»Du Idiot!« Gilgamesch vermochte kaum seinen Zorn zu beherrschen.
Herodes wich erschrocken zurück. »Was ist denn?«
»Dein assyrischer Freund hat sich einen Scherz mit dir gemacht, du Narr! Jeder, der von den Zwei Strömen kommt, würde wissen, was das ist, das Haus des Staubes und der Finsternis. Es ist einfach die Bezeichnung, die wir im alten Sumer für den Ort hatten, an den du Toten gehen. Begreifst du denn nicht? Wir sind alle hier im Haus des Staubes und der Finsternis!«
»Nein«, sagte Herodes und wich noch weiter zurück, da Gilgamesch bedrohliche Handbewegungen machte. »Ich habe keine Ahnung von Sumer, aber dieses Gebäude heißt hier und jetzt tatsächlich so. Ich habe es gesehen. Der Name steht über dem Eingang. Es ist einfach bloß ein Gefängnis, Gilgamesch. Dumuzis spezielles Ersterklasse-Gefängnis für seine politischen Häftlinge, sehr hübsch, sehr komfortabel. Sieht aus wie ein Hotel.«
»Du sagst, du warst dort?«
»Tukulti-Sharrukin brachte mich hin.«
»Und Enkidu? Du hast mit ihm gesprochen?«
»Nein. Ich bin nicht hineingegangen. So sehr gleicht es einem Hotel auch wieder nicht. Doch Tukulti-Sharrukin sagt…«
»Wer ist dieser Assyrer? Weshalb verläßt du dich so auf das, was er dir sagt?«
»Vertraue mir. Er haßt Dumuzi — irgendwas Geschäftliches, das schiefging, eine echte Gaunerei, er und der König hatten eine Partnerschaft bei einem Bebauungsprojekt, und der König hat ihn beganefft und die Gewinne allein eingesackt. Und deshalb will er jetzt alles tun, um es Dumuzi heimzuzahlen. Er hat mir alles darüber erzählt, in der Nacht bei dem Fest. Er und ich, wir sind da so dicke Freunde geworden, Gilgamesch, so dick. Er ist einer von meinem Volk, mußt du wissen.«
»Er ist was?«
»Jude. Wie ich.«
Gilgamesch runzelte die Stirn. »Ich dachte, er ist Assyrer.«
»Ein assyrischer Jude. Sein Großvater war der assyrische Gesandte in Israel, zur Zeit König Davids, und der verliebte sich in eine von Davids Nichten und mußte zum Judentum konvertieren, um sie heiraten zu können. Die Sache muß ein verdammt saftiger Skandal gewesen sein: eine Nichte des Königs heiratet nicht bloß einen Goi, sondern auch noch einen assyrischen. David wollte ihn ermorden lassen, aber der Mann genoß ja diplomatische Immunität, also ließ König David ihn zur Persona non grata erklären, und er wurde heim nach Ninive geschickt. Aber irgendwie schaffte er es, die Frau mitzunehmen, und nachdem sie zurück in Assyrien waren, blieb die Familie weiter koscher. Also, du hättest mich mit ‘nem Strohhalm umwerfen können, als der mir erklärt hat, er ist auch ein Jid, weil er doch so ein gemeines Assyriergesicht hat, wo die Nase gleich aus der Stirn springt, weißt du, und diesen absurden Kräuselbart, den die alle tragen, mit diesen kleinen Kringeln, aber wenn du ihm erst einmal eine Weile zugehört hast, wie der redet, dann zweifelst du überhaupt nicht mehr, daß…«
»Wenn ich dir noch eine Weile zuhöre, wie du redest«, sagte Gilgamesch, »dann überkommt mich das Verlangen, dich zu erwürgen! Kannst du denn nie bei der Sache bleiben? Es ist mir gleichgültig, wen dein komischer Stammesgenosse geheiratet oder nicht geheiratet hat. Ich will wissen, ob er uns helfen wird, Enkidu zu befreien, oder nicht?«
»Spiel nicht den Antisemiten, Gilgamesch. Es steht dir nicht besonders. Tukulti-Sharrukin hat versprochen, für uns zu tun, was er kann. Er kennt den Typ, der im Haus des Staubes und der Finsternis den Zentralcomputer bedient. Der wird versuchen, die Software durcheinander zu bringen, so daß Enkidus Name von der Insassenliste verschwindet, und dann können wir ihn vielleicht hinten rausholen. Aber das ist natürlich nicht garantiert. Und es wird nicht einfach werden. In ein, zwei Tagen wissen wir, ob es klappen kann. Ich tue wirklich mein Bestes für dich, weißt du.«
Gilgamesch schloß die Augen und atmete kräftig durch. Herodes war zwar so etwas wie ein Pickel am Po, doch er brachte etwas zuwege.
