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Die Maske war inzwischen erstickend heiß geworden. Er merkte, wenn er sie noch viel länger tragen mußte, würde er keine Luft mehr bekommen. Doch er wagte es nicht, sich zu bewegen. Er war ganz unter dem Bann dieses kleinen Mannes. Ein Zauber, ja, ganz bestimmt, es war Hexerei, dachte er.

»Weißt du, warum ich male?« fragte Picasso. »Ich sage mir jedesmaclass="underline" Was kann ich heute über mich lernen, was ich noch nicht weiß? Die Bilder sind meine Lehrmeister. Wenn nicht mehr ich in ihnen spreche, sondern sie selber, die Bilder, die ich male, und wenn sie sich mir entziehen und mich verspotten, dann weiß ich, ich habe mein Ziel erreicht. Begreifst du? Verstehst du das? Nein?« Er zuckte die Achseln. »Ach, macht auch nichts. So. Ja. Wir können jetzt abbrechen. Genug für heute. Es läuft gut. Por dios, es läuft gut!«

Gilgamesch verlor keine Zeit, sich von der Maske zu befreien. Er rang nach frischer Luft, aber die gab es hier unten nicht. Der Raum war drückend schwer von Schweißgeruch erfüllt.

»Ist es fertig?« fragte er. Er hatte keine Ahnung, wie lange er Modell gestanden hatte, zehn Minuten oder einen halben Tag lang.

»Vorläufig«, sagte Picasso, »Komm und schau es dir an.«

Er drehte die Staffelei herum. Gilgamesch sah gebannt auf die Leinwand.

Was hatte er zu sehen erwartet? Das Abbild eines hochgewachsenen muskulösen Mannes mit einem häßlichen Stiergesicht, mit weit aufgerissenem Maul, geschwollener Zunge, wütenden roten Augen, die in verschiedene Richtungen blickten, das Gesicht der Stiermaske. Aber in dem Bild waren zwei nackte Männer, die einander gegenüber hockten, Gesicht an Gesicht, wie Ringer zum Angriff bereit. Der eine war riesenhaft, schwarzbärtig, hatte starke herrscherliche Gesichtszüge. Gilgamesch erkannte sich selbst in dem Porträt sofort: es sah ihm erstaunlich ähnlich. Der andere Mann war viel kleiner, untersetzt, breitschulterig, breitbrüstig. Eindeutig Picasso selbst. Doch sein Gesicht war nicht sichtbar. Es war der kleinere Mann, der die Stiermaske trug.

Als er hinaus auf die Straße der Gerber und Färber trat, lauerten dort drei Mordgesellen auf Gilgamesch. Er war weder überrascht noch erschrocken. Sie warteten so offensichtlich auf ihn, daß klar war, was sie vorhatten, bevor sie ihre Waffen herausholten.

Sie waren ziemlich ungeschickt als urukanische Polizisten verkleidet und trugen schlechtsitzende Khaki-Uniformen mit dunklen Schweißflecken in den Achselhöhlen. Einer davon hatte eine große breite Nase und schwamm in einer dicken Wolke von Knoblauch, und er mochte leicht ein Hittiter sein; die anderen zwei waren Später Tote und hatten diese seltsam gelben Haare, wie manche davon sie haben, und kümmerliche ungepflegte Kinn- und Lippenbärte. Sie trugen Schußwaffen.

Gilgamesch vergeudete keine Zeit. Er hieb einem der Später Toten mit der Handkante gegen den Hals und schleuderte ihn in eine schmale Seitengasse, wo er taumelnd auf das Gesicht fiel und zuckend, röchelnd und spuckend auf dem Boden lag. Beim Zurückschwingen rammte Gilgamesch dem Hittiter scharf den Ellbogen in die breite Nase, und gleichzeitig packte er den dritten Kerl am Handgelenk und drehte ihm die Pistole aus dem Griff und kickte sie auf die andere Straßenseite.

Der dritte Mann schrie auf und rannte mit heftig rudernden Armen rasch davon, und Gilgamesch zog seinen Dolch und wandte sich wieder dem Hittiter, der beide Hände aufs Gesicht gepreßt hatte, zu. Zwischen den Fingern lief das Blut hervor.

Gilgamesch setzte die Dolchspitze an den Bauch des Mannes. »Wer hat euch geschickt?«

»Du hast mir das Nasenbein gebrochen!«

»Höchstwahrscheinlich. Nächstesmal solltest du deine Nase nicht gegen meinen Ellbogen rammen«, sagte Gilgamesch und drückte die Dolchspitze ein wenig fester. »Hast du einen Namen?«

»Tudhaliyash.«

»Das ist kein Name. Das ist ein Rülpser. Du bist Hittiter?«

Tudhaliyash nickte kläglich. Das Blut floß nun schon etwas weniger üppig.

