Ewda Nal kehrte langsam an ihren Platz zurück. Niemand meldete sich mehr zu Wort. Die Ratsmitglieder verlangten von Grom Orm den abschließenden Vorschlag.
„Der Sachverhalt für das abschließende Urteil ist einfach. Ren Boos spreche ich von jeder Verantwortung frei. Welcher wirkliche Wissenschaftler nutzt nicht die ihm gebotene Möglichkeit, besonders wenn er vom Erfolg überzeugt ist! Der vernichtende Mißerfolg des Versuchs möge als Lehre dienen. Doch auch der Nutzen des Versuchs steht außer Zweifel. Er kompensiert zum Teil den materiellen Schaden, da jetzt das Experiment zur Lösung vieler Fragen beitragen wird, über die man in der ›Akademie der Grenzen des Wissens‹ eben erst nachzudenken begonnen hat. Die Klugheit eines verantwortungsbewußten Leiters jedoch besteht darin, daß er das für den gegenwärtigen Zeitpunkt Erreichbare zur rechten Zeit erkennt, einhält und abwartet oder einen anderen Weg einschlägt. Solch ein Leiter kann Mwen Mass an höchst verantwortlicher Stelle nicht sein. Die Wahl des Rates hat sich als falsch erwiesen. Der Rat trägt die gleiche Verantwortung wie der von ihm Erwählte, und in erster Linie trage ich sie, denn ich habe die Initiative zweier Ratsmitglieder, Mwen Mass zu berufen, unterstützt.
Ich schlage dem Rat vor, Mwen Mass von der Beschuldigung, nach persönlichen Motiven gehandelt zu haben, freizusprechen, ihm jedoch keinen leitenden Posten in verantwortungsvollen Organisationen des Planeten zu übertragen. Auch mich sollte man von meiner Funktion entbinden und zum Bau des Satelliten schicken.“
Grom Orm las auf vielen Gesichtern Mitgefühl und aufrichtiges Bedauern. Doch in der Epoche des Rings unterließen die Menschen jeden Überredungsversuch, da sie die Entscheidung des anderen achteten und von deren Richtigkeit überzeugt waren.
Mir Om beriet sich mit den Ratsmitgliedern, und die Rechenmaschine teilte das Abstimmungsergebnis des Rates mit. Grom Orms Vorschlag war einstimmig angenommen worden, jedoch mit der Einschränkung, daß er erst nach Abschluß der Sitzung seinen Posten niederlege.
Er verneigte sich mit unbeweglichem Gesicht.
„Jetzt bin ich Ihnen noch eine Erklärung schuldig“, fuhr der Vorsitzende ruhig fort. „Ich hatte gebeten, die Sternenexpedition als zweiten Tagesordnungspunkt zu behandeln, denn daß das Urteil für Mwen Mass günstig ausfallen würde, war vorauszusehen. Ich nehme an, daß auch die Ehren- und Rechtskontrolle mit uns einer Meinung sein wird. Jetzt darf ich Mwen Mass bitten, seinen Platz im Rat einzunehmen. Bei dieser außerordentlich wichtigen Entscheidung können wir auf seine Kenntnisse keinesfalls verzichten, zumal das Ratsmitglied Erg Noor an der heutigen Beratung nicht teilnehmen kann.“
Mwen Mass ging zu den Sesseln der Ratsmitglieder. Geräuschlos rückten an die Stelle der Planetenkarten schwarze Tafeln mit den verschiedenfarbigen Lichtern der Sterne. Der Vorsitzende des Rates war wie umgewandelt. Die kühle Zurückhaltung war verschwunden. Rasch bestieg er die Tribüne.
„Jede Sternenexpedition ist die Verwirklichung eines lang gehegten Traumes, sie stellt eine neue Sprosse dar auf der Leiter des großen Aufstiegs. Andererseits konnte sie nur durch die Arbeit von Millionen möglich werden, so daß sie nicht ohne Erfolg, ohne wissenschaftlichen oder ökonomischen Nutzen bleiben darf, sollen nicht unsere Entwicklung und die weitere Bezwingung der Natur zum Stillstand kommen. Darum diskutieren, überlegen und rechnen wir so sorgfältig, bevor wir ein neues Sternschiff in den Kosmos schicken.
Wir waren dem Großen Ring verpflichtet, die siebenunddreißigste Expedition für seine Interessen einzusetzen. Um so sorgfältiger haben wir die Vorbereitung für die achtunddreißigste Expedition erörtert. Verschiedene Ereignisse des letzten Jahres haben jedoch die Lage verändert und verpflichten, Wege und Aufgaben der Expeditionen zu überprüfen, die von den früheren Räten und durch weltweite Diskussionen festgelegt wurden. Inzwischen hat man Verfahren entdeckt, mit deren Hilfe man Legierungen unter hohem Druck bei absoluter Nulltemperatur herstellen kann, die die Rumpffestigkeit der Sternschiffe verbessern. Die vervollkommneten und rationeller arbeitenden Anameson-Triebwerke ermöglichen es, die Flugweite eines Schiffes zu vergrößern. Die für die achtunddreißigste Expedition vorgesehenen Sternschiffe ›Aella‹ und ›Tintaschel‹ sind im Vergleich zu der eben fertiggestellten ›Lebed‹ veraltet. Wir sind zu ausgedehnteren Flügen in der Lage.
