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»Sie werden dir gewiß sagen, daß sie das haben. Aber in der Nachwelt, Gilgamesch, findet man niemanden mehr.«

»Das wollen wir doch mal sehen.«

Und er ging zu den aufgestellten hölzernen Tischen und Bänken zurück.

»Lieber Herr, ich bin Aethelbald«, sagte einer der Zaubertränkleinbrauer drängend.

»Ich bin Eadfrith«, nölte der neben ihm und winkte.

»Ich bin Wulfgeat, und ich habe hier einen Trank, der gegen Schwindel und Hirnfieber wirkt, und gut beim Gallenfluß und der Gelben Krankheit, bei Stimmen im Ohr und Hörschwäche…«

Ungeduldig winkte Gilgamesch sie beiseite und brachte sie zum Schweigen. »Wer seid ihr Leute denn überhaupt?«

»Wir sind alles Angeln hier«, sagte Wulfgeat, »abgesehen von diesem Saxonen da neben mir, und Meister der Kräuterkunde sind wir und der Kunst, Blutegel zu setzen, und auch der Sternenkunde. Unser Wirken ist gediegen! Unser Können grenzenlos!«

»Kräuterkunde? Sternkunde?« fragte Gilgamesch.

»So ist es, und es mag sein, daß wir auch einen Zauber haben für dich! Was fehlt dir, lieber Herr? Was brauchst du?«

»Ein Mann ist es, nach dem ich suche«, sagte Gilgamesch nach einer Pause. »Ein Freund, den ich verloren habe.«

»Ein verlorener Freund? Ein verlorener Freund?« Die Zauberhöker begannen zu murmeln und sich zu beraten. »Vipernbouglossum«, schlug einer vor. »Die Asche toter Bienen in Leinöl?« meinte ein anderer. »Krummwurz und Thung, Balgwurz und Erlwurz in starkem Met oder ungetrübtem Ale.« Doch der dritte Zauberer schüttelte heftig den Kopf und sprach: »Es muß durch Träume geschehen. Die Zeichen müssen unbedingt aufgerufen werden. Man muß eine Quelle aufbrechen sehen neben seinem Haus, oder eine Glucke mit ihren Küken, oder träumen, daß man ein neu Paar Schuh anzieht — wahrlich, so lauten die Zeichen, und wir müssen ihm den Trank geben, der ihm diese nützlichen Visionen bringt, und in der folgenden Nacht…«

»Was ist denn hier los?« mischte sich eine bekannte säuselnde Stimme ein. »Was treibt ihr denn da?«

Herodes drängte sich heftig durch das Gewühl und erschien plötzlich an Gilgameschs Seite. Der Behaarte Mann schnitt eine Grimasse und brummte etwas Unverständliches. Die Zauberhöker blickten bestürzt drein, kehrten ihnen den Rücken zu und riefen ihre Anpreisungen in die andere Richtung den dort Versammelten entgegen.

»Wo hast du denn gesteckt?« wollte Herodes wissen. »Simon hat überall Sucher nach dir ausgeschickt.«

»Ich dachte, ich schaue mir ein bißchen die Stadt an.«

»Oh, Gewalt! Und dann bist du hier gelandet? Aha. Aha. Ich glaube, ich weiß, warum. Du willst einen Zauber kaufen, der dich nach Uruk führt, ja? Das also. Trotz all dem, was ich dir gestern abend gesagt habe?«

Aus der Ferne hörte man eine gewaltige Stimme röhren: »Das Buch der Fünfzig Namen! Wer kauft das Buch der Fünfzig Namen?«

»Der Behaarte hat mich hierher geführt«, sagte Gilgamesch. »Ich bin einfach von einer Straße in die andere gewandert, und dann passierte mir etwas Merkwürdiges, vielleicht war es ein Anfall — in meinen Erdentagen neigte ich dazu, mußt du wissen, aber ich dachte, ich wäre das hier in der Nachwelt jetzt los — jedenfalls wurde mir schwindlig — ich sah Gesichter — ich sah uralte Straßen…« Verärgert schüttelte er den Kopf. »Nein, ich will keinen Zauber kaufen, um Uruk zu finden. Ich suche nur nach Enkidu. Und wenn diese weisen Gelehrten…«

»Marduk! Marukka! Marutukku!« dröhnte die gewaltige Stimme.

»Diese weisen Gelehrten sind Fischhöker und Abschaum«, sagte Herodes verächtlich und machte das Hörnerzeichen gegen Aethelbald und Eadfrith und Wulfgeat. Und sie wichen vor ihm zurück. »Bauerntölpel sind die. Bestenfalls Kleinkrämer.« Und er zeichnete den sechszackigen Stern vor ihnen in die Luft, und sie wandten sich bleich und bebend von ihm ab. »Siehst du? Siehst du es, Gilgamesch? Was könnten die schon bewirken? Dir vielleicht ein Wehwehchen lindern? Dir den Nasenfluß austrocknen? Das sind törichte kleine Leute hier. Sie werden dir deinen Enkidu nicht finden.«

»Wie kannst du da so sicher sein, Herodes?«

Herodes hatte ein schlaues Glitzern in den Augen, als er nun zu Gilgamesch heraufblickte.