»Für wen arbeitest du, Hittiter?«

»Für die Stadtregierung von Uruk«, schniefte der Mann dumpf. »Amt für Maße und Gewichte.«

»Und ihr seid gekommen, um mich zu wiegen oder um mich zu messen?«

»Ich war mit meinen Freunden auf dem Weg ins Wirtshaus, als du uns angegriffen hast.«

»Genau. Ich greife oft Fremde auf der Straße einfach so an, besonders wenn sie zu dritt daherkommen. Wer hat euch nach mir ausgesandt?«

»Es würde mich das Leben kosten, wenn ich das sagte.«

»Es kostet dich dein Leben, wenn du schweigst«, sagte Gilgamesch und drückte die Dolchspitze ein bißchen härter gegen den Leib des Mannes. »Ein Stoß damit, und ich expediere dich in dein künftiges Leben. Aber du wirst dort nicht schnell ankommen. Es dauert lange, bis man an aufgeschlitzten Därmen krepiert.«

»Ur-ninmarka hat mich geschickt«, murmelte der Mann.

»Wer?«

»Der königliche Erzvesir.«

»Ah ja, ich erinnere mich. Dumuzis rechte Hand. Und wen solltet ihr töten?«

»G-G-G-Gil…«

»Sprich es aus!«

»Gilgamesch.«

»Und wer ist das?«

»Der frühere K-könig.«

»Und bin ich Gilgamesch?«

»Ja.«

»Ich bin der Mann, den ihr töten solltet?«

»Ja. Ja. Erledige es rasch, Gilgamesch! Ins Herz, nicht in den Bauch!«

»Es ist die Mühe nicht wert, hinterher die Klinge von dir säubern zu müssen«, sagte Gilgamesch kalt. »Ich will gnädig sein. Du sollst leben und noch eine Weile weiterrülpsen dürfen.«

»Tausendfachen Segen über dich! Millionenfachen Segen!«

Gilgamesch verzog das Gesicht. »Es reicht! Verzieh dich aus meiner Nähe. Zeig mir, wie gut du rennen kannst. Und nimm deinen kotzenden Freund da drüben mit. Ich will diese ganze Begegnung vergessen. Ich erinnere mich nicht, etwas von dir erfahren zu haben, und weiß nichts darüber, daß euch jemand auf mich angesetzt hat. Hast du kapiert? Ja, ich denke, du hast kapiert. Also los jetzt. Verpiß dich!«

Die beiden waren wirklich ganz passable Läufer. Gilgamesch lehnte sich gegen die Mauer von Picassos Haus und blickte ihnen nach, bis sie verschwunden waren. Wie lästig, dachte er, einfach so auf der Straße überfallen zu werden. Dumuzi hätte sich etwas Phantasievolleres einfallen lassen können. Hätte ein paar Dämonen dazu überreden können, daß sich die Straße unter mir auftut und mich verschlingt, oder mir einen Kessel brennendes Öl von einem Dach aus auf den Kopf gießen, oder etwas in der Art.

Er sah sich sorgfältig um, ob noch jemand auf ihn lauerte. Das Haus auf der anderen Seite war von einem schwachen Ektoplasmaschimmer umgeben, als dringe eine diabolische Wesenheit durch die Mauern, doch war dies nicht ungewöhnlich. Sonst schien alles ruhig zu sein. Rasch ging er ans Ende der Straße und bog dort links in eine andere, die Straße der Kamele hieß, und ging da weiter über den Gang der Seufzer und den Platz des Geflüsters zu der großen Plaza, an der seine Herberge lag.

Dort wartete Herodes bereits auf ihn und sprudelte über von Neuigkeiten.

»Dein Freund sitzt tatsächlich als Gefangener in Uruk«, sagte er. »Wir haben herausbekommen, wo sie ihn festhalten.«

Gilgamesch riß weit die Augen auf. »Wo ist er? Was haben sie mit ihm gemacht? Woher weißt du es?«

»Tukulti-Sharrukin ist unsere Informationsquelle, der assyrische Höfling, der so gern zuviel trinkt. Deinem Freund geht es gut. Der Assyrer sagte, es ist ihm in keiner Weise ein Leid geschehen. Er befindet sich an einem Ort, der das Haus des Staubes und der Finsternis heißt, am Nordende der Stadt. Haus des Staubes und der Finsternis, was für ein lustiger Name, wie?«