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»Ich weiß«, antwortete Juan ernst. »Meinst du, mir geht es anders?«

Überrascht sah Mike den jungen Spanier an. Juan war schon immer ein Einzelgänger gewesen, der jeder Situation mit Vernunft begegnete. Nur wer ihn wirklich kannte, konnte ermessen, wie schwer ihm ein Eingeständnis wie dieses fallen mußte.

»Aber es geht nun einmal nicht anders«, fuhr Juan fort. »Trautman hat gut eineinhalb Jahrzehnte damit verbracht, die NAUTILUS zu bewachen. Sie ist sein Lebensinhalt. Glaubst du, er würde sie vernichten, wenn er irgendeine andere Möglichkeit sähe?«

Widerstrebend nickte Mike - es nutzte nichts, mit dem Schicksal zu hadern. Die Dinge waren nun einmal, wie sie waren. »Du hast recht«, murmelte er und straffte sich. »Gehen wir.«

An der Tür verharrte er noch einmal und ließ seinen Blick durch die Kabine schweifen, die er niemals wiedersehen würde. Die letzten sieben Monate waren ...

Nein, es gab keine Worte, um es zu beschreiben. Das große Abenteuer seines Lebens. Aber nun war es vorbei, und vielleicht sollte er versuchen, seinen Schmerz darüber nicht übermächtig werden zu lassen, um sich wenigstens die Erinnerung an diese Zeit so zu bewahren, wie sie es verdiente.

Seine Augen brannten. Er mußte einen Tränenschleier fortblinzeln, als er sich endlich mit einem Ruck abwandte und die Tür hinter sich schloß.

Sie traten auf den Gang hinaus, der beinahe durch die gesamte Länge des Tauchbootes führte. Im Gegensatz zu dem Unterseeboot, mit dem Kapitän Winterfeld sie entführt hatte (dem einzigen, in dem Mike jemals zuvor gewesen war) und in dem alles so niedrig und schmal gebaut war, daß man schon nach zehn Minuten Platzangst bekam, war die NAUTILUS riesig. Sie war gut hundert Meter lang und besaß mehrere Decks, so daß sie fast schon so etwas wie eine kleine, schwimmende Stadt aus Stahl war.

Trautman und die anderen erwarteten sie in der Kommandozentrale. Die anderen, das waren Ben, André und Chris, wie Mike Schüler in Andara-House, und dazu Ghunda Singh, der Sikh-Krieger, Mikes Diener und Leibwächter.

»Na endlich«, brummte Ben, als Mike und Juan eintraten. Er wollte noch mehr sagen, erntete jedoch einen so scharfen Blick Trautmans, daß er den Mund wieder zuklappte. Ben war vermutlich der einzige, der sich auf das Ende der Reise freute. Anfangs hatte er am schärfsten dagegen protestiert, die NAUTILUS zu zerstören - allerdings nicht, weil er so an dem Schiff hing, sondern weil er fand, es müßte der englischen Marine übergeben werden. Seit er eingesehen hatte, daß er weit und breit der einzige war, der das für eine gute Idee hielt, hatte er sich nach Kräften bemüht, ihnen die Freude an der Reise zu verderben.

Trautman musterte Mike einige Sekunden lang. Seine Finger spielten nervös mit einer zusammengerollten Zeitung: einer beinahe drei Wochen alten Ausgabe der TIMES, die sie auf dem Weg hierher erstanden hatten. Trautman war damals eigens dafür an Land gegangen, was im Moment ein nicht unerhebliches Risiko darstellte. Nach fünfzehn Jahren, die er in vollkommener Isolation verbracht hatte, war er neugierig, was in der Welt vor sich ging. Aber schon die Schlagzeile hatte ihm jegliche Lust an der weiteren Lektüre genommen: Sie sagte, daß der Ausbruch eines Krieges nun so gut wie unvermeidlich geworden sei. Und so wie es aussah, war die Behauptung nicht übertrieben gewesen.

»Bist du soweit?« erkundigte sich Trautman.

Mike riß seinen Blick von der zusammengerollten Zeitung los und nickte widerstrebend.

»Dann laßt uns gehen«, sagte Trautman und wandte sich zur Tür. Ohne ein weiteres Wort folgten sie Trautman die schmale Treppe zum Turm und danach auf das Deck der NAUTILUS hinauf.