»Gut. Verzeih mir meine Ungeduld, Herodes.«
»Es beglückt mich immer, wenn du dich entschuldigst. Noch vor einer Minute hattest du diesen Schimmer im Auge, der sagt: Ich hab’ keine Geduld mit Narren. Und ich fürchtete schon, du schmeißt mich gleich von hier bis Nova Roma.«
»Weshalb sollte ich Geduld mit Narren haben?«
»Stimmt. Aber ich bin wirklich nur ein kleinerer Narr.« Herodes grinste breit. »Also, zu anderen Sachen. Du weißt, daß Dumuzi einen Kontrakt auf dich ausgesetzt hat, oder?«
»Einen Kontrakt?« Gilgamesch war aufs neue verblüfft.
»Jupiter! Wo hast du denn dein Englisch gelernt? Dumuzi will, daß du getötet wirst, meine ich. Tukulti-Sharrukin hat mir auch das gesagt. Dumuzi macht sich in die Höschen vor Angst, daß du die Macht ergreifen könntest in seiner Stadt, und deshalb…«
»Ja, ich weiß. Es haben schon drei Komiker versucht, mich anzugreifen, als ich aus dem Haus von Picasso wegging. Einer hat zugegeben, daß er für Dumuzi arbeitet.«
»Du hast sie getötet?«
»Nein. Ich habe sie bloß ein wenig angekratzt. Wahrscheinlich sind sie inzwischen schon halb in Brasil. Aber ich nehme an, es wird weitere Versuche geben. Das wird mich aber nicht meinen Schlaf kosten. Wo ist Simon?«
»Im Badehaus. Er versucht, nüchtern zu werden. Er und ich sind in Kürze zu einer Audienz beim König fällig. Simon möchte ein Handelsabkommen rüberbringen, er möchte Dumuzi ein paar Dutzend seiner überschüssigen Nekromanten, Thaumaturgen und Schamanen als Tausch gegen einige Barrels der Diamanten, Rubine und Smaragde anbieten, die — wie er glaubt — tonnenweise in Dumuzis Schatzkammer liegen.«
»Sogar ein Blödian muß doch sehen, daß diese Stadt hier nicht gerade von Diamanten und Rubinen überquillt!«
»Das sage mal du dem Simon. Ich bin ja nur ein Angestellter. Er ist vierhundertprozentig davon überzeugt, daß diese Stadt überquillt von kostbaren Edelsteinen, und du weißt doch, wie ihm das Maul wässert nach sowas. Er würde für sechs Pfund Saphire seine Schwester verkaufen, der meschuggene goische kup. Na, der Scheißkerl wird’s merken. Wie hat es mit dir und Picasso geklappt?«
»Er ließ mich eine merkwürdige Maske aufsetzen, mit einem Stiergesicht. Aber als er mich gemalt hatte, war er auch mit in dem Bild, und er hatte selber die Maske auf. Ich habe das nicht verstanden, Herodes.«
»Das ist Kunst. Du mußt nicht versuchen, das zu verstehen.«
»Aber…«
»Glaub es mir. Der Mann ist ein Genie. Vertraue dich ihm an. Er wird ein Meisterwerk machen, und wen kümmert es dann noch, wer von euch beiden die Maske aufhat? Aber davon verstehst du wohl nichts, von diesen Dingen, Gilgamesch, wie? In deiner Zeit warst du was Großes, sagen sie mir jedenfalls alle, ein grandioser Kämpfer und sogar ein bemerkenswerter Baumeister, aber auch du hast deine Grenzen. Schließlich, auch du hast deine goische kup. Allerdings muß ich zugeben, daß du dich ganz gut hältst, wenn man dein Handicap bedenkt.«
»Du hast zu viele mir unbekannte Wörter benutzt. Was ist das goische kup?«
»Es bedeutet, du hast das Hirn eines Heiden.«
»Eines Heiden?«
»Es bedeutet weiter nichts als nicht-jüdisch. Sei nicht beleidigt, du weißt doch, wie sehr ich dich bewundere. Kommt ihr gut zurecht, Picasso und du?«
»Wir finden uns gegenseitig amüsant. Er hat mich eingeladen, am Sonntag bei einem Stierkampf bei ihm in seiner Loge zu sitzen.«
»Ah. Ja, dieser Stierkampf. Seine große Leidenschaft.
Zuzuschauen, wie schmale, junge spanische Mannes ihren Degen in große wütende Tiere stechen. Auch so ein meschuggener Typ, dieser Picasso. Er und seine Stierkämpfe. Sicher, ein Genie, aber trotzdem ein Meschuggener.«