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Der Mann wurde allmählich ätzend.

Gilgamesch richtete sich zu seiner vollen stolzen Größe auf und rezitierte: »So wisse denn, ich bin Gilgamesch von Uruk, Großkönig, König von Uruk, König der Könige, Herrscher des Landes Zwischen den Zwei Flüssen.«

»König der Könige?« wiederholte Herodes. »Herrscher des Landes zwischen zwei Flüssen?« Er nickte, als wäre er höchst beeindruckt. »Aha. Wahrhaftig. Und was für zwei Flüsse wären das, bitteschön?«

»Das weißt du nicht?«

»Du mußt mir vergeben, mein Freund. Ich bin bloß ein Provinzler aus Judäa, obwohl ich das große Glück hatte, am kaiserlichen Hof in Rom erzogen zu werden. Und obwohl man mir wahrscheinlich etwas von deinen zwei Flüssen beigebracht hat, es scheint mir durch eines der verflixten zahlreichen Löcher in meinem Gedächtnis entschlüpft zu sein, und darum…«

Derartige Rederei hatte Gilgamesch schon vielmals vorher gehört. Die Nachwelt steckte voll von solchen Spätlingen.

Kühl sagte er. »Mein Land war euch Römern als Mesopotamien bekannt.«

»Ach, diese Flüsse!« rief Herodes. »Warum sagst du das nicht gleich? König von Mesopotamien! Also ein Parther. Irgendwie mit Mithridates verwandt?«

Gleich werfe ich den Kerl doch noch über die Reling, dachte Gilgamesch, der jetzt richtig wütend wurde.

Mit großer Beherrschung sagte er: »Nein, kein Parther. Ein Sumerer! Wir waren vor den Parthern da. Vor den Babyloniern und Akkadiern. Und lange vor den Römern natürlich. Lange vor den Römern.«

»Bitte tausendmal um Vergebung«, sagte Herodes.

Gilgamesch funkelte ihn an, dann wandte er sich ab. Er starrte düster in die flammendurchzuckte Nacht. Die Eruption über Brasil wurde schwächer. Er überlegte, wie lange sie noch bis zur Insel brauchen würden. Es konnte nicht schnell genug gehen, wenn er sich das nervtötende Geplapper dieses Herodes während der ganzen Überfahrt anhören mußte!

Nach einiger Zeit sagte Herodes: »Gedenkst du erneut König zu sein?«

»Was? Weshalb sollte ich?«

»Nun, die meisten Könige, die hierher kommen, wollen das.«

»Und bist du wieder König geworden?« fragte Gilgamesch, ohne sich umzuwenden.

»Ich ziehe es vor, darauf zu verzichten. Um dir die Wahrheit zu sagen, ich fand den Job nie besonders faszinierend. Und mir gefällt das Leben in Brasil viel zu gut. Seit meinem Tod ist das der erste Ort, an dem ich mich fast wie daheim fühle. Aber Brasil ist die Stadt Simons, und ich verspüre kein Verlangen nach einem Versuch, sie ihm wegzunehmen, ganz abgesehen davon, daß ich das gar nicht könnte. Wenn es ihm Spaß macht, hier den Boss zu spielen, soll er doch. Sage ich.«

»Ich verstehe. Du bist über solcherlei Ehrgeiz hinaus.«

»Also, du kennst sicher den alten Spruch, daß es besser ist, König am Arsch der Welt zu sein, als Sklave im Himmel. Das mag ja stimmen, allerdings weiß ich wirklich nicht viel über den Himmel. Angenommen, es gibt solch einen Ort, was ich sehr stark bezweifle. Jedenfalls, was mich betrifft, mir ist es angenehmer, einen anderen hier regieren zu lassen. Mein Wunsch ist es, weder zu herrschen, noch zu dienen, sondern mich nur um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Aber vermutlich findest du das nicht besonders klug, ja? Wenn du so ähnlich bist wie alle die anderen gewaltigen säbelschwingenden Gojim, die ich hier kennengelernt habe, dann juckt’s dich mächtig, dich wieder auf den Thron zu setzen, egal welchen, wenn es nur ein Thron ist.«

»Nein!« sagte Gilgamesch.

