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Wenn der Schleier seines Imkerhutes heruntergelassen war, hörte er für gewöhnlich nichts außer dem Rasseln seines eigenen Atems und dem Gemurmel der Bienen. Aber er hatte sich noch nicht die Mühe mit dem Schleier gemacht, da die Bienen so langsam und schwerfällig waren, und so hörte er zufällig den erstickten Schrei hinter sich. Es war eigentlich eher ein Keuchen als ein Schrei, kurz und enttäuscht. Zuerst glaubte er, es sei das Satterlee-Mädchen, aber als er sich umdrehte, sah er den Jungen neben dem Schuppen stehen und an seinem Handrücken saugen. Er trug dieselbe kurze Hose und dasselbe saubere, gebügelte Hemd wie am Tag ihrer ersten Begegnung, aber wie er so dastand ohne seinen Papagei, kam er dem alten Mann bitterlich beraubt vor.

Der alte Mann grinste. »Tut weh, was?«

Der Junge nickte langsam, zu überrascht oder zu stark leidend, um mangelndes Verstehen vorzutäuschen. Kopfschüttelnd schlenderte der alte Mann zu ihm hinüber.

»Was bist du bloß für ein einzigartiger Pechvogel«, sagte er. »Lass mal sehen!«

Er griff nach der Hand des Jungen. Auf dem Rücken, direkt über dem Gelenk: ein geschwollener Fleischwulst, bewehrt mit dem schwarzen Stachel. Der alte Mann holte eine Streichholzschachtel aus der Reißverschlusstasche seines Overalls und drückte die Schublade mit den Streichhölzern heraus. Während er die linke Hand über die Lade wölbte, drückte er mit der rechten die Ummantelung platt. Dann kratzte er mit Hilfe einer Ecke des zusammengedrückten Pappstücks den Stachel aus der Hand des Jungen. Während dieser Prozedur ließ der Junge seinen Tränen freien Lauf.

»Darf man nicht rausreißen«, sagte er zu dem Jungen mit einer Schärfe, die nicht völlig beabsichtigt war. Ihm war bewusst, dass es ein Vokabular zum Trösten trauriger Kinder gab, aber er hatte sich nie die Mühe gemacht, es sich anzueignen. Jungen hatten ihm im Laufe der Jahre gute Dienste erwiesen – aber das war in einem anderen Jahrhundert gewesen! –, sie hatten die Reichweite seiner Augen und Ohren vergrößert, hatten sich unsichtbar in dunkle Wege und Höfe geschlichen, wo seine Gegenwart übermäßige Aufmerksamkeit erregt hätte, waren durch Oberlichter, durch Hintertüren feindseliger Bierlokale, in und aus den Ställen betrügerischer Pferdetrainer geschlüpft. Und auf seine hochmütige, scherzhafte Art hatte er zu diesen Jungen gesprochen und sich gar – sorglos – um sie gesorgt. Aber das war eine völlig andere Sorte von Burschen gewesen, zerlumpte, grobe, verhärmte, gierige Kinder, Löcher in den Schuhen, die Augen in tiefen Höhlen, es waren Jungen, die von Hunger und Armut geschult worden waren, nur das engste Spektrum menschlicher Gefühle zu zeigen. Sie hätten eher Spülwasser getrunken, als sich beim Vergießen einer Träne beobachten zu lassen. »Dadurch verteilt sich bloß das Gift.«

Der Stachel flutschte heraus; der Junge zog seine Hand zurück und musterte die rosafarbene Histaminschwellung. Dann presste er die Hand wieder an den tröstenden Mund. Irgendetwas an der Art, wie der stumme Junge an seinem Handrücken lutschte, brachte den alten Mann in Rage. Kurz ließ er sich von dem Wunsch durchschaudern, dem Jungen ins Gesicht zu schlagen.

»Warte mal kurz«, sagte er. »Nicht so.«

Nestelnd versuchte er mit den vor Zorn und Arthritis gekrümmten Fingern die Bestandteile der Streichholzschachtel zusammenzufügen. Die kleine Schublade kippte, die Hölzer fielen zu Boden. Der alte Mann fluchte. Dann fluchte er ein zweites Mal, zugleich mit Absicht und aus einem wilden Impuls heraus, heftig, aber auf Deutsch. Die entsprechend widerlichen Silben entfleuchten seinen Lippen mit einem hörbaren Schmatzer des Wohlgefallens.

