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Er sagte: »Ich ziehe es jetzt vor, hier als Ruiz bekannt zu sein. Damit mich hier keiner meiner Erben ausfindig machen kann. Sie sind sehr zornig auf mich, Bruder, daß ich kein Testament hinterlassen habe, so daß sie jahrelang vor Gerichten herumstreiten müssen. Ich möchte lieber keinen von denen treffen. Auch keine von diesen Weibern, die nach mir suchen. Wir schreiten weiter, Sabartes. Wir dürfen uns nicht von der Vergangenheit verfolgen lassen. Ich bin jetzt Ruiz.«

»Und du glaubst, wenn du dich anders als Picasso nennst, kannst du deiner Vergangenheit entrinnen, obwohl du immer noch aussiehst wie er, dich wie er verhältst und Tag und Nacht malst? Pablo, Pablo, du betrügst dich selber! Du könntest dich Mozart nennen, aber du würdest immer noch Picasso bleiben.«

Das Telefon klingelte.

»Geh du ran!« befahl Picasso scharf.

Sabartes gehorchte. Nach einer Weile legte er die Hand über die Muschel und blickte auf.

»Es ist deine Sumer-Priesterin.«

Picasso beugte sich vor, gespannt, besorgt und bereits grimmig. »Sie sagt die Sitzung ab?«

»Nein, nichts dergleichen. Sie wird in Kürze hier sein. Doch sie sagt, König Dumuzi hat sie für heute abend zu seinem Bankett im Königssaal befohlen und du bist als ihr Tischherr geladen.«

»Was habe ich mit König Dumuzi zu schaffen?«

»Sie bittet dich, sie zu begleiten.«

»Ich habe zu arbeiten. Ihr wißt doch, daß ich kein Mann bin, der sich auf den Festen von Königen herumtreibt.«

»Soll ich ihr das sagen, Pablo?«

»Sag ihr — nein, warte! Warte! Laß mich überlegen. Rede mit ihr, Sabartes. Sag ihr — bitte sie — nein, sag ihr, der König und sein Fest interessierten mich nicht, und ich will, daß sie sofort hier erscheint, daß… daß…«

Sabartes hob die Hand und bedeutete ihm zu schweigen. Dann sprach er ins Telefon, lauschte und blickte wieder auf.

»Sie sagt, das Fest findet zu Ehren ihres Sohnes statt, der heute in Uruk eingetroffen ist.«

»Ihr Sohn? Was für ein Sohn?« Picassos Augen loderten. »Sie hat kein Wort von einem Sohn gesagt! Wie alt ist er? Wie heißt dieser Sohn? Wer ist sein Vater? Frag sie das, Sabartes! Frag sie schon!«

Wieder sprach Sabartes in den Apparat. »Er heißt Gilgamesch«, berichtete er dann. »Sie hat ihn seit ihrem irdischen Leben nicht mehr gesehen, also vor sehr langer Zeit. Ich finde, du solltest sie nicht bitten, die Einladung des Königs abzulehnen, Pablo. Und ich denke, auch du selbst solltest hingehen.«

»Gilgamesch?« fragte Picasso verwundert. »Gilgamesch?«

Buntbemalte Motorkutschen beförderten sie das kurze Stück Weg von der Herberge zum königlichen Festsaal am anderen Ende des Tempelplatzes. Der Bau verwirrte Gilgamesch, denn er war keineswegs im sumerischen Stil; es war ein großes hochragendes Ding aus aschgrauem Stein, mit zwei schmalen Spitzen, die sich höher in den Himmel reckten als irgendeiner der üppigen skurrilen Türme auf Brasil, und mit Spitzbögen über den schweren Bronzetüren und riesenhaften Fenstern aus Buntglas in allen Regenbogenfarben und ein paar mehr dazu. Die Fassade war von dämonischen Steinungeheuern geschmückt. Und manche davon schienen sich langsam zu bewegen. Der Palast war sehr beeindruckend und riesig und kompakt, aber zugleich wirkte er irgendwie merkwürdig zerbrechlich, und Gilgamesch überlegte sich, was ihn vor dem Einstürzen bewahrte, bis er die gewaltigen Strebepfeiler an den Seiten sah. Es paßte so recht zu Dumuzi, sich einen Palast bauen zu lassen, der solche verzweifelten improvisierten Stützen nötig hatte, dachte Gilgamesch. Er fand den Anblick scheußlich. Das Gebäude brach schrill aus der urukanischen Klassik der umliegenden Bauten aus. Sollte ich in dieser Stadt je wieder König werden, schwor er sich, wird meine erste Amtshandlung der Befehl zum Abbruch dieses scheußlichen Steinhaufens sein.

