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Der Stier warf sich von einer Seite zur anderen, um Enkidu abzuschütteln. Gilgamesch stürzte vorwärts und bekam eine Ladung vom schaumigen Schweiß des Stiers mitten ins Gesicht. Es ätzte wie Säure. Er zog das Schwert, aber der Stier wich außer Reichweite und bäumte sich so gewaltig, daß er Enkidu beinahe abgeworfen hätte.

Aber der ließ sich nicht die geringste Furcht anmerken. Er hielt sich, seine Schenkel umklammerten den Nacken des Stieres, knapp vor den Rückenwirbelzacken, und er umklammerte die teuflischen Hörner mit festem Griff. Und mit seiner ganzen großen Stärke rang er, um den Stierschädel nach unten zu drücken.

»Stoß zu, Bruder, stoß zu!« rief Enkidu.

Doch es war noch zu früh. Der Stier hatte noch gewaltige Kampfreserven. Er schoß wild umher und im Kreis, und die scharfe Schuppenhaut seiner Flanke streifte Gilgameschs Rippen, so daß er zu bluten begann. Der Stier sprang und bockte, wieder und wieder, hämmerte die Hufe in den Boden. Und Enkidu taumelte obenauf wie eine Fahne im Sturm. Er schien fast den Halt zu verlieren, dann rief er laut mit seiner stärksten selbstsicheren Stimme und saß wieder obenauf und schwankte hoch über dem messerscharfen Rücken der Bestie. Er packte die Hörner erneut und drehte dem Tier den Kopf herum, und der Stier gab nach, wurde schwächer, senkte das Haupt zur Seite, so daß der Nacken Gilgamesch zugewandt war.

»Stoß zu!« rief Enkidu wieder.

Und diesmal stieß Gilgamesch die Klinge hinein.

Er fühlte ein Beben, ein Schaudern, eine heftige Bewegung im Körper des Tieres. Es wehrte sich sichtlich lange gegen den Tod, doch der Stoß hatte genau gesessen, und plötzlich knickten die Beine ein. Gilgamesch reichte Enkidu die Hand, und dieser sprang von dem Tier und stand neben ihm.

»Ach, Bruder«, sagte Enkidu. »Ganz wie in den alten Tagen, nicht?«

Gilgamesch nickte. Er blickte nach oben. Auf sämtlichen Rängen tobten die Zuschauer jetzt. Verblüfft sah er, daß Dumuzi aus der Königsloge in die von Picasso geklettert war. Als bangte er um seine Sicherheit, hatte der König einen Arm fest um Ninsuns Hüfte, die andere um Picassos Hals geklammert, zerrte sie aus der Loge und zwang die sich wehrenden Geiseln auf den Ausgang zu.

»Deine Mutter«, sagte Enkidu. »Und dein kleiner Maler.«

»Ja. Los. Komm!«

Sie stürzten zu den Tribünen zurück. Dort hatte Ninsun sich aus Dumuzis Griff entwunden, nach einem der Wächter in der Nebenloge gegriffen, und als sie wieder herumfuhr, schwang sie einen Dolch in der Hand. Verzweifelt versuchte Dumuzi, Picasso gegen die Waffe zu schleudern, doch während Gilgamesch noch erschrocken hinschaute, wirbelte seine Mutter mit der Geschicklichkeit eines Kämpfers herum und rammte den Dolch tief in Dumuzis Flanke. Im gleichen Augenblick kam Simon von hinten und stieß dem König sein Schwert in den Leib. Dumuzi stürzte zu Boden. Picasso stand reglos, die Augen in die Ferne gerichtet, wie in einem Traum verloren. Ninsun blickte auf die Hand, die den Dolch geführt hatte, als hätte sie diese Hand noch nie gesehen.

»Hier herauf!« brüllte Vy-otin Gilgamesch zu; nicht aus Picassos Loge, sondern aus der Königsloge. »Rasch!«

Der Eisjäger streckte ihm die Hand hin. Gilgamesch sprang hinauf neben ihn. Vy-otin machte eine Geste mit dem Arm.

»Auf den königlichen Sessel. Schnell!«

»Was?«

»Dumuzi ist tot. Er verlor die Nerven, als seine Scharfschützen nicht das Feuer eröffneten, und versuchte, mit deiner Mutter und Picasso als Geiseln zu fliehen, und…«

»Ja. Ich hab’ es gesehen.«

»Du bist jetzt hier König. Also steig da rauf und benimm dich wie ein König!«

»König?« Gilgamesch schien nur mühsam zu begreifen.

Vy-otin schob ihn, und Gilgamesch ergriff die Kante des Königssitzes, zog sich hinauf und wandte sich um und blickte über die vielen Ränge des Stadions hinauf. Der Himmel hatte sich verdüstert und wimmelte von kreischenden geflügelten Dämonen. Überall kochte und brodelte es in der Menge der Zuschauer. Alle schienen außer Rand und Band zu sein.