Der Junge löste den Kuss von dem feurigen Handrücken. Ein bösartiger Zug belebte seinen fernen, düsteren Blick, ein papageienhaftes Funkeln grober Belustigung, wie es zuweilen in jenem vergangenen neunzehnten Jahrhundert in den harten, hohlen Augen der zerlumpten Partisanenbengel aufgeflammt war. Der Junge befreite den alten Mann von der entzweiten Schachtelhälfte, kniete nieder, sammelte rasch die verstreuten Streichhölzer ein und legte sie säuberlich in ihr Bettchen. Er reichte dem alten Mann die Schachtel, der sie hinter dem Reißverschluss seines Bienenanzugs verstaute und dabei den Tabakbeutel herausnahm. Er zwickte eine Prise ab, stinkende Brösel rieselten zu Boden. Seine Drachenzunge kam hervor, spitz und rissig. Ein Tupfer seines Drachenspeichels. Dann hielt er dem Jungen die Hand hin.

»Hier«, sagte der alte Mann, so freundlich, wie er konnte. Er hatte das Gefühl, dass es gerade freundlich genug war. Der Junge verstand. Er reichte dem alten Mann die verwundete Hand, sein Gesicht war gleichzeitig ernsthaft und erwartungsvoll, als wollten sie einen kindlichen Pakt mit blutenden Nadelstichen oder mit einem Handschlag besiegeln, der mit hochheiligem Speichel gesalbt war. Der alte Mann legte den feuchten Tabakklumpen auf den Wulst. Dann nahm er die andere Hand des Jungen und drückte sie auf Bienenstich und Tabakknäuel. »So. Festhalten.«

Der Junge gehorchte, während sich der Alte abmühte, die Verdunsterplatte aus der obersten Zarge zu entfernen. Er hoffte, sie nicht zu lange liegen gelassen zu haben; eine verlängerte Dampfaussetzung konnte den Geschmack des Honigs beeinträchtigen. Er setzte das Brett neben sich ab, ergriff die Enden der honigschweren Zarge und schwankte einige Schritte zur Veranda hinüber, wo die Schleuder stand. Fieberhaft und mit einer Verzweiflung, die ihn traurig machte, riss er sich zusammen, damit es nicht aussah, als würde er schwanken. Seine Bemühungen konnten den Jungen nicht täuschen. Ein Quietschen von Gummisohlen im Gras, und der Junge war da, neben ihm. Mit der verletzten Hand – die Schwellung schien bereits zurückzugehen – ergriff er eine Seite der rechteckigen Zarge.

Zusammen legten sie den Weg zur Veranda zurück. Die Augen des Jungen waren nicht auf den alten Mann, sondern auf den Himmel über ihm gerichtet, sie zuckten argwöhnisch umher, fürchteten einen neuen Angriff der Bienen. Als der Alte mit der Gittertür kämpfte, verlagerte sich das Gewicht der Zarge unerbittlich auf den Jungen. Er trug es. Sie stapften auf die Veranda, wo die Zentrifuge mit ihrer großen, gezahnten Handkurbel wartete – vorwurfsvoll geduldig, wie es die Art stillstehender Landmaschinen ist. Obwohl die Veranda offen war, hing dort der schwere Essigdunst vergangener Erntejahre. Sie legten das Tablett mit seiner sonderbar leuchtenden Fracht aus Wachs auf ein sauberes Bettlaken und machten sich zurück auf den Weg zu den Bienenstöcken.

Wenn er allein gewesen wäre – was in den vergangenen dreißig Jahren unvermeidlicherweise der Fall gewesen war –, hätte er wahrscheinlich bis weit nach Einbruch der Dunkelheit gebraucht, um die Arbeit zu erledigen: nacheinander die Zargen aus den sechs Stöcken holen, zwei pro Stock, die Waben aus den Rähmchen schneiden, die Wachskappen mit der erhitzten Klinge eines Brotmesser abtrennen, die tropfenden, klein geschnittenen Wabenstücke in die Schleuder geben und an der Kurbel drehen, bis sämtlicher Honig, der durch verschiedene Prozesse von Zentrifugal- und Schwerkraft dazu gebracht werden konnte, die Waben zu verlassen, in die Töpfe getropft war, sich anschließend vergewissern, dass die Veranda gesichert und vor Gegenangriffen geschützt war, und zu guter Letzt die geplünderten Zargen in die Stöcke zurückbringen. Mit Hilfe von Linus Steinman, der sich im Laufe des Tages zunehmend qualifizierte – intelligent und geschickt und glücklicher-, standhafter-, wunderbarerweise sprachunfähig –, hatte der alte Mann die Arbeit um kurz nach vier erledigt. Zusammen standen sie auf der mit Fliegengitter geschützten Veranda im strengen, schweren Dunst – gleich der Atmosphäre eines gärenden, faulenden Planeten, wie der Planet Venus mit seinem unwirtlichen Gestank – von Honig. Als die Schleuder verstummte, schien sich die Veranda, der Hof, das Tal im Windschatten des Hügels, das unermessliche Becken öden grünen Landes um sie herum mit der zähen, gummiartigen Masse des Schweigens zu füllen.