26 STOCKWERKE LUXUS-
GENOSSENSCHAFTSWOHNUNGEN.
Und darunter, in ebenso großen Lettern:
EIN PROJEKT DER METZGER COMPANY, INC.
Warum klingelte es plötzlich bei ihm? Er brauchte einen Moment, um eins und eins zusammenzuzählen, aber hatte Ezra nicht gesagt, sein Familienname sei Metzger? Konnte es sein …?
Die Ampel sprang um, und Carter überquerte die Straße. Mit wem genau hatte er gesprochen? Und noch wichtiger: Wie um alles in der Welt konnte Ezra Metzger, ja, er war sicher, dass das sein Name war, wie konnte er vorher, so wie er behauptete, von Russos wirrem Gerede über das lebendig gewordene Fossil gewusst haben?
21. Kapitel
Die Nacht wurde zu seinem Freund. Es war so viel einfacher, sich nachts durch die Straßen zu bewegen, im Schein der Lampen, die alles und jeden leicht unwirklich wirken ließen. Wie ein Nebelschleier konnte er sich zwischen den Menschen bewegen und unbemerkt ihre Tausende Gerüche, Stimmen und Gestalten in sich aufnehmen. Er konnte ihre Parfums einatmen, ihnen in die Augen blicken, sogar ihre Körper streifen, ihre Haut und die Beschaffenheit ihrer Kleider erspüren. Er ging dorthin, wo die Straßen voll waren, um die Luft einzuatmen, die sie ausatmeten, ihnen zuzuhören, wenn sie sprachen – hundert verschiedene Zungen, die alle zur gleichen Zeit zu sprechen schienen – und die Geheimnisse ihrer Herzen und Seelen zu erforschen.
Und darin lag, wie er spürte, wenig Überraschendes. Und ein gewisser Trost. Er hatte sich damals also doch nicht geirrt, vor so langer Zeit … und er irrte auch jetzt nicht.
Aber alles andere hatte sich so sehr verändert.
Er hatte bereits den Namen des Ortes erfahren, den er nun bewohnte, und er hatte herausgefunden, welche Rolle er in der gegenwärtigen Welt einnahm. Hätte der Ort seiner Rückkehr weiser ausgewählt worden sein können? Gab es irgendeine andere Stelle auf der Erde, wo er so leicht beginnen könnte? Das war keine göttliche Vorsehung, o nein, das ganz gewiss nicht, aber es kam dem sehr nahe. Etwas war in Bewegung gesetzt worden. Ein Plan, den selbst er, bei all seiner Weisheit und all seinem Wissen, nicht vollständig erfasste.
Manche Straßen, gewisse Ecken kannte er inzwischen besser als andere, und oft ertappte er sich dabei, dass er immer wieder dorthin zurückkehrte. Gleich einem Wolf, der die Pfade verfolgt, auf denen er bereits erfolgreich gejagt hat. Wenn er aus der Dunkelheit seines Schlupfwinkels heraustrat, einem Ort aus zersplittertem Holz und zerbröckelnden Steinen, an dem er das leise Echo von Gebrechen und Krankheit vernahm, schritt er oft diese vertrauten Pfade entlang. Hier, zum Beispiel, war der Ort, zu dem der verbrannte Mann gebracht worden war … hier hatte er aus dem Schatten die lodernden Flammen beobachtet … und an dieser Stelle, die jetzt geschwärzt und verlassen dalag, war er auf die Welt zurückgekehrt. Hier gab es Antworten, o ja, so viel wusste er, aber er wusste noch nicht, in wessen Brust sich diese Antworten verborgen hielten.
Er wollte es wissen. Es war seine ureigenste Bestimmung zu wissen.
Im Lichtkreis, der von einer Straßenlaterne auf den nassen glänzenden Gehweg geworfen wurde, sah er jemanden auf und ab schreiten. Es war dieselbe Person, die er in jener Nacht getroffen hatte, als er aus dem Inferno getreten war. Diejenige, die ihm den roten Mantel gegeben hatte, den er noch immer trug.
Als er sich näherte, blieb die Gestalt stehen und starrte ihn ehrfürchtig an. War es so offensichtlich, was er war? Das wollte er nicht. Er wollte, dass die Dinge so waren, wie sie vor langer Zeit gewesen waren … bevor sich alles auf so schreckliche Art und Weise aufgelöst hatte.
Je näher er kam, desto mehr schien die Gestalt an Ort und Stelle festzuwachsen. Dunkle Haut, langes Haar, die Gesichtszüge verdeckt durch Farbe und Schlamm, Saft und Staub. Ein lederner Sack hing an einem Arm – eine Handtasche, unvermittelt kam ihm dieses Wort in den Sinn.
