»Du weißt, du bist mir als Gast herzlich willkommen, solange du bleiben möchtest, Simon.«
»Ich danke dir für deine Großzügigkeit. Doch ich war lange genug von meiner eigenen Stadt weg. Wer weiß, was sich dort alles getan hat, während ich hier in Uruk weile?«
»Gewiß haben doch deine Weisen und Zauberer in Brasil alles sorgfältig unter Kontrolle«, sagte Gilgamesch.
»Ja. Hoffe ich jedenfalls.«
Es folgte ein unbehagliches Schweigen. Gilgamesch hatte den Eindruck, daß Simon mehr auf dem Herzen hatte, als nur sich zu verabschieden, etwas von beträchtlicher Wichtigkeit, doch Simon wartete einfach stumm, mit kalten zusammengekniffenen Äuglein, und die Flecken und Verfärbungen in dem weichen Schwabbelgesicht traten feuriger hervor als gewöhnlich.
»Möchtest du einen Becher Wein?« fragte Gilgamesch schließlich.
»Wein ist mir stets willkommen. Ja, danke.«
Gilgamesch winkte. Ein Diener brachte einen Krug voll des schweren dunklen Uruk-Weins.
Simon trank kräftig, verschüttete ein wenig davon auf seine bereits von dunkelpurpurnen Flecken besudelte Toga und sagte: »Nun hast du also dein Königtum zurück, Gilgamesch.«
»So ist es.«
»Die Königsherrschaft, die du so hartnäckig nicht hast haben wollen.«
»Sie ist mir zugefallen. Es wäre falsch gewesen, sie abzulehnen.«
»Ja, wahrlich falsch«, sagte Simon. »Es gibt so etwas wie eine fundamentale Richtigkeit, der man sich fügen muß, und wir erkennen sie, wenn wir auf sie stoßen. Es ist eine Kraft, geteilt zwischen Oben und Unten, sich selber erschaffend, selbst vergrößernd, eigensüchtig, selbstzufrieden, sie ist ihre eigene Mutter, ihr eigener Vater, ihre eigene Schwester, ihr eigener Gemahl, ihr eigner Sohn, Mutter, Vater, der Ursprung aller Dinge.«
Gilgamesch blinzelte, zog die Brauen zusammen und sah ihn starr an.
»Was du da sagst, ist schwer zu verstehen, Simon.«
»Ich finde es recht klar.«
»Daran zweifle ich nicht«, sagte Gilgamesch. »Aber du bist ein Weiser und ein Zauberer. Du steckst voll solch seltsamen Weisheiten und Rätselworten. Ich aber bin nur ein einfacher Krieger.«
»Und ein König.«
»Ja, und ein König.«
»Ein sehr großzügiger König.«
Gilgamesch winkte, daß Simons Glas erneut gefüllt werde. Ungeduld stieg in ihm auf.
»Genug von dem Getänzle, Simon. Was möchtest du von mir erbitten?«
»Ich erinnere dich daran, daß wir als Partner hierher gekommen sind. Du, um dein Uruk und deinen Enkidu wiederzufinden, und ich…«
»… um die Schätze Uruks zu plündern, ja.«
»Ja.«
Gilgamesch lächelte. »Aber es gibt hier keine Edelsteine, Simon.«
»Wie willst du das wissen?«
»Es sind in den Wänden deines Palastes in Brasil auf einer Elle mehr Edelsteine angebracht, als ich in ganz Uruk gesehen habe.«
»Ah. Aber da irrst du dich.«
»Irre ich mich? Dann klär mich auf.«
Simon kam näher und sagte mit gedämpfter Stimme: »Hier gibt es Schätze im Überfluß. Ich habe meine Methoden, Informationen zu bekommen. Ich habe nicht mein ganzes Zauberhandwerk vergessen, Gilgamesch. Rufe deine Hofbeamten zusammen und befrage sie, was sie von Dumuzis Schatz wissen, und du wirst höchst erstaunt sein.«
»Ich gewöhne mich allmählich an große Überraschungen«, sagte Gilgamesch.
»Nun, du wirst eine weitere erleben. Es gibt hier Schätze, genau wie es die Erzählungen behaupten.« Seine Gesichtsfarbe wurde dunkler. Die Lippen und Kiefer mahlten lüstern wie die eines hungrigen Vielfraßes. »Wir hatten eine Abmachung, Gilgamesch! Wir kamen als Partner hierher. Ich erinnere dich daran, Gilgamesch — ich erinnere dich daran, daß…«
Der Sumerer hob die Hand und nickte. Doch Simon gab sich damit nicht zufrieden.