Erg Noor, der mit der ›Tantra‹ von der siebenunddreißigsten Expedition zurückgekehrt ist, berichtete von der Entdeckung eines schwarzen Sterns der T-Klasse, auf dessen Planeten ein Sternschiff unbekannter Konstruktion aufgefunden wurde. Ein Versuch, in das Innere des Schiffes zu gelangen, hätte beinahe allen, die in der Nähe waren, den Tod gebracht. Durch Zufall gelang es, ein Stück Metall vom Schiffskörper mitzubringen. Es ist ein bei uns nicht bekanntes Material, obgleich es dem vierzehnten Silberisotop ähnlich ist, das auf den Planeten eines außerordentlich heißen Sterns der 08-Klasse, dem Zeta Puppis, bekannt ist. Die Form des Sternschiffs — eine bikonvexe Scheibe mit einem riesigen Spiralrohr — wurde in der ›Akademie der Grenzen des Wissens‹ bereits erörtert.
Yuni Ant hat die Informationsbänder des Rings von vierhundert Jahren, seit wir dem Ring angehören, geprüft. Dieser Konstruktionstyp von Sternschiffen ist bei der Ausrichtung unserer Wissenschaft und bei unserem Wissensniveau undenkbar. Er ist auf allen Planeten der Galaxis, mit denen wir Informationen ausgetauscht haben, unbekannt. Ein Schiff von so kolossalen Ausmaßen stammt zweifellos von einem unvorstellbar fernen Planeten, vielleicht aus dem Zentrum der Galaxis, vielleicht auch von extragalaktischen Welten. Möglicherweise flog es Millionen Jahre durch den Raum und landete schließlich auf dem Planeten des Eisensterns am Rande der Galaxis.
Wie wichtig die Erforschung dieses Schiffes durch eine Sonderexpedition ist, brauche ich wohl nicht zu erläutern.“
Grom Orm schaltete den Hemisphärenbildschirm ein, der Saal wurde dunkel. Vor den Zuschauern zogen langsam die Aufzeichnungen der Gedächtnismaschine vorüber.
„Diese Information traf vor kurzem vom Planeten ZR 519 ein — der Kürze halber lasse ich die genauen Koordinaten weg. Es sind Aufnahmen von der Expedition des Planeten zum System des Sterns Achernar!“
Die Anordnung der Sterne wirkte seltsam: Flecke eines matt leuchtenden Gases, dunkle Wolken und schließlich große erkaltete Planeten, die das Licht eines erstaunlich hellen Sternes reflektierten. Der Achernar, mit einem Durchmesser dreieinhalbmal so groß wie die Sonne und mit deren zweihundertundachtzigfacher Leuchtkraft, war also ein unbeschreiblich heller blauer Stern der Spektralklasse B 5. Das Weltraumschiff, von dem aus die Aufnahmen gemacht worden waren, flog seitwärts davon. Wahrscheinlich waren Jahrzehnte seitdem vergangen. Auf dem Bildschirm tauchte ein anderer Himmelskörper auf: ein heller grüner Stern der S-Klasse. Er nahm an Größe und Helligkeit immer mehr zu, je näher das Sternschiff der fremden Welt kam. Durch eine Atmosphäre hindurch müßte die grünliche Färbung noch viel schöner aussehen, dachte Mwen Mass. Und schon tauchte auf dem Bildschirm die Oberfläche eines neuen Planeten auf. Vor den Augen der Zuschauer zog ein Land hoher Berge vorüber, in alle denkbaren Schattierungen grünen Lichts getaucht. Schwarzgrüne Schatten in den tiefen Schluchten und an den steilen Hängen, blaugrüne Felsen und Täler, meergrüner Schnee auf den Gipfeln und Hochebenen, gelblichgrüne Landstriche, versengt von der Hitze des Gestirns. Malachitfarbene Bäche stürzten bergab zu unsichtbaren Seen und Meeren.
Eine hügelige Ebene erstreckte sich bis ans Ufer des Meeres, das aus der Ferne wie glänzendes grünes Blech wirkte. Die blauen Bäume waren dicht belaubt, auf den Waldwiesen schimmerten Flecken unbekannter purpurroter Sträucher und Gräser. Die Menschen der Erde blickten gebannt auf dieses gespenstische Bild. Mwen Mass durchforschte sein Gedächtnis, um die Lage des grünen Sterns genau zu bestimmen.