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»Nun?« fragte Picasso. »Bin ich zu kritisch mit mir?«

»Das Bild steckt voller wunderbarer Sachen, Pablo.«

»Ja. Wundervolle Sachen, die ich vor ewiger Zeit schon hinter mir gelassen habe. Und da kommen sie wieder. Der Pinsel rutscht mir aus der Hand, Sabartes! Ich male das und herauskommt das da.« Er knurrte und spuckte aus. »A la chingada! Aber was überrascht uns da so? Hier ist so etwas wie eine Art Hölle, nicht? Und wer sagt, daß die Hölle ein gemütlicher Ort ist.«

»Niemand weiß, ob das hier die Hölle ist, Pablo«, sagte Sabartes sanft. »Wir wissen bloß, daß es die Nachwelt ist.«

»Worte!« schnaubte Picasso. »Nennt es doch, wie ihr wollt! Mir kommt es vor wie die Hölle, und hier regiert der Teufel! Früher mußte ich mich bloß mit den Kunsthändlern herumschlagen, und mit den Kritikern, aber hier und jetzt ist es der Teufel. Aber ich habe die aufs Kreuz gelegt, oder? Und ihn werde ich auch noch unterkriegen!«

»Das wirst du, ganz bestimmt«, sagte Sabartes. »Wie heißt denn dein neues Modell?«

»Ishtar«, sagte Picasso unbedacht. »Nein. Nein, das stimmt ja gar nicht.« Er hatte den Namen vergessen. Er sah zu der Frau hin. »Como se llama, amiga?«

»Ich verstehe nicht.«

Englisch, ach ja, erinnerte er sich. Wir reden hier ja englisch miteinander.

»Deinen Namen, sage ihn mir noch einmal, guapa.«

»Ninsun, ehemals Priesterin des Himmlischen Vaters An.«

»Eine Priesterin, Sabartes!« sagte Picasso triumphierend. »Verstehst du? Ich erkannte es sofort. Wir haben uns auf dem Markt getroffen, und ich sagte zu ihr: Komm und laß dich von mir malen, und dann wirst du ewig leben. Und sie sagte zu mir: Ich lebe auch jetzt schon ewig, aber du darfst mich trotzdem malen. Was für eine Frau, eh, Sabartes? Ninsun, die Priesterin.« Wieder wandte er sich zu der Frau. »Woher kommst du, Ninsun?«

»Aus Uruk«, sagte sie.

»Uruk, ja, natürlich. Wir sind hier alle aus Uruk. Aber vorher? Im alten Leben? Eh, comprende?«

»Das Uruk, das ich meine, war das alte Uruk, in Sumer, dem Land. Dem auf der Erde, als wir alle noch lebendig waren. Ich war die Gemahlin Lugalbandas, des Königs. Auch mein Sohn war…«

»Siehst du?« krächzte Picasso. »Eine Priesterin und eine Königin!«

»Und Göttin«, sagte Ninsun. »Jedenfalls glaubte ich das. Als ich alt war, sagte mein Sohn, der König, zu mir, daß er mich zu den Göttern senden werde, damit ich unter ihnen lebe. Es gab in Uruk einen Tempel, der mir geweiht war, direkt am Fluß. Aber statt dessen erwachte ich hier an diesem Nachwelt genannten Ort, und der erscheint mir ganz und gar nicht wie eine Wohnstatt der Götter — und dabei bin ich schon so lange hier, seit so vielen Jahren, und alles immer noch so fremd…«

»Aber du bist ebenfalls eine Göttin«, versicherte ihr Picasso. »Eine Göttin, eine Priesterin, eine Königin.«

»Darf ich das Bild einmal sehen, das du von mir gemalt hast?«

»Später.« Er verdeckte die Leinwand und stellte sie beiseite. Zu Sabartes gewandt, fragte er: »Was gibt’s Neues?«

»Erfreuliche Neuigkeiten. Wir haben den Matador gefunden.«

»Es verdad?«

»Absolut.« Sabartes grinste breit. »Wir haben genau den richtigen Mann.«

»Esplendido!« Picasso spürte plötzlich eine hochschießende lustvolle Freude, die jene Stunden des elenden Kämpfens über dem Bild sofort zunichte machte. »Wer ist es?«

»Joaquin Blasco y Velez«, sagte Sabartes. »Ehemals Barcelona.«

Picasso sah ihn starr an. Er hatte den Namen nie gehört.

»Nicht Belmonte? Joselito? Manolete? Ihr habt Domingo Ortega nicht finden können?«

»Keinen, Pablo. Die Nachwelt ist ziemlich groß.«

»Wer ist dieser Blasco y Velez?«

»Ein außerordentlich großer Matador, sagt man mir. Er lebte in der Zeit von Karl IV. Das war vor unserer Geburt«, setzte er hinzu.

