Joe blinzelte einmal mit den großen Augen. Dann griff er erneut zum Stift und kritzelte das Wort Laser auf die Tafel.
Was sollte mit dem Laser sein? »Der ist ebenfalls hinüber. Das Feuer hat alles zerstört.« Natürlich einschließlich des Fossils. Doch wenn Carter es irgendwie vermeiden könnte, würde er dieses Thema im Moment meiden.
Doch Joe schüttelte vorsichtig den Kopf und tippte erneut auf das Wort.
Der Laser? Dann begriff Carter. »War der Laser an, als das Feuer ausbrach?«
Joe nickte.
»Hat der Laser es verursacht?«
Er nickte noch einmal.
Aber Joe hätte sich gehütet, den Laser ohne Carters Hilfe in Gang zu setzen. Er hatte schon Probleme gehabt, einen Sinn in die englische Beschreibung im Handbuch zu bringen. Carter wischte die Tafel sauber. Wollte er damit sagen, dass Bill, Bill Mitchell … »Hat Mitchell mit dem Laser gearbeitet?«
Joe schloss zustimmend die Augen und öffnete sie erneut.
»Er ist irgendwie auf eigene Faust ins Labor gekommen?«
Joe nickte fast unmerklich, dann nahm er den Stift und kritzelte Fossil.
So viel zu Carters Hoffnung, das Thema zu vermeiden. »Alles im Labor«, wiederholte Carter langsam, »wurde zerstört.«
Joe schüttelte den Kopf, und dieses Mal ließ er Carter nicht aus den Augen.
»Nicht?« Was konnte er damit meinen? »Hast du es geschafft, irgendetwas zu retten?« Carter dachte daran, dass sie bereits winzige Proben vom Fossil und dem Felsen genommen hatten. Proben, die sich in sicherer Verwahrung befanden und in einem anderen Labor verschiedenen Tests unterzogen wurden. Aber Joe schien auf etwas anderes hinauszuwollen. »Tut mir leid, Joe, aber ich kann dir nicht folgen.« Vielleicht begannen die Beruhigungsmittel wieder zu wirken.
Joe griff erneut nach dem Stift. Dieses Mal zitterte seine Hand ein wenig, als er das Wort lebendig schrieb.
Was bedeutete das? Carter konnte nur annehmen, dass Joe von sich selbst sprach. »Ja, du lebst«, sagte er mit gespielter Fröhlichkeit, »und eines Tages, ob du es glaubst oder nicht, wirst du wieder all das machen, was du immer gemacht hast.« Carter fragte sich, ob das stimmte. »Selbst Tauchen.«
Aber der Ausdruck in Joes Blick wurde nur noch unruhiger. Carter hatte ihn nicht richtig verstanden. Mit der Spitze des Stifts tippte Joe auf das Wort Fossil, dann auf lebendig.
Als Carter nicht reagierte, wiederholte er das Ganze mit mehr Nachdruck.
Nun konnte es kein Missverständnis mehr geben, egal wie unglaubwürdig es war. »Versuchst du mir zu sagen, dass das Fossil gelebt hat?«
Schon wieder falsch. Joe stöhnte und runzelte die Stirn. Die Anstrengung stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er den Stift ein weiteres Mal aufnahm und etwas zwischen die beiden anderen Wörter auf der Tafel kritzelte. Als Carter die komplette Nachricht las, lautete sie: Fossil ist lebendig.
Carter wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich heute noch weiter mit Joe zu unterhalten. Sein Freund musste unter dem Einfluss der Medikamente stehen. Und das war wahrscheinlich auch das Beste für ihn.
»Okay«, sagte Carter. »Ich habe verstanden.« Er nickte zur Bestätigung. »Die Ärztin hat gesagt, dass ich nicht länger als fünf Minuten bleiben darf, aber morgen früh komme ich als Erstes hierher.«
Carter legte die Tafel und den Stift auf den Nachttisch neben dem Bett. Als er Joe erneut anschaute, sah sein Freund erschöpfter und gequälter aus als je zuvor. Carter befürchtete, dass er mit seinem Besuch mehr Schaden angerichtet als Gutes getan hatte.