Er breitete die Arme weit aus. »Volk von Uruk!« dröhnte er mit einer Stimme wie ein ausbrechender Vulkan. »Hört mich! Ich bin Gilgamesch! Hört meine Stimme!«

Und »Gilgamesch!« antwortete sofort ein tosendes Gebrüll. »Gilgamesch! Der König! Gilgamesch! Gilgamesch!«

»Du machst deine Sache gut«, sagte Vy-otin.

Er fühlte andere Gestalten um sich herum. Herodes, Simon Magus. Vy-otin — Enkidu — Ninsun — Picasso…

Er wandte sich zu ihnen.

»Bei Enlil, ich schwöre euch, ich bin nicht hergekommen, um mich zum König zu machen«, sagte er verärgert.

»Aber das verstehen wir doch«, besänftigte Herodes.

»Selbstverständlich«, sagte Simon.

»Schwing weiter die Arme«, sagte Vy-otin. »Sie beruhigen sich schon ein bißchen. Befiehl ihnen einfach, sie sollen sich wieder setzen und ruhig bleiben.«

Und wieder ertönte das gewaltige Volksgebrüll. »Gilgamesch! Der König Gilgamesch!«

»Siehst du?« sagte Vy-otin. »Du machst deine Sache ganz großartig, Majestät! Ganz hervorragend!«

Und ja. Ja. Gegen seinen Willen verspürte er jetzt das Anschwellen der Macht in sich, dieses Gefühl der Kraft und gerechten Stärke, wie sie in dem Wort ›Majestät‹ enthalten sind. Er war vielleicht nicht in der Absicht hierher gekommen, sich zum König zu machen, doch nun war er dennoch der König, Uruks König in der Nachwelt, so wie er einst der König von Uruk in Sumer, dem Land, gewesen war. Er gestikulierte, und er fühlte, wie sich die Menge in seinen Griff schmiegte. »Volk von Uruk! Ich bin euer König! So setzt euch wieder hin! Ihr alle, setzt euch!«

Und nun gehorchten sie ihm. Erst standen sie wie erstarrt da, dann begannen sie wieder zu ihren Plätzen zurückzukehren. Das Schreien und Tosen schwoll ab und wurde zu einem dumpfen Gemurmel und verstummte dann ganz. Im Stadion herrschte eine unheimliche Stille.

Enkidu sagte: »Befiehl ihnen, sie sollen noch einen von diesen Stieren hereinlassen. Und wir zwei werden mit ihm kämpfen, Gilgamesch. Wir werden sämtliche Stiere besiegen, die sie uns entgegenschmeißen können. Ja? Ja?«

Gilgamesch warf Picasso einen Blick zu. »Was sagst du dazu? Sollen wir die Corrida fortsetzen?«

»Ah, Companero, das ist kein Stierkampf, wie ihr zwei das anstellt. Ich bin nicht hergekommen, mir sowas anzusehen, dieses Herümgehüpfe auf dem Rücken des Tom.« Doch dann lachte er. »Aber es ist ja auch kein Stier, was, König Gilgamesch, nicht wahr? Also, weshalb sollte man dann nach dem spanischen Reglement mit ihm kämpfen? Geht! Geht nur! Beginne deine neue Herrschaft mit einer Corrida à la Uruk! Zeig uns, was du drauf hast, Freund! Ich werde zeichnen, während du am Werk bist.«

Gilgamesch nickte. Leise sagte er zu Herodes:

»Schafft den toten König von hier fort, ja? Und laßt den Erzkanzler und auch die anderen Höheren Hofchargen festnehmen!« Und mit einer auffordernden Handbewegung zu Enkidu sprang er wieder in die Stierkampfarena hinab. Er rief den Aguaciles auf der anderen Seite der Arena Befehle zu, und das Tor wurde geöffnet und heraus stürmte ein zweiter Höllenstier. Und gelassen erwartete ihn der neue König von Uruk. Und Enkidu stand an seiner Seite.

17

Alles in allem erledigten sie fünf Stiere an diesem Tag. Und jeder Kampf begann in Schweigen, die Zuschauer waren unsicher und beklommen und über den neuen seltsamen Sport wohl ebenso erstaunt, so schien es, wie über den gleichzeitigen Machtwechsel, der sich vor ihren Augen abgespielt hatte. Doch sobald die Banderilleros und Picadores sich an ihr Werk begaben und der gereizte Stier schnaubte und bockte und mit den Hufen scharrte, wuchsen die Erregung und der Lärm gewaltig an, und als die beiden starken Helden zum fünftenmal in die Arena schritten, um die Corrida zum triumphalen Ende zu führen, bebte das Stadion von anhaltendem gewaltigen Gebrüll, von einem wilden Durcheinander von Rufen und Schreien, und es verebbte nicht, bis der letzte Stoß getan war und das groteske Stierungeheuer im Sand der staubigen Arena zusammenbrach.