Sie waren in der Nähe von Alderney aufgetaucht. Ursprünglich hatte Trautman vorgehabt, die Themsemündung direkt anzusteuern und sie irgendwo in der Nähe von London an Land zu setzen, was sich jedoch als unmöglich erwiesen hatte. Das Meer wimmelte nur so von Kriegsschiffen, und vor allem die Themsemündung wurde streng bewacht. Schon die ganze Zeit war die politische Lage in Europa ernst gewesen: Der Balkan war schon seit Jahren Krisengebiet, und zwischen dem deutschen Kaiserreich auf der einen und Frankreich und Großbritannien auf der anderen Seite gab es tiefgehende Spannungen. Die große Zahl von Kriegsschiffen vor der englischen Küste deutete darauf hin, daß sich die Situation seither offenbar noch beträchtlich verschärft hatte.

Deshalb hatte es einige Tage gedauert, bis Trautman entschieden hatte, sie auf der Kanalinsel abzusetzen. Von dort aus sollten sie mit einer Fähre nach England übersetzen.

Ein kalter Wind blies ihnen in die Gesichter, als sie auf das Deck der NAUTILUS hinaustraten. Es war spät in der Nacht, und passend zu Mikes Stimmung waren schwarze Regenwolken am Himmel aufgezogen, die das Licht der Sterne und des Mondes verschluckten, so daß fast vollkommene Dunkelheit herrschte, in der die wenigen Lichter der kleinen Hafenstadt wie ein Sternenband aufleuchteten.

Trautman deutete wortlos auf das kleine Ruderboot, mit dem sie an Land gehen würden. Die NAUTILUS hatte sich der Küste so weit genähert, wie es ging, trotzdem lag zwischen ihnen und dem Strand noch eine gute Meile. Leichter Nebel war aufgezogen, der ihnen eine unbemerkte Landung ermöglichen würde: Außerdem war Alderney eine kleine Insel, mit einem kleinen Hafen, den sich sicherlich niemand zu bewachen die Mühe machte.

»Also los«, sagte Trautman. »Das Wetter ist günstig. In einer Stunde wird es hell. Wenn sich der Nebel verzieht, möchte ich nicht mehr hier sein. Beeilt euch.«

Diese beinahe rüde Art überraschte Mike, aber dann begriff er, weshalb sich der Kapitän der NAUTILUS so benahm. Nicht nur Mike hatte längst gespürt, daß er und die anderen Trautman ebenso ans Herz gewachsen waren wie er ihnen. Er verbarg nur seinen Schmerz hinter seiner Ruppigkeit, um sich und ihnen den Abschied zu erleichtern.

Hintereinander kletterten sie an Bord des kleinen Bootes, Juan und Ben griffen nach den Rudern, während André, Chris und Singh das Boot mit vereinten Kräften von der Bordwand der NAUTILUS abstießen. Zuerst schien es ihnen nicht zu gelingen, denn die Strömung drückte das Boot immer wieder gegen das große Schiff, fast als hätte es einen eigenen Willen und wollte ebensowenig hier weg wie Mike und die anderen. Aber schließlich war der Abstand doch groß genug, Juan und Ben tauchten ihre Ruder ins Wasser und begannen zu pullen.

Während der ganzen Zeit wandte Mike den Blick nicht von der NAUTILUS ab. Selbst als sie schon längst vom Nebel verschluckt worden war, starrte er unverwandt weiter in die Richtung, in der er das Schiff wußte. Obwohl er sich fest vorgenommen hatte, nicht zu weinen, konnte er die Tränen nun doch nicht ganz unterdrücken - aber er war nicht der einzige. Chris, der mit seinen neun Jahren der Jüngste von ihnen war, weinte ganz offen, aber auch André und sogar Juan drehten ein paarmal den Kopf weg und wischten sich verstohlen über die Augen. Lediglich Singh ließ sich wie üblich keine Gefühlsregung anmerken, und Ben - was auch sonst? - gab sich alle Mühe, seinem Ruf als Miesepeter gerecht zu werden.

»Wirklich toll«, kommentierte er, nachdem sie sich ein gutes Stück von der NAUTILUS entfernt hatten. »England befindet sich wahrscheinlich schon im Krieg mit den Deutschen, und dieser alte Narr will das großartigste Schiff versenken, das jemals gebaut wurde. Würden wir die NAUTILUS der britischen Marine zur Verfügung stellen, könnte sie den Verlauf dieses Krieges entscheidend beeinflussen.«

»Halt die Klappe«, sagte André. Auch er starrte weiter in den Nebel zurück, und in seinem Gesicht stand derselbe Kummer geschrieben, den auch Mike verspürte.

»Aber sicher, ich halte sofort den Mund«, maulte Ben. »Ich meine - warum sollte ich auch was sagen? Die NAUTILUS auf unserer Seite könnte ja nur vielleicht Tausende von Menschenleben retten.«

»Oder aber kosten«, entgegnete Juan an Andrés Stelle. Er seufzte. »Das haben wir doch schon oft genug durchgekaut, oder?«