»Mach dir keine Sorgen um das Fossil oder das Labor oder irgendetwas«, sagte er. »Versuch jetzt einfach nur zu schlafen.«
Carter wandte sich vom Bett ab. Obwohl er den Gedanken hasste, musste er zugeben, dass es eine Erleichterung war, Joe nicht länger anblicken zu müssen, und sei es auch nur für eine Sekunde. Am Vorhang schaute er noch einmal zurück. Russo hatte den Blick in seine Richtung gelenkt. Zum Abschied hob er die Hand, aber es gab keine Reaktion. Und er hatte den Eindruck, dass Russo ihn nicht einmal sah. Er starrte an ihm vorbei, durch ihn hindurch, in etwas sehr Dunkles und sehr Tiefes.
19. Kapitel
Der Leichnam war bewegt worden. Im Schatten verborgen hatte er zugesehen, wie er zugedeckt und hinausgetragen wurde. Was würden sie mit ihm machen? Warum taten sie all das?
Er wurde unter die blitzenden Lichter gelegt und eilig fortgebracht.
So viele von ihnen. Er konnte es immer noch nicht begreifen. Auf dieser Welt wimmelte es von Leben, überall um ihn herum.
Er atmete ein, schmeckte die Luft. Geschmäcker und Gerüche, die er nicht kannte, die er noch nicht wiedererkannte. Aber bald würde er es können. Er lernte bereits.
Von einem dunklen Winkel aus beobachtete er den Ort, an dem er freigelassen worden war. Wenn er an dieser Stelle freigekommen war, waren vielleicht noch andere hier gefangen.
Andere wie er.
Er hatte zugesehen, wie Männer, immer mehr von ihnen, gekommen und gegangen waren. Sie trugen Werkzeuge und Lichter und überfluteten den Ort mit Wasser. Schließlich wurde der Rauch weniger. Durch Beobachtung lernte er rasch. Und begriff schnell, was sie taten.
So ging es immer weiter, die ganze Nacht lang, und dann ging die Sonne auf, und er hatte sich erneut zurückgezogen, noch weiter in den dunklen Eingang. Er hatte den roten Mantel vor sein Gesicht gezogen. Und gewartet. Einen Wimpernschlag lang, so schien es, hatte er gewartet. Nicht länger. Und dann war es wieder dunkel.
Während seiner Wache hatte er einen Mann kommen sehen, an den Ort, an den jetzt keiner mehr kam, und er hatte ihn wieder gehen sehen. Der Mann war davongerannt, sein Geruch voll Furcht und Trauer, und weil es wieder Nacht war, hatte er ihm mit Leichtigkeit folgen können. Durch die Straßen. Die Lichter. Die Menschen. So viele von ihnen. Und zu einem Ort nicht weit entfernt.
Wo der andere, wie er jetzt wusste, festgehalten wurde.
Derjenige, dem gesagt worden war, sein Leiden sei ein Geschenk.
Derjenige, der noch am Leben war.
Waren das seine Feinde, fragte er sich, oder seine Freunde?
Die Luft. Die Luft hier war schwer und roch stark. Er drehte sich um. Hinter ihm stand ein Zaun mit verdrillten Drähten, gleich einem Käfig, und hinter den Drähten war ein anderer Ort – ein Gebäude. Niemand war darin, das wusste er. Es war aus Steinen gemacht, rot wie sein Mantel, hatte Öffnungen, die mit Holz und glitzerndem, zerbrochenem … Glas bedeckt waren. Glas, das war es.
Er lernte. Er hatte das Wort gehört, die Männer an dem Ort, an dem er befreit worden war, hatten es benutzt. Er hatte nur beobachtet … und zugehört. Einst war Sprache eine Gabe gewesen, die seinesgleichen gespendet hatten. Jetzt, sinnierte er, wurde sie ihm zurückgegeben. Genau so sollte es sein. Es passte.
Die Dämmerung begann sich über den Himmel auszubreiten. Er wandte sich den verdrillten Drähten zu und zog sie auseinander. Mit den schmalen, nahezu perfekten Fingern, an dem nur das Ende des Mittelfingers seiner rechten Hand fehlte. Dann stieg er durch das Loch, das er geschaffen hatte, und in Erde und Wasser. Matsch. Er erklomm die zerbröckelnden Stufen und spähte hinein, durch die rauen Bretter, welche die Fenster verschlossen. Im Inneren sah er Leere. Schatten. Dunkelheit. Einsamkeit.
Alles davon zog ihn an.
Doch noch mehr als das, war es vor allem die Luft an diesem verlassenen Ort, die ihm behagte. Die Luft war alt und erfüllt von Gerüchen, die er kannte … von Blut, Tränen und Tod. Jahrelang war sie davon getränkt worden.