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Groß sind die Wunder des Herrn, Pascha, und unerforschlich sind die Wege Allahs. Wir erwarten Dich in der Stadt Bremen, um gemeinsam und lächelnd weiterzuschreiten auf dem kurzen Weg von der Geburt zum Tod, auf dem Weg, den Gott den Menschen zur Pflicht auferlegt hat und den ein Dummer mit Furcht, ein Starker mit Stolz und ein Weiser mit einem Lächeln zurücklegt.

Deine Tochter

Asiadeh Rolland.«

Essad Bey

Die Geschichte meines Lebens

Vorerst: ich hasse offene Bekenntnisse, verkündete Ideale und die Jugend, zu der ich, dem Alter nach, selbst gehöre. Das Erste: weil offene Bekenntnisse meistens nur geschmacklose Versuche sind, sich selbst zu verherrlichen. Das Zweite: weil Ideale dazu da sind, um verschwiegen zu werden. Das Dritte: weil die moderne Jugend dem Alten, von dem sie physisch und geistig lebt, verächtlich den Rücken kehrt und dabei naturgemäß der Barbarei verfallen muß.

Ich liebe: alte Leute, gleichviel welcher Konfession, Nation oder Parteizugehörigkeit, den Anblick der flachen, grauen, angeblich so trostlosen Wüsten, die durch keinen Baum verunstaltet sind — und die Wappen sämtlicher Kaiserreiche der Welt. Das Erste: weil die alten Leute meistens ruhiger, klüger und bescheidener sind als die jungen. Das Zweite: weil sich beim Anblick der Sandwüste mein Auge erholt. Das Dritte: weil ich im Wappen eines Kaiserreiches die Verheißung einer besseren Zukunft der Menschheit erblicke.

Dieses als Vorbemerkung.

Geboren…? Aber schon da beginnt das Problematische meines Daseins. Die meisten Leute können ein Haus oder zumindest einen Ort angeben, in dem sie geboren sind. Zu diesem Ort beziehungsweise zu diesem Hause pilgert man dann in den alten Tagen, um sich biederen Reminiszenzen hinzugeben. Um mich den besagten Reminiszenzen hinzugeben, müßte ich zum Wagen eines D-Zuges pilgern. Ich bin während des ersten russischen Eisenbahnstreiks mitten in der russischen Steppe zwischen Europa und Asien geboren, als meine Mutter von Zürich, dem Sitze der russischen Revolutionäre, nach Baku, dem Wohnsitze meiner Familie, reiste. Am Tage meiner Geburt erließ der Zar sein Manifest, in dem er den Russen die Verfassung gewährte. Am Tage meiner Ankunft in Baku stand die Stadt in Flammen der Revolution und der Metzeleien des Pöbels. Ich selbst mußte zu meinem Vater in einem Trog gebracht werden, worauf mein Vater mich samt meiner Amme hinausschmeißen wollte.

So begann mein Dasein.

Vater: Ölindustrieller; Mutter: radikale Revolutionärin; ich selbst also von Geburt aus dazu bestimmt, beides in mich aufnehmend, liberaler Kapitalist zu werden. Dazu ist es aber nie gekommen. Die ersten Kindheitseindrücke: die Bohrtürme mitten in der flachen, öden Sandwüste, der Gesang des Muezzins in der Moschee und der verfallene maurische Palast der alten Herrscher. Diesem Palast galt meine Liebe. Er erhob sich mitten im alten asiatischen Stadtteil und wurde von der gesamten ölgierigen Menschheit von Baku verachtet. Mein Vater, der vierzig Jahre in Baku verbracht hatte, wußte kaum etwas von seiner Existenz. Ich entdeckte ihn für mich selbst und verbrachte dann endlose Stunden im Gerichtshof der alten Fürsten von Baku, am mächtigen, arabeskenverzierten Tor den Thronsaales, zwischen den zerfallenen Säulenkolonnen und unverständlichen Inschriften. Die Liebe zum alten, ungepflegten Schloß wuchs allmählich zur Liebe für die Menschen, die in das Schloß gehören. Um den Palast der alten Khane, um die Stadt zog sich die Wüste. Mit acht Jahren saß ich unbeweglich und faul auf dem Dach unseres Hauses und machte Verse über beides, die Wüste und den Palast. Beides wurde für mich zum Inbegriff einer stillen, alten, schweigsamen Größe, von der die Menschen um mich herum keine Ahnung hatten.

