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»Dumuzi?« fragte Gilgamesch erstaunt.

»Ja, des Königs in Uruk.«

»Jener, der vor mir herrschte, als wir noch auf der Erde lebten?«

Ur-ninmarka hob bedauernd die Schultern. »Davon weiß ich nichts. Ich war ein Mann aus Lagash im einstigen Land, und Uruk war weit entfernt. Aber Dumuzi ist hier der König, und er hat mich ausgeschickt, dich zu begrüßen und zu deinen Gemächern zu geleiten. Heute abend wirst du mit ihm und den Großen der Stadt dinieren.«

Dumuzi, dachte Gilgamesch und wunderte sich. Erinnerungen aus seinem ersten Leben strömten viel klarer als die an seine Geschicke in der Nachwelt in ihn zurück.

Dumuzi! Dieser bedauernswerte Schwächling! Dieses mörderische Schwein! Es ist bestimmt der gleiche, dachte er, denn hier geschieht immer wieder, was bereits geschehen ist. Also war Dumuzi wieder einmal König in Uruk, jener gleiche Dumuzi, der im alten Leben aus Furcht vor Gilgamesch, dem Sohn des Lugalbanda, den er für seinen Rivalen hielt, obwohl er erst ein vierzehnjähriger Junge war, Mordbuben gegen ihn ausgesandt hatte, die ihn töten sollten. Doch dieser Anschlag schlug fehl, und am Ende war es Dumuzi, der aus der Welt verschwand, und Gilgamesch bekam den Thron. Zweifellos, vermutete Gilgamesch, fürchtet er mich immer noch. Und wird ein zweites Mal seine Hinterlist an mir versuchen. Manche Dinge ändern sich eben niemals, dachte er. So ist das in der Nachwelt. Wie Dumuzi schmerzlich erfahren wird, falls er wieder üble Pläne hegte.

Laut sagte er: »Ich bin entzückt, die Gastfreundschaft eures Königs zu genießen. Bitte sagt ihm das.«

»Das werde ich.«

»Und sagt ihm auch, daß er noch zwei weitere Gäste hat: Simon, den Herrscher der großen Stadt Brasil, und seinen Premierminister, Herodes von Judäa, die meine Reisegefährten sind.«

Ur-ninmarka verneigte sich.

»Noch eins«, fuhr Gilgamesch fort. »Ich nehme doch an, daß in dieser Stadt viele Bürger des Landes Sumer leben.«

»Sehr viele, edler Herr.«

»Kannst du mir sagen, gibt es hier einen gewissen Enkidu, einen Mann von meiner Körpergröße und sehr kräftig und ganz behaart am Leibe wie ein Tier der Wildnis? Ein Mann, von dem man weiß, er ist mein Freund, den zu suchen ich hergekommen bin?«

Die nackte Stirn des Erzveziers furchte sich. »Das kann ich dir nicht sagen, edler Herr. Aber ich will Erkundungen einholen, und du wirst heute noch einen Bericht erhalten, wenn du im Palast speisen wirst.«

»Ich danke dir«, sagte Gilgamesch.

Doch sein Herz wurde schwer. Enkidu war also wohl doch nicht hier; denn wieso sollte Ur-ninmarka es nicht erfahren haben, wenn ein gewaltiger kraftstrotzender behaarter Riese wie Enkidu in die Stadt gekommen war? In der ganzen Nachwelt gibt es keine Stadt, die so groß wäre, daß Enkidu daselbst kein Aufsehen erregen würde, dachte er, und mehr als nur neugieriges Aufsehen!

Doch er behielt dies für sich. Er winkte Simon und Herodes aus dem Landrover und sagte weiter nichts zu ihnen als: »Alles steht zum besten. Heute abend sind wir Gäste auf einem Bankett von Uruks König.«

Jedenfalls schien Dumuzi die Dinge mit Stil zu tun. Für seine Besucher hatte er luxuriöse Suiten in einer prächtigen Herberge hinter dem Haupttempel angeordnet, einem massigen Gebäude, das aussah, als sei es aus einem einzigen schwarzen Granitblock gehauen. Im Innern gab es Fontänen, Arkaden, derart viele Standbildnisse, daß man sich kaum bewegen konnte, ohne gegen irgend etwas zu stoßen, riesenhafte Götterfiguren mit starr blickenden Augen in gefältelten Kleidern nach dem Alten Stil, und gigantische purpurbelaubte Palmbäume, die in großen vielseitigen Pflanzkübeln aus einem schimmernden rötlichen Stein wuchsen, der wie Rubin leuchtete. Vielleicht waren es ja Rubine. Gilgamesch sah, wie Simon einen der Kübel liebevoll begrapschte, als berechnete er bereits, wie viele hundert eigroße Steine daraus zu brechen sein könnten.

