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Ich werde verrückt, dachte Gilgamesch.

Götter, gibt es keinen Weg, um von hier zu verschwinden? Ich bin es überdrüssig! Es ist Zeit, weiterzuziehen, ich muß von diesem Ort entkommen, oder ich gehe zugrunde. Ich will mich niederwerfen, mich unterwerfen — ja, ich will um Erlösung flehen…

Einst hatte er sich gewünscht, ewig zu leben, und das war ihm versagt worden, denn am Ende seiner Tage im ersten Uruk war er gestorben, hoch an Jahren und geliebt von seinem Volk; aber dieser Tod hatte nur zu einer neuen Geburt geführt, in einer Welt, in der es den Anschein hatte, als werde er wirklich ewig leben; aber als er das so heftig ersehnte Ewige Leben erlangt hatte, schien es ihm ohne Saft und Geschmack, und er konnte sich nicht damit zufriedengeben. Und darauf beschloß er, in das Land der Lebenden zurückzukehren. Und hier war er nun. Ach, dachte er, wenn ich doch nur von meiner Fahrt entbunden werden könnte, ich würde nicht länger ruhelos sein, ich würde mich mit Freuden zur Ruhe setzen und ablassen von meinem Fragen und Suchen. Ja! Ja, das würde ich!

Und nun schwoll ein Gebet in ihm an wie ein Fluß. Er, der in den Tausenden Jahren seines Lebens nach dem Leben nicht mehr gebetet hatte, demütigte sich nun vor den Göttern, die er einst verehrt hatte.

Enki, verschone mich! Enlil, Gewaltiger, befreie mich! Lugalbanda, Vater — gewähre mir Frieden!

Aber als Antwort kam ihm nur das mißtönende Getöse der Straße entgegen und die üblen Dünste, die erstickend in der Luft hingen, und das summende Geschnatter von Gallagher und Enkidu und Helena.

Und wieder schloß er die Augen und richtete sein Flehen zu den Großen Göttern Sumers und zu seinem Göttlichen Vater Lugalbanda. Und er öffnete die Augen wieder und schaute ohne Hoffnung wieder hinaus in den häßlichen Haufen von Schmutz und Unflat, der das ›Land der Lebenden‹ hieß.

Aber dann erblickte er etwas vor sich, das in seinem Innern eine große Fremdheit bewirkte, als wollte die Erde aufbrechen und explodieren, und um ihn herum begann alles wirbelnd zu kreisen. Er blinzelte heftig. Er hielt die Luft an. Und während er mit dem Arm die Straße hinab deutete, sagte er. »Enkidu? Siehst du den Mann dort?«

»Welchen, Bruder? Da sind so viele.«

»Den dort mit dem roten Gesicht und der breiten Brust, da drüben. Gewiß haben wir den schon einmal getroffen — in der Nachwelt…«

»Ich bin nicht sicher, welchen du…«

»Da! Dort drüben! Er war am Hof des Priesterkönigs Johannes, erinnerst du dich nicht? Er war der Gesandte von König Heinrich. Er und der andere Mann, der mit dem merkwürdigen langen Gesicht — der trug den Namen Howard, ich erinnere mich nun, Robert Howard…«

»Hier an diesem Ort? Wie wäre das möglich? Hier ist das Land der Lebenden, Bruder.«

»Aber ich sage dir, es ist der Mann!« beharrte Gilgamesch. »Oder sein Zwillingsbruder.«

Erschüttert schaute er in die wachsende Dämmerung. War es möglich? Vielleicht spielten ihm seine Augen einen Streich. Wie konnte der Mann Robert Howard denn an diesem Ort sein, wie sollte es möglich sein, daß er sich genau in der selben Straße befand wie er, in dieser einen unter den Tausenden chaotisch vollgestopften Straßen dieser Stadt in dieser chaotischen übervölkerten Welt? Es muß ein Trugbild der anbrechenden Nacht sein, dachte er. Oder mein Erinnerungsvermögen täuscht mich.

Aber nein — nein! — auch der rotgesichtige Mann wies mit dem Arm auf ihn, auch er starrte, wie vom Schlag gerührt, zu Gilgamesch herüber — dann kam er wild auf Gilgamesch zugerannt, stieß die anderen Passanten beiseite…

»Conan!« schrie der Mann. »Bei Crom! Du bist es, Lord Conan! Hier bin ich — ich komme, ich komme!«

22

Gilgamesch blieb ganz still stehen, er atmete kaum. Auf einmal war plötzlich alles irgendwie anders. Die Straße um ihn herum wurde nebeltrüb und unwirklich. Die turmhohen Gebäude zuckten und schwankten wie zarte Pflanzen, die unter der Wasserfläche leben und sich in der Strömung winden. Das hektische Brüllen des Verkehrs erstarb mehr und mehr. Er konnte den Mann Gallagher kaum noch sehen, und sogar Helena und Enkidu erschienen ihm irgendwie fern und blaß.