Jeden Sommer, von meinem zweiten Lebensjahre an, reiste ich nach Deutschland. Dort gab es weder Wüsten noch ungepflegte Ruinen. Die Menschen trugen einen Scheitel, waren immer gewaschen und hatten blaue Augen. Die stillen Korridore der deutschen Hotels, die lautlosen Diener und die Butterbrote in den Händen der Gepäckträger flößten mir grauenhafte Angst ein. Es war die Angst vor dem unbekannten, unverständlichen, modernen Leben. Dann kam der Krieg und die Deutschlandreisen hörten auf.

Kriegsjahre? Ich habe von ihnen wenig verspürt; meine Erzieherin war eine Deutsche. Ich sprach mit ihr deutsch und hoffte mit ihr zusammen, daß die Deutschen siegen und in Baku einziehen werden. Ich versprach mir davon einen einzigartigen Skandal, Straßenkämpfe, Schüsse, Unordnung und etliche angenehme und erfreuliche Dinge. Diese angenehmen und erfreulichen Dinge kamen von einer anderen gänzlich unerwarteten Seite. Die Revolution brach aus, als ich 13 Jahre alt war, und mit ihr begannen die heißersehnten Straßenkämpfe, Skandale und Unordnung. Vom Tage der Abdankung des Zaren an wurde ich zuerst nur gefühlsmäßig aus Mitleid für die gefallene Größe, dann immer bewußter, ein entschiedener Monarchist, was aber keineswegs mit der bolschewistischen Enteignung der Ölquellen zusammenhing. Es folgten die zügellosen Jahre der Revolution und des Bürgerkrieges. Straßenkämpfe. Blutige Leichen bedeckten die die Straßen Bakus; vielleicht mehr als die Straßen irgendeiner anderen Stadt des alten Zarenreiches. Dann kommt die Flucht, zuerst nach Turkestan und Persien, wo ich beim Anblick der Wüsten beinahe die ganze Revolution vergaß, dann eine kurze Wiederkehr in die Heimat und zuletzt wieder die bolschewistische Invasion. Ich fliehe. Mein Vater folgt mir. Einige Stunden verbringe ich in der Tscheka, werde dann mit Hilfe einer kleinen Lüge freigelassen und setze die Flucht fort. Aber hinter der damaligen Grenze des Bolschewistenreiches, in Georgien, werde ich als Agent der Dritten Internationale wieder für einige Stunden verhaftet. Dann folgt eine kurze Erholung von den roten Plakaten, von zwangsweisem kollektivistischen Glück und dem Terror. Die Erholung dauert nur wenige Monate. Die bolschewistischen Truppen rücken heran. Wir fliehen wieder, diesmal nach Konstantinopel, wo ich zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Revolution zu denken und zu fühlen beginne. In Konstantinopel regt sich das Alte wieder. Ich pilgere zu den Moscheen, zum Palast des Sultans, zu dem allwöchentlichen Selamlik. Der Sultan, der damals mehr Titel als unter seiner Herrschaft stehende Kilometer hatte, flößt mir dieselben Gefühle des Mitleids und der Ergebenheit ein wie einst der Zar. Am Bosporus vergesse ich allmählich das brennende Gefühl des Hasses, das in mir in den Tagen der Revolution jeder Arbeiter, jeder radikale Politiker schon allein durch seine Existenz erweckt hatte. In mir entsteht das erste Bedürfnis, die monarchistische Überzeugung vernunftmäßig zu rechtfertigen. Diese erste Rechtfertigung ist denkbar einfach: Es kommt nicht auf die Regierungsform, sondern auf die Regierungsart an. Je weniger eine Regierung versucht, mich glücklich zu machen, desto wohler fühle ich mich. Die Erfahrungen der bolschewistischen Revolution und der zwangsweisen Glücklichmachung haben mir diese Weisheit gegeben. Von diesem Standpunkt aus ist die Frage, ob Monarchie oder Republik, gänzlich gleichgültig. Doch ist die Monarchie immerhin vorzuziehen, weil sie trotz allem weniger Schattenseiten besitzt als sämtliche nichtmonarchistischen Regierungsformen, die ich kennengelernt habe. Die späteren europäischen Erfahrungen haben diese Weisheit in keiner Weise erschüttert.

Konstantinopel macht aber gleichzeitig in mir von neuem das Gefühl des Islams lebendig. Der Weltglaube, der Panislamismus, der Wunsch, den islamischen Frieden der Menschheit zu erschließen, bestimmt jahrelang mein Dasein. Der theokratische Imperialismus des Islams, der innere Friede, den er der Menschheit gibt, fesselt mich unwiderstehlich. Das monarchistische Gefühl findet auf diese Weise seine theologische und zugleich internationalistische Rechtfertigung.