»Gracias! Das hätte ich auch gewußt, Sabartes. Und dein Matador, weiß er, was er zu tun hat?«

»Sie sagen, ja.«

»Wer sind sie?«

»Sportsmänner hier aus der Stadt. Ein Grieche, ein gewisser Polykrates, der sagt, er sah die Stiertänzer in Knossos, und ein Portugiese, Duarte Lopes, und ein Engländer namens…«

»Ein Grieche, ein Portugiese und ein Ingles«, brummte Picasso düster. »Was versteht ein Portugiese vom Stierkampf? Und was versteht ein Engländer schon von irgendwas? Und dieser Grieche, der kennt vielleicht den Stiertanz, aber was bedeutet ihm schon la corrida? Die Sache bedrückt mich, Sabartes!«

»Soll ich warten, vielleicht kann ich Manolete ausfindig machen?«

»Wie du gerade gesagt hast, die Nachwelt ist ziemlich groß.«

»So ist es.«

»Und du versuchst schon so sehr lange, diesen Stierkampf zu organisieren.«

»So ist es, Pablo.«

»Dann versuchen wir es doch mit deinem Blasco y Velez«, sagte Picasso.

Er schloß die Augen und sah wieder die Arena vor sich, kochend von Farben, von Lärm, von Leben. Die vor und zurücktänzelnden Banderilleros, die Picadores, die geschickt ihre Spieße setzten, den Matador, der still in der sengenden Sonne allein dasteht. Und den Stier, den Stier, den Stier, schwarz, schnaubend, den hohen Rücken von Blut bedeckt, die Hörner gereckt wie drohende Lanzen! Wie er das vermißt hatte, seit er in der Nachwelt lebte! Sabartes hatte vor der Stadt Uruk ein altes römisches Stadium entdeckt, das sich zu einer Plaza de Toros umbauen ließ, und er hatte drei, vier Stiere aufgetrieben — dämonische Stiere, nicht so ganz das Wahre, grün-purpurne Kreaturen mit doppelten Rückenwirbeln und Ohren wie Elefanten, doch por dios, wenigstens die Hörner saßen am richtigen Platz —, und Sabartes hatte in der Stadt ein paar Spanier und Mexikaner aufgetrieben, die wenigstens einige oberflächliche Kenntnis der Kunst der Corrida besaßen und die verschiedenen Zweiten Rollen übernehmen konnten. Aber es waren hier einfach keine Matadores zu finden. Massenhaft angeberische Kriegshelden in der Stadt, Assyrer und Byzantiner und Römer und Mongolen und Türken, die sich bereit erklärten, in den Ring zu springen und jedes Tier abzuschlachten, das man ihnen entgegenschickte. Aber wenn er, Picasso, den Wunsch hätte, Metzger an der Arbeit zu sehen, dann konnte er ja gleich in den Schlachthof gehen. Der Stierkampf war ein Schauspiel, ein Ritual, ein religiöser Akt. Ein Tanz. Eine Form von Kunst, und der Matador war der Künstler dabei. Ohne einen echten guten Matador war das Ganze nichts wert. Was konnten irgendwelche grobschlächtigen schwertschwingenden Haudegen schon von der ›Stunde der Wahrheit‹ wissen, davon, wie der Degen gehalten werden, die Capa geschwungen werden mußten, was von den Schritten, von der Technik des Todesstoßes? Nein, es war schon besser, man wartete, bis die Sache anständig getan werden konnte. Aber die Monate vergingen, oder mehr als Monate, denn wer vermochte schon den Fluß der Zeit in diesem Irrenhaus vernünftig zu messen? Die Stiere wurden auf dem Hof, auf dem sie untergebracht waren, feist und träge. Picasso fand es empörend, daß sich kein qualifizierter Kämpfer finden ließ, wo doch jeder, der je gelebt hatte, sich bereits irgendwo hier in der Nachwelt herumtrieb. Man konnte hier El Greco finden, oder Julius Caesar, man konnte hier Agamemnon finden, Beethoven, Toulouse-Lautrec, Alexander den Großen, Velazquez, Goya, Michelangelo, Picasso. Man konnte sogar Jaime Sabartes finden! Aber wo steckten alle die großen Stierkämpfer? Nicht in Uruk, anscheinend, und auch nicht in den benachbarten Landstrichen. Möglich, daß sie in der Nachwelt eine abgesonderte Ecke nur für sich hatten, wo alle, die je eine muleta und den estoque getragen hatten, sich zu einer Corrida versammelt hatten, die Tag und Nacht und Nacht und Tag weltendlos ablief.