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Doch auch dies sollte nicht sein. Denn sie schlugen die Straße nach Norden ein, zu dem Ort namens Cabuldidiri, denn sie gedachten von dort auf einer passablen Wüstenroute wieder ins Landesinnere zurückkehren. Doch sie waren kaum etliche Meilen weit gekommen, als der Weg sich ärgerlich erneut westwärts zu winden begann, als wollte er ihnen nicht erlauben, Cabuldidiri zu erreichen. Sie konnten in weiter Ferne vor sich ein Tal sehen und eine mittelgroße Stadt, die auf einem Einschnitt zwischen zwei senkrechten Bergflanken lagerte. Dies war gewiß die Stadt Cabuldidiri. Aber die Straße erlaubte ihnen nicht, sie zu erreichen. Beständig bog sie zur Seite ab und fort. Selbst als sie die Route verließen und durch das wilde Land ostwärts vorantreckten, fanden sie nach kurzem, daß sie wieder in die entgegengesetzte Richtung zogen.

»Was soll das?« fragte Enkidu. »Wieso entwischt uns die Stadt immer wieder, Bruder?«

»Enlil allein mag es wissen. Vielleicht liegt dort ja gar keine Stadt. Vielleicht gibt es auch keine Straße. Oder die Zauberer verlegen die Straße jede Nacht anders, um sich zu belustigen.«

»Was sollen wir tun?«

»Unseren Füßen folgen«, sagte Gilgamesch. »Und unsere Füße werden ihrem Schicksal nachgehen, und auf diese Weise erfahren wir, was uns bestimmt ist.«

Das Schicksal ihrer Füße schien sie in einen immer enger werdenden Canyon zu führen, der — soweit sie dies feststellen konnten — von Osten nach Westen verlief. Obwohl das die entgegengesetzte Richtung war, die sie hatten einschlagen wollen, blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu gehorchen, denn zu beiden Seiten ragten die Wände der Kluft empor wie glattes Glas, und so wurden sie in die Schlucht hineingezwungen wie Tiere, die in eine Falle tappen. Gilgamesch empfand dies als ärgerlich, und er wanderte mürrisch dahin und suchte beständig die Felsenbollwerke zur Rechten und zur Linken nach irgendeiner Öffnung ab. Doch da war nichts. Die Wände waren inzwischen so dicht zusammengerückt, daß er sie fast mit den ausgestreckten Armen berühren konnte, und sie schimmerten hell wie polierter rosa Marmor, und der schmale Pfad unter ihren Füßen war von roter Erde und Kolonnen emsiger grün-schwarzer Insekten krochen darauf herum. Um den Himmel zu sehen, mußte man den Kopf weit in den Nacken legen und gerade nach oben blicken.

Nach etlicher Zeit tauchten vor ihnen Wagenspuren auf.

»Wir sind hinter einer Karawane«, bemerkte Enkidu. »Da? Siehst du den frischen Dung? Was werden wir tun, Bruder? Warten wir, bis sie fortgezogen sind?«

»Ich denke, nein«, antwortete Gilgamesch. »Hier ist ein Ort des Todes, sehr beklemmend für die Seele, und es gibt außer Käfern nichts zu essen. Wir ziehen weiter und holen sie ein, und vielleicht reisen wir ein Stück weit mit ihnen, sofern sie sich als freundlich erweisen.«

»Wie du sagst, Bruder.«

Nach drei Tagen und drei Nächten holten sie die Karawane ein: Ein Dutzend wackeliger schäbiger trauriger Karren, ein paar mit Landsegeln bestückt, andere gezogen von hageren erschöpft wirkenden Lasttieren. Sobald sie auftauchten, begann ein Hund wie wild zu kläffen, und der Zug hielt sogleich an. Männer und etliche Frauen, die mit Pistolen und Schnellfeuerwaffen ausgerüstet waren, sprangen herab und kauerten sich auf den roten Boden, als erwarteten sie einen Angriff.

Es waren allesamt später Tote, sah Gilgamesch angewidert. »Komm«, sagte er zu Enkidu. »Gehen wir friedlich auf sie zu. Die halten uns wahrscheinlich für Späher, für die Vorhut eines größeren Trupps, oder aber sie sind außergewöhnlich ängstlich.«

Mit hoch erhobenen Händen trat er vor.