»Du bist es!«, rief sein Wohltäter erstaunt. Schwankend näherte sich die Gestalt in Schuhen mit hohen Absätzen. Sie legte ihm eine Hand, deren Nägel, wie er bemerkte, in hellem Silber gefärbt waren, auf den Ärmel. »Ich hätte nie gedacht, dass ich dich noch einmal wiedersehe. Zumindest nicht in diesem Leben.«
Bei so vielen Menschen, die es jetzt auf der Welt gab, kam das vielleicht häufig vor.
»Aber dieses Mal wirst du mir nicht so einfach davonkommen. Nicht ohne mir zuerst ein paar Dinge erklärt zu haben.«
»Was … willst du … wissen?« Es war das erste Mal, dass er tatsächlich versuchte, Worte auszusprechen, Worte, die er aus der Luft um sich herum gepflückt hatte. Und jetzt wartete er, ob man ihn verstanden hatte.
»Als Erstes möchte ich wissen, wer du bist.«
Man hatte.
»Oder vielleicht sollte ich lieber fragen, was du bist. Letztes Mal, als ich dich sah, hast du geleuchtet wie eine Glühbirne. Jetzt strahlst du nicht mehr so viel Licht ab.«
Er konnte es sich nicht leisten. Es wäre zu töricht. Er beobachtete, wie ein weißes Auto mit blauen Streifen und einem roten Balken auf dem Dach langsam um die Ecke bog.
»Oh shit«, murmelte sein Wohltäter.
Er fühlte sich am Ärmel des Mantels gepackt und in den dunklen Eingang gezerrt, in dem er damals gestanden hatte, um das Feuer zu betrachten.
Das Auto kam näher, und er wurde noch tiefer in den Schatten gezogen, bis zum Ende der Treppe unterhalb des Straßenniveaus. Der Boden war mit dickem Papier und zerbrochenen Flaschen bedeckt, es roch nach Müll … und menschlicher Vereinigung.
»Wir werden hier nur eine Weile warten, bis meine Freunde weg sind.«
Jetzt roch er auch … Furcht.
»Man nennt mich Domino, vielleicht, weil ich so leicht umkippe.« Ein leises Lachen. »Willst du mir sagen, wie man dich nennt?«
Es gefiel ihm hier nicht, und er begann, die Stufen wieder zu erklimmen. Doch Domino packte ihn erneut am Ärmel und sagte: »Die Cops gurken hier immer noch rum. Und überhaupt, wozu die Eile?«
Domino zog ihn dichter zu sich heran. Sie waren etwa gleich groß, und er konnte seinem Wohltäter direkt in die Augen blicken. Sie waren dunkelbraun, mit langen schwarzen Wimpern. Die Brauen waren, wie er jetzt erkannte, bernsteinfarben gefärbt.
»Du schuldest mir noch was.« Dominos Finger spielten mit seinem Mantel. »Ich habe dir schließlich den hier gegeben.« Er spürte, wie die Knöpfe geöffnet wurden. »Ich bitte dich nicht um Geld – es sei denn, du möchtest mir etwas geben. Aber du könntest mir zumindest zeigen, was du darunter trägst.« Der Mantel öffnete sich. »Ich denke immer noch, dass du was ganz Besonderes im Schilde führst.«
Als sich der Mantel weiter öffnete, schwand die Dunkelheit am Fuß der Treppe. Domino lehnte sich zurück, um den Anblick auf sich wirken zu lassen. »Wow, du machst es schon wieder!«
Er sorgte dafür, dass sein Strahlen noch ein wenig heller wurde. Im Licht konnte er Domino deutlicher erkennen als je zuvor. Erkannte das falsche Haar, welches das echte verdeckte, die kräftigen Knochen unter dem Puder und dem Lehm im Gesicht, die sehnigen Arme unter den weichen femininen Kleidern.
Dominos Hand schlich sich ins Innere des Mantels. Berührte ihn.
Unter dem süßen Parfum nahm er den Geruch der Verderbnis wahr.
»Was zum … Teufel«, sagte Domino stockend.
Er breitete die Arme aus, und Domino trat zurück bis an die feuchte Mauer des Kelleraufgangs. Die Handtasche rutschte auf den schmutzbedeckten Boden.
»Heiliger Strohsack …«
Er schüttelte den Mantel von den Schultern und kam näher. Er umarmte Domino, der sich jetzt wehrte.