Die Reisenden bekamen separate palastwürdige Räume angewiesen, mit einem seidenbezogenen breiten Bett, einer im Boden eingelassenen alabasternen Badewanne und einem Spiegel, der leuchtete wie ein Fenster zum Paradies. Selbstverständlich stimmten in der ganzen Perfektion ein paar Kleinigkeiten nicht, es kam kein heißes Wasser aus den Hähnen, und ein Trupp unangenehm aussehender dickbäuchiger pelziger Insekten mit smaragdenen Augen zog beständig über die Decke in Gilgameschs Gemach, und als er sich auf seinem Bett ausstreckte, gab dieses endlose Jammerlaute von sich, als hätte er sich auf lebendige Wesen gelegt, die dagegen protestierten. Nun ja, es war hier die Nachwelt. Hier rechnete man sowieso bei allem und überall mit Unvollkommenheiten, und man bekam sie prompt serviert. Aber alles in allem war ihre Unterbringung kaum zu überbieten.

Wie aus dem Nichts erschien ein Halbdutzend Diener und half Gilgamesch bei seinem Bad und salbte ihn mit Duftölen und kleidete ihn in einen weißen Rock aus Baumwollplissé im sumerischen Stil, der seinen Oberkörper unbedeckt ließ. Nach einer Weile pochte Herodes an seine Tür, und auch er war sumerisch gekleidet, allerdings trug er noch immer die schimmernden italischen Lederschuhe, statt der Sandalen, und auf dem Kopf die kleine jüdische Yarmulke-Kappe. Die dunklen Kraushaare schimmerten von Pomade.

»Na?« fragte er und stolzierte auf und ab. »Sehe ich aus wie ein Prinz aus dem Lande Sumer, Gilgamesch?«

»Du siehst aus wie ein Gockel wie immer. Und außerdem noch dazu ein ziemlich spilleriger. Deine Toga verdeckte wenigstens die Schwabbelarme und die dürre Brust.«

»Ach, Gilgamesch, wozu brauche ich Muskeln, wenn ich hier was habe?« Er klopfte sich auf den Kopf. »Und solange ich den kühnen König Gilgamesch habe, der mich gegen Übeltäter beschützt?«

»Aber werde ich dich schützen?«

»Aber gewißlich wirst du das.« Herodes lächelte. »Ich tue dir leid, weil ich die ganze Zeit auf meinen klugen Verstand angewiesen bin und mich nur damit verteidigen kann. Nein, du wirst dich schon um mich kümmern. Es liegt nicht in deinem Charakter, jemanden wie mich in Gefahr kommen zu lassen. Außerdem, du brauchst mich.«

»Ach ja?«

»Ja. Du hast zu lange im wilden Outback gelebt. Dir hängen Strohhalme im Haar.«

Automatisch griff sich Gilgamesch tastend an den Kopf.

»Nein. Doch nicht wörtlich, du dummer Affe!« Herodes lachte. »Ich meinte bloß, daß du zu lange von allem weggewesen bist. Du hast mich nötig, damit ich dir die Realität klarmache. Du begreifst die moderne Welt nicht mehr. Du streunst durch die Wildnis und spielst den edlen genügsamen Helden, wogegen an sich nichts einzuwenden wäre, aber du hast dich einfach nicht darum gekümmert, was in der Nachwelt in der letzten Zeit so vorgegangen ist. In den Moden, der Musik, der Kunst, in der neuen Technik.«

»Das alles ist für mich unwichtig. Mode? Und Musik? Musik ist in meinen Ohren nichts weiter als scheppernder Lärm. Bestenfalls banales Zeug, meistens sogar noch schlimmer. Kunst, das ist hier Dekoration, bedeutungslos. Und was diese neue Technik angeht, von der du sprichst, die ist eine Schande und ein Frevel. Ich verabscheue sie alle, diese Erfindungen der Später Toten.«

»Verachte sie, soviel du magst, aber sie sind da und werden bleiben. Diese Neuen Toten sind uns zahlenmäßig tausend zu eins überlegen, und jeden Tag kommen mehr von ihnen her. Man kann sie nicht einfach ignorieren. Auch nicht ihre Technik.«

»Ich kann.«

»Das denkst du vielleicht. Ein Bogen und eine Hand voll Pfeile, das genügt dir, ja? Aber du schreckst vor Dingen zurück, die du nicht erfassen kannst. Du preschst einfach weiter und immer weiter so, und meistens wirst du auch ziemlich gut mit Schwierigkeiten fertig, aber im Grunde hast du keine Ahnung, worum es geht, und früher oder später rennst du einmal in eine Sache hinein, die sogar für dich zu gewaltig ist. Ich dagegen habe mich auf dem laufenden gehalten, was die moderne Entwicklung betrifft. Ich kann dich durch alle Fährnisse und Fallgruben führen. Ich bin auf der Hut, Gilgamesch, ich weiß, was vorgeht. Ich halte Verbindung zu allem. Zur politischen Entwicklung, beispielsweise. Hast du mehr als einen nebelhaften Schimmer von der augenblicklichen Lage? Von den wahrhaft spektakulären Umwälzungen, die sich gerade jetzt ereignen?«