Die Reisenden gaben ihre Vorsicht nicht so rasch auf. Der Anführer, ein stämmiger dickbäuchiger Mann namens van der Heyden, hatte zwei Patronengurte um seine Mitte geschlungen und hielt unter beiden Armen eine Waffe, und er forschte sie ziemlich lange aus, fragte, woher sie kämen und wohin sie zu ziehen beabsichtigten, ob sie noch weitere Gefährten weiter hinten hätten. »Wir sind nur zwei umherziehende Jäger«, gab Gilgamesch Auskunft, »und wir sind nicht mehr, als was du hier siehst.«

»Jäger? Hier draußen? Was gibt es denn hier zu jagen?«

»Wir hätten gern eine mehr östliche Route eingeschlagen, aber durch die Natur der Straße wurden wir in diese Schlucht gezwungen.«

»Also ist nicht Brasil euer Ziel?«

»Kaum«, sagte Gilgamesch. »Wir würden es ganz gern vermeiden.«

Van der Heyden lachte glucksend. »Kaum eine Chance dafür jetzt. Dieser Canyon endet direkt an der Festlandküste gegenüber von Brasil. Jetzt kommt ihr da nicht mehr daran vorbei.«

»Und wenn wir umkehren?« sagte Enkidu.

»Dann findet ihr euch genau da wieder, wo ihr vorher wart. Und es ist ein langer hungriger Fußmarsch bis dorthin.« Die Augen des stämmigen Mannes wurden schmal. »Aber ihr seht mir beide nicht aus wie Trottel. Also, warum sollte jemand so wie ihr durch eine Gegend wie die hier reisen? Da steckt doch mehr dahinter.«

»Was du siehst«, sagte Gilgamesch, »sind zwei Männer, denen nichts am Leben in den Städten liegt und die nur die Einsamkeit suchen — die sogar in dieser Gegend schwerer zu finden ist, als wir erwarteten. Wir sind keine Späher, und wir haben nichts Hinterhältiges im Sinn. Wenn es euch gefällt, schließen wir uns euch an und leisten euch jede Art von Hilfe, die ihr braucht, bis wir aus dieser Schlucht herauskommen, gegen Essen und eine Decke für die Nacht. Wenn nicht, nun, dann werden wir weiterziehen und uns allein durchschlagen.«

Van der Heyden überdachte das Angebot eine Weile.

»Könnt ihr kämpfen?« fragte er schließlich.

»Was glaubst du denn?« Enkidu grinste aus seiner großen Höhe zu ihm hinab.

»Damit? Mit Schwertern? Mit Pfeil und Bogen?«

»Wir kommen recht gut damit zurecht«, sagte Gilgamesch. »Aber wir sind auch mit euren Waffen vertraut. Aber wenn ihr keine Verwendung für uns habt…«

»Halt!« sagte van der Heyden. »Kommt mit uns. Ich denke, wir können zwei Burschen von eurem Kaliber brauchen.«

»In diesem Fall«, sagte Gilgamesch, »sollst du wissen, daß es bereits etliche Tage her ist, seit wir zuletzt etwas gegessen haben.«

»Das habe ich mir doch fast gedacht«, sagte van der Heyden.

Die Karawane kam aus der Stadt Lo-yang im Outback und brachte Waren zum Verkauf in Brasil, wo Simon der Magier herrschte. Van der Heyden vermied es sorgfältig, Genaueres über die Art seiner Waren zu sagen, und man bekam auch sonst keinerlei Hinweise darauf. Aus der Wortkargheit des Dicken und der Ängstlichkeit, mit der die Kauffahrer die beiden Sumerer empfangen hatten, war zu schließen, daß es sich um eine kostbare Fracht handeln müsse und daß man fürchtete, in dieser Region von Briganten überfallen zu werden. Doch Gilgamesch stellte keine Fragen. Er wollte nur mit van der Heyden bis zum Ausgang aus der Schlucht ziehen und sich dann dort von der Karawane trennen und entweder gen Norden oder südwärts ziehen, er wußte noch nicht recht, wohin, in der Hoffnung, dort eine Route zurück in unbesiedelte Landstriche zu finden.

Der Zug kam nur langsam voran. Die Schlucht war kaum weit genug, die Wagen durchzulassen, und an einigen Stellen sah es so aus, als würden sie steckenbleiben; doch van der Heyden verfügte über einen Trick, indem er die Wagen zunächst auf die linken, dann auf die rechten Räder kanten ließ, und irgendwie gelang es ihm, die Fuhrwerke um die Felsvorsprünge herumzumanövrieren, die an den engsten Stellen den Pfad blockierten. Dann wurde die Schlucht allmählich weiter; der Wind war nun weicher und feuchter, ein sicheres Anzeichen dafür, daß sie sich der Küste näherten. Die Wände der Schlucht öffneten sich und ragten nicht mehr steil und senkrecht empor, und sie zeigten auch einigen Pflanzenbewuchs. Und es gab wieder Wild, das man jagen konnte. Die Karawane führte zwar genug eigenen Proviant mit, doch van der Heyden schien geplant zu haben, die Versorgung durch unterwegs erlegte Beutetiere zu ergänzen, und so verdienten sich die beiden Sumerer den Transport, indem sie oben in den Hängen Fleisch jagten.