Herodes schien den Bau zu bewundern. »Die vollendete Nachbildung einer gotischen Kathedrale«, erklärte er, als sie hineingingen. »Vielleicht nach der Notre Dame, oder der in Chartres, ich bin nicht sicher. Ich beginne allmählich manches zu vergessen, was ich einst über Baukunst lernte. Ich genoß da einigen Unterricht, mußt du wissen, von einem Mann namens Speer, einem Germanen, der vor einiger Zeit durch Brasil kam und ein paar Sachen für Simon entwarf — ein merkwürdiger Kerl, er fragte mich immer wieder, ob er mir nicht eine Synagoge bauen könnte — wozu hätten wir in der Nachwelt eine Synagoge brauchen können? Aber er verstand etwas von der Sache, und er brachte mir allerlei über die baulichen Stilrichtungen der Später Toten bei. Du wärest erstaunt, Gilgamesch, was für Bauten diese Leute…«

»Kannst du mal eine Weile den Mund halten?« fragte Gilgamesch.

Im Innern besaß das Gebäude tatsächlich eine gewisse Schönheit, fand er. Zu dieser Stunde glühte die Sonne noch rötlich am Himmel, und ihr weiches Licht fiel durch die farbigen Glasfenster und tauchte die hallenhaft weiten offenen Räume des Palasts in ein feierlich-geheimnisvolles Dämmerlicht. In der Höhe schwangen sich, atemberaubend in ihrer Erhabenheit, Reihen von Galerien zu der kaum sichtbaren Spitzbogendecke hinauf. Dennoch besaß das Ganze etwas Bedrückendes, etwas Unheimliches. Gilgamesch zog den Tempel, den er zu Ehren Enlils erbauen ließ, bei weitem vor. Er konnte sich noch gut an ihn erinnern, wie er sich über der Weißen Plattform im Zentrum des alten Uruk erhob. Dieser Bau hatte Grandeur besessen und Würde! Diese Später Toten verstanden nichts von Schönheit.

Dumuzis Diener geleiteten sie ans andere Ende des Palastes, wo am Ende eine weite abgerundete Kammer sich auftat, die an einer Seite Buntglasfenster hatte, an der anderen offen war. Dort war eine festliche Tafel aufgestellt, und Dutzende von Gästen waren bereits versammelt.

Gilgamesch erblickte Dumuzi sogleich. Er stand in prachtvoller Kleidung am Kopfende der gewaltigen Steintafel.

Er hatte sich überhaupt nicht verändert. Er sah gut aus, richtig königlich in seiner Haltung, ein lebensvoll wirkender Mann mit vollem, schwerem Bart und dichtem, welligem Haar, das so dunkel war, daß es beinahe blau wirkte. Doch die Lippen seines Mundes waren zu voll, die Wangen zu weich; die Augen waren zu klein und sahen gleichzeitig verschlagen und stumpf aus. Er wirkte weichlich, unangenehm, unzuverlässig, von niederer Gesinnung.

Doch als er Gilgamesch erspähte, trat er von seinem erhabenen Platz herab, als wäre nicht er, sondern Gilgamesch der König, trat neben ihn und sah mit gebogener Kehle zu ihm auf, schief und ohne das Unbehagen zu verhehlen, das ihm Gilgameschs Körpergröße verursachte, und er grüßte ihn freudig mit lauter Stimme wie einen Bruder, der nach langer Abwesenheit aus der Ferne zurückgekehrt ist.

»Gilgamesch — endlich! Hier bei Uns in Unserem Uruk! Heil dir, Gilgamesch! Heil!«

»Dumuzi, Heil«, antwortete dieser mit so großer Begeisterung, wie er über sich brachte, was nicht übermäßig viel war, und vollzog eine Geste der Ehrerbietung wie man sie im alten Land Sumer wohl gegenüber einem König bezeugt hätte. »Großer König, König der Könige…« Er entdeckte flüchtiges Erstaunen bei Dumuzi. Aber Dumuzi war König in dieser Stadt, und einem König stand die gebührende Höflichkeit zu; jedem König. Auch Dumuzi.

»Komm, mach mich mit deinen Freunden bekannt, Gilgamesch. Und dann mußt du neben mir auf dem Ehrenplatz sitzen und mir alles berichten, was dir in der Nachwelt begegnete und widerfuhr, und von den Städten, die du besuchtest, den Königen, die du trafst, den Taten, die du vollbrachtest. Ich will alle deine Neuigkeiten hören — wir sind hier dermaßen isoliert zwischen der Wüste und dem Meer —, doch einen Augenblick, da sind Leute, die du kennenlernen mußt…«