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Die Vorstellung behagte ihm nicht sonderlich.

Schweigend gingen die zwei dann wieder zum Festsaal zurück.

Gilgamesch sagte: »Das war also der Rat, den du mir zu geben hattest? Daß ich mich von sogenannten Philosophen fernhalten soll?«

»Ja. Und daß du auf der Hut sein sollst vor Dumuzi.«

»Natürlich. Das auch. Aber die Philosophen sollte ich doch wohl mehr fürchten, wenn deine Erfahrungen einigermaßen verbindliche Anhaltspunkte bieten. Mit Schwertern und Dolchen werde ich leicht fertig. Aber zudringliche Wörterschwätzer? Pfui! Sie machen mich ebenso rasend wie dich!« Und gerade da erblickte er Herodes, der aus dem Festsaal kam und ziemlich angeschlagen von den Ausschweifungen der Nacht wirkte. Der kleine jüdische Fürst stützte sich schwankend gegen die dunkle Relieffläche des Gebäudes, atmete mehrmals nacheinander heftig, rieb sich die Augen und fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. Seine weiße sumerische Robe war voll Weinflecken, das Schädelkäppchen saß schief. »Siehst du den Mann da?« fragte Gilgamesch. »Er ist mit mir von Brasil hergereist. Er besteht aus nichts weiter als aus Worten, Worten, Worten. Leih ihm dein Ohr, und er sabbert es dir stundenlang voll. Er ist so kühn wie ein Floh. Und dennoch behauptet er, daß auch er einst ein König war.«

»Gilgamesch?« rief Herodes und beschattete die Augen gegen den Sonnenglast. »Da bist du ja, Gilgamesch!« Unsicher, als fürchtete er, seine Fußknöchel könnten unter ihm wegknicken, kam er heran und sagte: »Ich hab’ dich gesucht. Kann ich mit dir reden?«

»Rede.«

Herodes warf Vy-otin einen scheuen Blick zu und schwieg.

»Also? Was gibt es?« sagte Gilgamesch.

Immer noch zögernd sprach Herodes: »Es ist mir gelungen, heute nacht ein paar Informationen aufzuschnappen. Und ein paar davon dürften dich interessieren.«

»So rede schon!«

»Der Freund deiner Mutter? Der Mann, der dich auf einem Bild malen will?«

Mit wachsender Ungeduld sagte Gilgamesch: »Nun, was ist mit dem?«

»Er benutzt hier den Namen Ruiz. Aber weißt du, wer er in Wirklichkeit ist, Gilgamesch? Er ist Picasso!«

»Wer?«

»Picasso! Pablo Picasso!« Mit seinem vom Wein geröteten stoppelbärtigen Gesicht sah er so aufgeregt aus, als bekäme er gleich einen Schlaganfall. »Er versucht sich hier zu verstecken, vor einer Ex-Gemahlin oder einer Ex-Geliebten, deshalb hat er sich einen anderen Namen zugelegt. Aber einer von Dumuzis Höflingen hat mir gesagt, wer er in Wahrheit ist. Es ist einfach sagenhaft! Und natürlich wirst du dich von ihm malen lassen, ja? Er wird dich zu einem Meisterwerk machen, wie es die Nachwelt noch nie…« Herodes brach ab. »Du bist nicht beeindruckt. Nein, ganz und gar nicht. Du weißt nicht einmal, wer Picasso ist, ja? Er ist bloß der größte Künstler der Nachwelt, der je gelebt hat! Ich habe das studiert, weißt du nicht? Die Kunst der Später Toten, die Musik, die Architektur…«

»Nun, ist es nicht, wie ich dir sagte?« fragte Gilgamesch Vy-otin. »Ein endloses Gesäusele, ein Gewäsch von Wörtern.«

»Ist ja schon gut, dir liegt nichts daran«, sagte Herodes kläglich. »Aber laß dich doch trotzdem von ihm malen. Ich dachte, es freut dich, wenn du erfährst, wer er ist. Aber das war nicht die wichtigste Sache, über die ich mit dir sprechen wollte.«

»Bestimmt nicht. Das Wichtige hebst du dir immer bis zuletzt auf. Wie taktvoll. Schön, dann sprich jetzt.«

Aber Herodes schwieg wieder und sah unsicher zu Vy-otin hinüber.

»Der Mann ist mein lieber Freund und Bruder Henry Smith«, sagte Gilgamesch. »Ich habe vor ihm keine Geheimnisse. Also sprich jetzt, Herodes, oder — bei Enlil! — ich schmeiße dich…«

»Enkidu ist in Uruk, genau wie es dir vorhergesagt wurde«, sprudelte Herodes eilig hervor.