Der seltsame Mann mit dem roten Gesicht, Howard, kniete vor ihm, wie bereits einmal, vor langer Zeit, im Outback, und schluchzte und stammelte vor sich hin.

Dann tauchte der andere Mann auf, der mit dem hageren bleichen Knochengesicht — der hieß Lovecraft, erinnerte sich Gilgamesch, und war der andere Gesandte des Achten Heinrich gewesen. Er legte Howard die Hand auf die Schulter und sagte freundlich: »Steh auf, Bob. Du weißt doch, daß er nicht dein Conan ist. Er ist König Gilgamesch.«

»Das ist er. Ja. Ja.«

»Komm weiter. Laß ihn in Ruhe.«

»Weshalb seid ihr hier?« fragte Gilgamesch. »Ist hier nicht das Land der Lebenden?«

»Wir sind alle erschienen, um dich zu besuchen«, sagte eine andere vertraute Stimme. Gilgamesch sah aus dem Augenwinkel Herodes von Judäa, nicht mehr in seiner römischen Toga, sondern in einem Anzug der Später Toten. Vy-otin war neben ihm und sah majestätisch aus in einem mächtigen Mantelumhang und einem schmalkrempigen Hut, der tief über die Stirn gezogen war und das fehlende Auge verdeckte. Sie lächelten ihm zu. Die Gebäude waren inzwischen fast nicht mehr zu sehen. Die Fahrzeuge, die über die Straße rasten, waren auf rätselhafte Weise zu lautlosen Geisterwagen geworden. Herodes schob ihm den Arm unter, und Vy-otin ergriff Gilgamesch am anderen Arm.

»Aber ihr zwei müßtet doch in Uruk sein«, stammelte Gilgamesch unsicher. »Ihr solltet euch doch um die Regierungsgeschäfte in der Stadt kümmern.«

»Die Stadt kommt auch eine Weile ohne uns aus«, sagte Vy-otin. »Das hier war wichtiger. Also, gehen wir, Gilgamesch.«

»Wartet!« sagte er. »Enkidu… Helena…«

»Komm nur«, sagte Herodes. »Hier ist New York! Das müssen wir doch ausnützen! Zuerst zum Natural History Museum. Vy-otin will uns dort die Mammutknochen zeigen und Malereien, die Freunde von ihm vor langer Zeit machten — und dann sollte ich vielleicht eigentlich mal kurz in der Synagoge vorbeischauen — es ist nämlich Freitagabend, müßt ihr wissen — aber ihr könnt gern mitkommen, die werden nichts dagegen haben…«

»Und das Museum of Modern Art«, sagte Picasso, der aus dem Dunst auftauchte. »Das Metropolitan. Das dürft ihr auch nicht vergessen. Er hat eine Menge zu lernen über die großen Maler. Er soll sich Cezanne anschauen. Und Velazquez. Y pues, verdammt, soll er sich Picasso anschauen!«

»Seid ihr denn alle hier?« fragte Gilgamesch leise. »Ihr alle? Jeder?«

Ja. Sie waren alle da. Da war der freundliche alte elsässische Doktor — wieso hieß der Schweitzer? — und lächelte ihm zu und zwirbelte an den Spitzen seines gewaltigen Schnauzbartes. Und da war Simon Magus, der ihm eine Weinflasche entgegenschwenkte. Und da? War das Caesar? Ja. Und Walter Raleigh, in voller schimmernder Rüstung, der eine höfische Verbeugung versuchte? Ja, er war es. Ja. Benommen, verwirrt, machte Gilgamesch ein paar schwankende Schritte auf sie zu. Die Stadt um ihn herum war nun beinahe völlig verschwunden, um sie her war nur noch ein fahles Glühen, das sich bis weit zum Horizont erstreckte. Dann kam es ihm so vor, als befände er sich nun in der ehrwürdigen Festhalle Vy-otins, dem Höhlenpalast der Eisjäger, wo die Knochen der gewaltigen Tiere umherlagen wie in den nebelhaften Frühzeiten. Und überall rings um ihn herum waren unerwartete Gestalten, die aus der anderen Welt zu ihm kamen, sich näherdrängten — nun begrüßte ihn der Priester Johannes, dann der hinkende kleine Magalhaes, und dann Belshazzar, Amenhotep, Kublai Khan, Bismarck, Lenin…

Und da war Calandola, der etwas entfernt von den anderen stand wie eine starre, schwarze, steinerne Säule; er grinste, die Augen flammten wie Feuer — und der Behaarte Mann — und Dumuzi — Ninsun — Minos — Varuna von Meluhha…