»Ich will meinen Anteil! Ohne mich hättest du nie auch nur eine Ahnung von diesem Ort hier gehabt! Ich mahne dich, Gilgamesch — ich flehe dich an, verweigere mir nicht, was ich suche. Ich bitte dich sehr.«
»Du brauchst keine Befürchtungen zu haben, Simon«, sagte Gilgamesch ruhig. »Ich schlage dir nichts ab, soweit es im Rahmen meiner Möglichkeiten liegt, es dir zu gewähren. Aber erst laß mich mal diesen Schatz finden, den es, wie du behauptest, hier gibt. Bisher habe ich nur deine Behauptung, daß er existiert, deshalb kann auch ich dir heute nur Worte geben. Aber wenn ich die Schätze habe, ach, Simon, dann sollst du deinen vollen Anteil davon haben. Das schwöre ich dir hiermit.«
»Ehrlich?«
»Bei der Seele meiner Mutter schwöre ich es.«
»Sehr gut, Gilgamesch. Aber bald, ja? Bald.«
»Ja. Bald.«
Dann ging Simon, scheinbar beruhigt, nach einem weiteren Schluck Wein und einem eindringlichen fragenden Blick, den er Gilgamesch zuwarf. Dieser schaute ihm nach, verwundert darüber, daß Simon von einer so tiefen Gier beherrscht war. Und wonach? Nach lächerlichen Glitzersteinen? Das erschien Gilgamesch als noch sinnloser als Gier nach Macht, von der so viele Männer und nicht wenige Frauen in wüste und fruchtlose Mühen getrieben worden waren. Da war dieser Simon, ein gescheiter Mensch, sogar ein Philosoph, und der gierte und geiferte mit kindischer Sucht nach hübschen Klunkern, was so abstoßend wirkte bei einer Person, die so weit über das Kindesalter hinaus war. So vor ihm herumzuhängen, Andeutungen zu machen, sich zu winden und am Ende einfach um die Kinkerlitzchen zu betteln, nach denen er gierte.
Schön, sollte es hier für Simon Edelsteine geben, so sollte er sie bekommen. Gilgamesch hatte keine Verwendung für so etwas. Er ließ den Oberaufseher der Königlichen Truhen rufen, einen eunuchenhaft feisten sumerischen Glatzkopf namens Akurgal, und sagte: »Gehört die Pflege des Reichsschatzes zu deinem Aufgabenbereich?«
»Dem ist nicht so, Majestät.«
»Gehört der Reichsschatz nicht zur Königlichen Truhe?«
»Meiner Fürsorge sind die Kleider und persönlichen Gegenstände der Majestät, Euer Majestät…«
»Aber es gibt hier doch einen Reichsschatz? Juwelen und dergleichen?«
»So ist es, Majestät.«
»Wer besorgt den?«
Akurgal überdachte das. »Der Hüter des Ereshkigal-Tempels vielleicht. Nein, möglicherweise ist es der Waffenmeister der Inanna. Aber nein, nein — das ergibt ja kaum einen Sinn — etwas von solcher Wichtigkeit würde man bestimmt nicht dem anvertrauen — erlaube, daß ich noch einen Augenblick nachdenke, Majestät, nur noch ein Augenblickchen…«
»Von einem Wurstkranz bekäme ich rascher Antwort«, sagte Gilgamesch, und sein Gesicht verfinsterte sich.
»Ich denke nach, Euer Majestät, ich denke…«
»Du wirst bald selber ein Strang von Würsten sein, wenn du mir nicht sofort sagst, was ich wissen will.«
»Der Kammerherr der Enlil-Schärpe!« keuchte Akurgal verzweifelt.
»Ach ja?«
»Ja, der Kammerherr der Enlil-Schärpe. Ja, wahrhaftig, Majestät. Er ist der Mann!«
»Bring ihn her zu mir!«
»Sofort, Majestät. Sogleich.«
Mit rudernden Armen und flatternden Kleidern trabte Akurgal davon. Gilgamesch lachte. Wenige Minuten später erschien ein weiterer Funktionär vor ihm, ein hagerer Mann mit einem Gesicht wie ein Hackmesser, deutlich assyrischem Aussehens, trotz des sumerischen Namens: Ur-Namhani. Als Gilgamesch ihm seinen Willen kundtat, sah ihn Ur-Namhani lange fest an, als disputierte er innerlich, ob er dem Befehl gehorchen sollte. Nach geraumer Zeit sprach er mit großer Würde und einer unverhohlenen Verärgerung: »Der Schatz befindet sich im Tempel Enlils. Soll ich ihn herbeischaffen lassen, oder wollt Ihr mich hinbegleiten?«
»Wir begeben uns dorthin.«
Keine von Simons wilden Wunschphantasien hatte ihn angemessen auf das vorbereitet, was ihn in den dunklen, dumpfkalten Gewölben unter dem Tempel des Göttervaters erwartete. Ur-Namhani holte einen Schlüsselring hervor und schloß gewichtig Tor um Tor auf, während sie durch eine Reihe enger Gänge schritten, bis sie die innerste Kammer erreichten, und als dort Licht gemacht worden war, sah Gilgamesch vor sich ein Übermaß an Reichtum, das jegliche Vorstellung überstieg. Wo immer sein Auge hinfiel, waren Säcke, Truhen, Kästen, Beutel, Kassetten, die von allen erdenklichen Kostbarkeiten überflossen, und im Schatten dahinter deuteten sich weitere Schätze an und so weiter und so fort in ein unausmeßbares Gewirr von Höhlen.