»Was?«

»Der große grobschlächtige Mann, nach dem du suchst. Dein Freund, den du deinen Bruder nennst. Ist das nicht Enkidu?«

»Aber ja, ja!«

»Dieser Höfling erzählte mir — er ist ein Assyrer und heißt Tukulti-Sharrukin und war sehr betrunken. Enkidu ist vor etwa einer Woche hier aufgetaucht. Jedenfalls ging er direkt zum Palast, weil er ein Gerücht gehört hatte, daß du dort sein würdest, oder er hatte einen Traum oder — nun, irgend etwas. Er glaubte jedenfalls, du könntest im Palast sein. Aber da warst du natürlich nicht. Er fragte immer weiter: Wo ist Gilgamesch? Wo ist Gilgamesch? Er soll hier in der Stadt sein. Dumuzi wurde sehr besorgt. Das gefiel ihm gar nicht, daß du irgendwo in der Nähe sein könntest.«

Gilgamesch fühlte ein Tosen in seiner Brust. »Zur Hölle mit Dumuzi. Wo ist Enkidu jetzt?«

»Der Assyrer wußte es nicht genau. Immer noch irgendwo hier in Uruk, glaubt er jedenfalls. Er versprach mir, es herauszufinden und mich wissen zu lassen. Morgen.«

»Er ist Gefangener?« fragte Gilgamesch.

»Beim Stoßzahn!« röhrte Vy-otin. »Wir finden ihn! Wir befreien ihn! Bei der Mutter! Bei den Hörnern des Gottes! Ein Gefangener? Enkidu? Wir reißen die Mauern nieder, hinter denen er festgehalten wird!«

»Sachte!« Gilgamesch legte Vy-otin die Hand auf die Schulter. »Bleib ruhig. Es gibt verschiedene Methoden, die Sache anzugehen, Vy-otin, mein Freund.«

»Du sagtest doch, sein Name ist Henry Smith«, bemerkte Herodes leise.

»Das braucht dich jetzt nicht zu kümmern«, sagte Gilgamesch scharf. Und zu dem Eisjäger: »Hast wäre falsch. Zunächst müssen wir herausfinden, ob Enkidu wahrhaftig hier ist und wo er ist und wer ihn bewacht. Dann wenden wir uns an Dumuzi, behutsam, ganz vorsichtig. Er ist ein Schwächling. Und du weißt ja, wie man mit schwachen Männern umgehen muß, Vy-otin: Fest und direkt, aber darauf bedacht, sie nicht in Panik zu versetzen, denn dann wären sie zu allem fähig. Falls er Enkidu aus Furcht vor mir umbringen läßt, dauert es möglicherweise wieder tausend Jahre, ehe ich ihn wiederfinden kann. Deshalb müssen wir behutsam vorgehen. Was meinst du dazu, Vy-otin, heh?«

»Ich glaube, du hast recht«, gab der Eisjäger zu.

Gilgamesch wandte sich wieder Herodes zu. Ein kläglicher kleiner Mensch, dachte er. Aber klug und brauchbar.

Er lächelte ihn warm an. »Eine gute Nachtarbeit! Gut gemacht, König Herodes! Gut gemacht!«

»Und dies wird deine Maske sein«, sagte Picasso. »Hier. Nimm und setze sie mal auf.«

Er fuhr durch den weiten häßlichen Kellerraum wie eine schnaufende kleine Maschine, räumte Haufen von Zeug um, stieß Gegenstände aus dem Weg. Gilgamesch betrachtete sich die Maske, die er ihm in die Hände gedrückt hatte. Er war verwundert. Sie war so häßlich wie alles übrige in dem Raum. Ein breiter Stierkopf aus Papiermaché mit gewaltigen schwarzen Nüstern und großen klobigen Zähnen. An der linken Seite war ein starres rotes Auge und obenauf ein zweites. Kurze scharfgekrümmte Hörner aus Wachs ragten in groteskem Winkel hervor. Fetzen von krausem schwarzen Fell waren überall aufgeklebt. Das Ding verbreitete einen säuerlichen scharfen Geruch. Anscheinend sollte Gilgamesch es mittels der herabbaumelnden Schnur am Hals befestigen.

»Du willst, daß ich das da trage?« fragte er.

»Natürlich! Setz es auf, setz es dir auf! Du wirst mein Minotauros sein!« Picasso fuchtelte ungeduldig mit der Hand. »Ich habe die Maske heute speziell für dich gemacht.«

Seit dem Fest bei Dumuzi war erst ein Tag vergangen. So häßlich diese Stiermaske war, sie war höchst raffiniert gearbeitet, mußte bestimmt das Werk mehrerer Tage sein. »Wie ist das möglich?« fragte Gilgamesch. »Daß du das so schnell hast machen können?«

»Schnell?« Picasso spuckte das Wort fast aus. »Cagarruta! Ich habe mehr als eine Stunde dafür gebraucht!«

»Dann mußt du ein Zauberer sein.«

Picasso lachte und räumte weiter auf, um Platz in dem Atelier zu schaffen.