»König von Uruk, wenn ich dich mit einem wahren Weisen zusammenführe, der dir die Antwort geben kann, nach der du suchst, würdest du dann den Plan aufgeben, Simon auf diese unsinnige Expedition zu führen?«

Die gelbgeränderten Augen des Haarmenschen weiteten sich erstaunt. »Du sprichst von Calandola?« fragte er scharf und mit sehr belegter Stimme.

»Ja, von Calandola«, sagte Herodes.

Der Behaarte verkniff das Gesicht, mahlte mit dem affenartigen Kiefer und senkte die Brauen, daß es beinahe aussah, als nickte er, und dann stieß er aus tiefer hohler Brust einen brummenden Seufzer hervor. »Das ist nicht klug«, sagte er nach einem Augenblick. »Das ist höchst unklug.«

Herodes funkelte ihn an. »Laß das doch Gilgamesch gefälligst selbst entscheiden!«

»Asaraludu!« brüllte der Ausrufer der Fünfzig Namen. »Namtillaku! Narilugaldimmerankia!«

»Und wer ist dieser große Weise, zu dem du mich bringen möchtest?« fragte Gilgamesch.

»Sein Name lautet Imbe Calandola«, sagte Herodes. »Er ist ein Maure, ein… äh… nein, ein Nubier, oder irgendwas dazwischen. Dunkel wie die Nacht, ein scheußlicher Anblick. Er betreibt einen Tempel in den finsteren Tunnelgängen unter den Straßen von Brasil und dort herrscht er und gibt Visionen. Es gibt welche, die glauben, er sei der Herr der Finsternis in Person, der Fürst der Höllen, der Große Gegenspieler, der gewaltige Lucifer, der Phosphoros der Abgründe: Satanas, Beelzebub, Mephistopheles, der Erzfeind, der Herr des Bösen. Möglich, daß er das ist; ich aber glaube, er ist in Wahrheit nichts als ein prächtiger Wilder, der die Weisheit der Dschungel kennt. Jedenfalls aber wird er dir sagen — können, was du erfahren willst. Soweit ich weiß, befragen ihn die Haarmenschen beständig.«

Gilgamesch blickte zu dem Uralten.

»Ist das wahr?«

Der Behaarte verzog erneut das Gesicht noch schrecklicher als zuvor.

»Er blickt in die anderen Welten, dieser Calandola, ja. Und er kann andere sehen lassen, was er sieht.«

»Dann gedenke ich ihn aufzusuchen«, sagte Gilgamesch.

»Es ist gefährlich«, warnte der Behaarte.

»Das sagst du mir immer wieder. Aber was sollte ich fürchten? Den Tod? Du weißt doch, der Tod ist eine lächerliche Witzfigur für den, der ihm bereits begegnet ist!«

»Und habe ich dir nicht auch bereits gesagt, daß der Tod das am wenigsten Schreckliche hier in Brasil ist?«

»So sagtest du, ja. Aber es macht mir nichts aus.«

»Dann geh und besuche Calandola.«

»Das will ich tun.« Gilgamesch wandte sich zu Herodes. »Wann kannst du mich zu ihm bringen?«

»Wir sind also im Geschäft? Ich bringe dich zu Calandola, und du überredest Simon, seine absurde Wahnidee aufzugeben, nach Uruk zu suchen?«

Es war empörend, daß man ihn in ein derartiges Gefeilsche zu zwingen versuchte, als wären er und Herodes Markthändler, die ein Geschäft tätigen. Mühsam unterdrückte Gilgamesch den Drang, den kleinen Hebräer zu packen und ans andere Ende der Halle zu schleudern.

»Wir wollen doch nicht von einem Austausch von Gefälligkeiten reden, ja«, sagte Gilgamesch eisig. »Ich bin ein Mann von Ehre. Das sollte dir genügen. Also, bring mich zu deinem Weisen!«

Und dann stiegen sie hinab. Hinunter in die Tiefen, in das Dämonenland, in die Gänge der Teufel, wohin das Licht der Sonne niemals drang, zu dem Wohnsitz des schwarzen schrecklichen Imbe Calandola.

Als er ein Junge war in Uruk, hatte sich ihm ein Sklave mit dem Abzeichen der Göttin Inanna eines Tages genähert und zu ihn gesagt, als er sich gerade im Speerwurf übte: »Du mußt jetzt mit mir in den Tempel der Göttin kommen.« Und der Sklave hatte ihn zu dem Tempel geführt, den sein Großvater Enmerkar einst auf der Hügelplattform aus weißen Ziegeln erbaut hatte, und dann hinab und abwärts durch gewundene Gänge, die Gilgamesch nie zuvor gesehen hatte, in unheimliche Stollengänge, die tief unter dem Tempelfundament lagen und bis in die Gründe der Erde hinabführten. Durch Hallengänge, in denen im unterirdischen Dunkel ferne Lampen glühten, und vorbei an Orten, wo Magier im Kerzenschimmer ihr Werk vollführten, und durch Kreuzgänge, wo er flüchtige Blicke auf bocksbeinige Dämonen erhaschte, die stumm irgendwelchen Arbeiten nachgingen, bis er am Ende zu dem Geheimen Gemach der Inanna selbst gelangte, tief, tief unter den sonnversengten Straßen Uruks, wo die schlanke Priesterin ihn erwartete, mit ockergelb gefärbten Wangen und von Kohle schwarzgeschminkten Augenlidern.