufzuspüren, auszugraben und zu beschnüffeln. Wie man mir erzählt hat, habt ihr Stunde um Stunde und Tag um Tag damit zugebracht, euch mit den Fakten herumzuschlagen; daß du, Gordianus, den ganzen Weg bis ins gottverlassene Ameria gemacht und dein Leben mehr als einmal in Gefahr gebracht hast nur für ein paar magere Fetzen der Wahrheit. Und trotzdem kennt ihr noch immer nicht die ganze Geschichte - es ist wie ein Schauspiel, bei dem ganze Szenen fehlen. Ist das nicht komisch? Bis heute hatte ich den Namen Sextus Roscius noch nicht einmal gehört, und es hat mich nur Stunden - eigentlich nur Minuten - gekostet, alles herauszufinden, was sich über diesen Fall zu wissen lohnt. Ich habe einfach gewisse Parteien zu mir bestellt und sie aufgefordert, mir die ganze Geschichte zu erzählen. Manchmal glaube ich, daß Gerechtigkeit und Wahrheit in den Tagen König Numas etwas viel Simpleres und Schlichteres waren.«
Sulla machte eine Pause und spielte mit der Pergamentrolle auf seinem Schoß. Er strich über die Naht, die die Seiten zusammenhielt, und tupfte mit den Fingern über das glatte Pergament. Dann packte er die Rolle auf einmal mit lautem Rascheln und warf sie quer durch das Zimmer. Sie landete auf einem Tisch mit weiteren Schriftrollen und riß sie zu Boden. Sulla fuhr ungerührt fort.
»Sag mir, Marcus Tullius Cicero, was hast du damit beabsichtigt, die Verteidigung dieses erbärmlichen Mannes heute vor Gericht zu übernehmen? Warst du ein bereitwilliger Handlanger meiner Feinde, oder haben sie dich reingelegt? Bist du gerissen und schlau oder geradezu lächerlich dumm?«
Ciceros Stimme war trocken wie Pergament. »Man hat mich gebeten, einen unschuldigen Mann gegen eine empörende Anklage zu verteidigen. Wenn das Gesetz nicht die letzte Zuflucht der Unschuldigen -«
»Unschuldig?« Sulla beugte sich vor. Sein Gesicht lag jetzt ganz im Schatten. Die Lampe warf eine Aureole um sein feuerrotes Haar. «Haben sie dir das erzählt, meine lieben Freunde, die Meteller? Eine sehr alte und bedeutende Familie, diese Meteller. Seit ich mich von Delmaticus’ Tochter habe scheiden lassen, als sie im Sterben lag, habe ich darauf gewartet, daß sie mir von hinten ein Messer zwischen die Rippen stoßen. Aber was hätte ich tun sollen? Die Auguren und Pontifices haben darauf bestanden; ich konnte es nicht zulassen, daß mein Haus von ihrer Krankheit beschmutzt wurde. Und so nimmt die Familie meiner Ex-Frau also Rache - sie benutzen einen Anwalt ohne Familie und mit einem Witz von einem Namen, um meinen Namen vor Gericht in den Schmutz zu ziehen. Was nützt es einem, Diktator zu sein, wenn genau die Klasse von Menschen, für deren Wohl man sich so abplagt, sich wegen solcher Belanglosigkeiten gegen einen wendet?
Was hat man dir angeboten, Cicero? Geld? Das Versprechen ihrer Patronage? Politische Unterstützung?«
Ich blickte zu Cicero, dessen Gesicht wie zu Stein erstarrt war. In dem flackernden Licht der Lampe konnte ich meinen Augen kaum trauen, aber mir war, als würden sich seine Mundwinkel zum Hauch eines Lächelns verziehen. Auch Tiro mußte es bemerkt haben; ein merkwürdiger Ausdruck verdüsterte seine Miene.
»Wer von ihnen ist zu dir gekommen, Cicero? Marcus Metellus, der Schwachkopf, der es gewagt hat, sich heute neben dir auf der Verteidigerbank blicken zu lassen? Oder seine Cousine Caecilia Metella, diese verrückte, unter Schlaflosigkeit leidende alte Schachtel? Oder vielleicht gar kein Metellus, sondern einer ihrer Handlanger? Doch sicher nicht mein neuer Schwager Hortensius - für Geld würde er auch seinen schlimmsten Feind vertreten, bei Jupiter, aber er war schlau genug, sich nicht in diese Farce verwickeln zu lassen. Eine Schande, daß ich nicht dasselbe über Valerias geliebten kleinen Bruder Rufus sagen kann.«
Cicero sagte immer noch nichts. Tiro runzelte nervös die Stirn und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
Sulla lehnte sich zurück. Der Schein der Lampe kroch über seine Stirn bis in seine Augen, die wie Glasperlen glitzerten. »Egal. Die Meteller haben dich jedenfalls gegen mich rekrutiert. Sie haben dir also erzählt, Sextus Roscius sei unschuldig. Und du hast ihnen geglaubt?«
Tiro hielt es nicht länger aus. »Natürlich!« platzte er los. »Weil er unschuldig ist. Deswegen hat mein Herr ihn verteidigt - nicht um sich mit einer Patrizierfamilie gut zu stellen -«
Cicero brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Sulla sah Tiro an und zog abschätzig die Brauen hoch, als ob er ihn in diesem Moment zum erstenmal wahrnehmen würde. »Der Sklave ist wohl kaum so hübsch, daß man ihm eine derartige Frechheit durchgehen lassen könnte. Wenn du etwas von einem echten Römer in dir hättest, Cicero, würdest du ihm hier an Ort und Stelle die Flausen gründlichst aus dem Leib prügeln lassen.«