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Hal Clement

Das Nadelöhr

Titel der amerikanischen Originalausgabe Through the Eye of a Needle

Deutsche Übersetzung von Hans Maeter

Das Umschlagbild schuf Eddie Jones

Redaktion: Rainer Michael Rahn

1983 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Printed in Germany 1983

1

Generalitäten

Von den drei Männern im Cockpit der Catalina war einer leicht gelangweilt, einer fühlte sich überhaupt nicht wohl, wagte aber nicht, es zuzugeben, und der dritte fragte sich, ob sie das Richtige taten.

Der Pilot hatte den Trip von Tahiti nach Ell einige Dutzend Mal hinter sich gebracht und so viele tausend Stunden Flugzeit in dem Amphibium hinter sich, daß er für Fliegen und Navigation nur einen sehr geringen Teil seiner Aufmerksamkeit benötigte. Das Wetter war ein wenig böig, ohne jedoch Grund zur Besorgnis zu geben, und das Flugboot war so zuverlässig, daß es nur der Routine eines Piloten bedurfte, um seine Funktionen zu überwachen.

Robert Kinnaird beobachtete das Wetter nicht mit der gleichen Gleichgülti gkeit. Er wußte natürlich genauso wie der Mann auf dem linken Sitz des Cockpits, daß keinerlei Gefahr bestand, doch dieses Wissen schien seinem Nervensystem auf dem Reflex-Niveau nichts zu nützen. Seine Augen und seine semizirkulären Kanäle leiteten widersprüchliche Informationen zu seinem Gehirn. Der Pazifik war an diesem Nachmittag mit Konvektions-Zellen bedeckt; einige von ihnen wurden durch die klei

nen, fast runden Kumuluswolken, die sie bedeckten, sichtbar gemacht, andere jedoch konnte er nur fühlen. Der junge Mann war mehrmals nahe daran gewesen, dem Piloten vorzuschlagen, über die Kumuluswolken zu steigen, doch er wußte im voraus, was für eine Antwort er bekommen würde. Dulac, der Pilot, hatte sehr strenge Ansichten über das Haushalten mit Brennstoff, selbst bei einem so kurzen Trip wie diesem. Seine Erfahrungen als Kriegsflieger während der frühen vierziger Jahre im Gebiet desselben Ozeans hatte ihm ein sehr klares Bild vom Verhältnis der Wassermassen zu Land gegeben, selbst in Sektoren, in denen es zahlreiche Inseln gab.

Kinnaird hatte selbst darauf bestanden, den Flug an diesem Nachmittag durchzuführen und nicht erst am folgenden Vormittag. Dulac hatte ihn gewarnt, daß es etwas holperig werden würde. Bob konnte also weiter nichts tun, als sich über das dritte Mitglied ihrer Gr uppe zu ärgern, und er wußte, daß dieser Ärger sowohl ungerechtfertigt als auch sinnlos war. Er wußte seit Jahren, daß der Jäger für so triviale Phänomene wie Luftkrankheit nicht das geringste Verständnis hatte.

Der Jäger wußte selbst nicht, ob er etwas unternehmen sollte oder nicht. Es war natürlich Bobs eigene Schuld, daß sie den Flug heute unternommen hatten; es gab keinen praktischen Grund dafür, daß sie nicht bis zum nächsten Morgen gewartet hatten. Der Mensch wußte durch Perzept und Erfahrung, daß sein außerirdischer Begleiter alles in seiner Macht stehende tun würde, um ihn vor ernsthaften Gefahren und Krankheiten zu bewah-ren, daß er jedoch Bob nicht dazu ermutigen wollte, sich zu sehr auf die unsichtbare Präsenz des Wesens zu stützen. Die vier Pfund Gallertmasse, die in allen Körperhöhlen des Mannes verteilt waren, wußten, daß eine totale Abhängigkeit von ihm zu noch größeren Schwierigkeiten führen konnten, als die sieben Jahre partieller Abhängigkeit es bereits getan hatten. Der Jäger neigte in diesen Tagen dazu, alles zu unterlassen, was über einen leichten Ausgleich von Beschwerden hinausging. Er wußte, daß er überreagierte, daß ein leichter Nervendruck, durch den er Bobs Übelkeit mildern konnte, sicher nicht schaden würde; doch solange Bobs Gesundheitszustand so labil war, wollte er keinerlei Risiko eingehen. Schließlich würde der Flug bald vorüber sein.