»Nein?«

»Was sagtest du? Sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmern? Das gefällt mir. Mich um meinen Kram scheren, ja? Für mich war das — wie für dich auch — die Aufgabe, König zu sein, doch das ist lange her und war in einem anderen Leben. Jetzt und hier interessiert mich das nicht mehr. Worüber könnte man hier herrschen? In diesem Land der Betrüger und Schwindler, wo Orte auftauchen und verschwinden wie in Träumen, und wo die Zeit selbst schnell verfliegt oder langsam schleicht, wie es die Laune irgendeines Dämons will?« Gilgamesch spuckte über die Reling. »Nein, Herodes, du verkennst mich, wenn du denkst, ich würde je wieder König sein wollen! Laßt mich frei umherschweifen, jagen, wo ich will. Und laßt mich meinen einzig geliebten Gefährten wiederfinden, den ich hier in diesem Land der Nachwelt verloren habe, wie schon einmal im Land der Lebenden. Ich will nur wieder mit Enkidu vereint sein, meinem wahren Bruder, dem Freund meines Herzens, den ich als einzigen je geliebt habe. Mehr ersehne ich nicht. Sollen andere hier König spielen. Und Männer wie du und ich, wir kümmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten, ja?« Gilgamesch lächelte breit und schlug Herodes freundschaftlich mit der flachen Hand auf den Rücken, wobei er den kleinen Mann heftig gegen die Reling schleuderte. »Was, Herodes? Ich glaube, du und ich, wir zwei, wir haben mehr gemeinsam, als es zunächst den Anschein hatte. Ist es nicht so, König Herodes?«

Das Festland und die bedrohliche Raserei der dortigen rülpsenden brüllenden Vulkane verschwanden achtern, und die königliche Jacht schnitt graziös durch das schimmernde Wasser auf Brasil zu. Und nun erhob sich vor ihnen breit die Inselstadt. Grüne Elmsfeuer tanzten flackernd auf den vieltürmigen Wällen.

Gilgamesch spürte eine leise Erregung. Nichts weiter als den Schatten seiner früheren Neugier, dieses Welten in sich hineinschlingenden Hungers nach Erfahrung und Erlebnissen, der ihn in seinem ersten Leben überall hin durch das LAND und über die Grenzen des LANDES weit hinaus getrieben hatte. Einst hatten die Sänger von Sumer und Akkad ihn besungen als den Mann, dem alle Dinge geoffenbart worden waren, die Geheimnisse und die Wahrheiten über das Leben und den Tod.

So ganz falsch hatten die Barden damals in uralter Zeit nicht gelegen. Er hatte alles erfahren und wissen wollen, alles sehen, alles schmecken, alles ausprobieren.

Das war zum großen Teil inzwischen von ihm abgefallen, war in den Tausenden Jahren seiner Streifzüge durch diese unermeßliche und unverständliche Nachwelt aus seinem Herzen ausgebrannt worden. Aber dennoch mußte da noch ein Rest von dem alten verschwundenen Gilgamesch in ihm lebendig geblieben sein; weshalb sonst hatte er so gebannt zu der bizarren Inselstadt hinüberstarren sollen, die aus der leuchtenden See vor ihm auftauchte?

»Bereitmachen zur Landung!« rief eine Stimme. »Alle Mann bereitmachen!«

Herodes verschwand unter Deck. Matrosen tauchten aus dem Nichts auf, eine halbes Dutzend kleiner, ölig wirkender Levantiner, und liefen umher und werkten eifrig an Spills und Tauen herum. Verblüffenderweise tauchte aus den Tiefen des Schiffsrumpfes ein Haarmensch auf, ein untersetzter dickleibiger Mann mit gewaltigen Kiefern und fast keinem Kinn, aber dicken vorgewölbten Brauen. Er trug römische Kleidung. Man stieß an den unwahrscheinlichsten Orten auf diese grobstimmigen Geschöpfe aus der Zeitendämmerung, aus der verschwundenen, vergessenen Welt vor der Großen Flut. Dieser hier schien in Simons Diensten zu stehen, nach seiner Kleidung zu urteilen und den prunkvollen Orden, die er trug.

Simon der Magier selbst erschien danach, schleppenden Schritts, auf den Arm des Herodes gestützt. Es war offensichtlich, daß der Beherrscher Brasils sehr zu körperlichen Ausschweifungen neigte; dennoch war die Stärke seines Geistes hinter der schwammigen Aufgeschwemmtheit erkennbar; spürte man den eisernen Willen, die unersättliche Gier nach Macht. Dieser Machthunger hatte seinen Tod überdauert. Wie bedauerlich, dachte Gilgamesch, daß ein Mann von seinem Format nicht fähig war, seine Gelüste unter Kontrolle zu bekommen. Gilgamesch selbst wußte einigermaßen Bescheid über Gelüste und über Gier und Ausschweifung; doch er hatte nie zugelassen, daß dies äußerlich sichtbar wurde, wie dieser Mann hier das getan hatte. Sein Leib war für ihn sein Heiligtum, und sein ganzes Leben lang hatte er ihn in Ehren und Würde heilig gehalten. Und während seines langen Lebens als Toter ebenso.