Er versuchte, Bob zu trösten, indem er ihn darauf hinwies. Der Pilot konnte ihn nicht hören, da die Stimmlaute des Jägers in Bobs Mittelohrknochen entstanden, die von Fäden nichtmenschlichen Gewebes in Schwingungen versetzt wurden. Die Antwort war jedoch weniger gut getarnt.

„Sage mir doch nicht, daß es nicht mehr lange dauert!“ fauchte Kinnaird. „Wir fliegen bereits dreieinhalb Ewigkeiten, und die Insel ist noch nicht einmal in Sicht. Warum hast du es mir nicht ausgeredet?“ Seine Stimme war nicht ganz hörbar, obwohl er wirklich sprach — der Jäger war kein Gedankenleser, auch wenn er die Emotionen hinter den meisten von Bobs unfreiwilligen muskulären und glandulären Reaktionen interpretieren konnte.

Der Pilot hätte sein Murmeln möglicherweise hören können, wenn die Motoren nicht gelaufen wären.

„Was hätte ich denn sagen sollen?“ erwiderte der Jäger. „Ich habe dich darauf hingewiesen, daß Dulac recht hatte, als er uns einen ziemlich rauen Flug ankündigte. Und da du bei allem, was wir tun, die letzte Entscheidung triffst — es sei denn, ich nehme mein Veto-Recht in Anspruch, indem ich dich bewußtlos werden lasse —, konnte ich kaum noch etwas tun. Du wolltest es so haben, nun finde dich auch gefälligst damit ab. Schließlich ist nichts in deinem Magen, um das es schade wäre.“

„Ich wünschte, du würdest jetzt von deinem Veto-Recht Gebrauch machen. Zumindest ginge es mir dann besser, bis wir gelandet sind. Ich meine es ernst, Jäger. Ich habe mich noch nie im Leben so schlecht gefühlt. Vielleicht trägt auch die andere Sache dazu bei, aber ich weiß, daß ich es nicht mehr lange aushallen kann.“

Der Jäger fühlte sich im ersten Moment versucht, nachzugeben, doch dann entschied er, das Risiko nicht einzugehen.

„Dies ist nicht die Art Notfall, für die mein Veto gerechtfertigt ist, und du weißt das sehr genau“, sagte der Alien. „Es tut mir leid, daß du dich nicht wohl fühlst, aber bis jetzt ist noch niemand an der Luftkrankheit gestorben, wie es deine Leute auszudrücken pflegen. Sie…“

„Wenn du aussprichst, was du anscheinend sagen willst, besaufe ich mich, sowie wir zu Hause angekommen sind!“ unterbrach Bob, beinahe laut genug, um von Dulac gehört zu werden. Der Jäger, dessen Hauptanliegen es war, die Aufmerksamkeit seines Gastgebers von seinem Magen abzulenken, versagte es sich, das Klischee zu wiederholen und wechselte einfach das Thema. Die Bemerkung über den Alkohol, nahm er an — und hoffte er —, war nicht ernst gemeint; Bob war zu klug, um die persönliche Koordination seines Symbionten aufs Spiel zu setzen.

„Glaubst du wirklich, wir könnten irgendwohin gehen, ohne mehr Menschen von meiner Existenz wissen zu lassen?“ fragte der Alien. „Wir werden eine Menge Hilfe brauchen.“

„Die meiste erhoffe ich mir von Doc Seever“, antwortete Bob. „Seine Sprechstunden sind natürlich ein wenig unregelmäßig, da es keine Möglichkeit gibt, das Auftreten von Krankheiten oder Verletzungen auf der Insel vorauszusehen, doch weiß er mehr von allem, was man wissen muß, als jeder andere dort. Dad dürfte die meiste Zeit zu beschäftigt sein, um helfen zu können. Wir sollten wirklich ein paar Leute haben, die entweder eine sehr viel niedrigere Position in der PFI-Hierarchie und höchstens eine acht-zu-fünf Verantwortung haben, oder solche, die überhaupt nichts mit PFI zu tun haben. Aber die dürften auf Ell kaum zu finden sein.“

„Deine Mutter ist eine sehr kompetente Frau.“

„Die braucht zu viel Zeit, sich um Silly zu kü mmern.“

„Deine Schwester ist jetzt sechs Jahre alt. Sie sollte deine Mutter nicht mehr viel in Anspruch nehmen. — Geht sie nicht schon zur Schule?“

„Vielleicht. Ich habe fast vergessen, wie es mit der Schule ist auf dieser Insel.“

Ihr Gespräch wurde durch eine Berührung auf Bobs Schulter unterbrochen, die von beiden gefühlt wurde. Beide wandten den Kopf nach vorn — der Jäger hatte dabei keine andere Wahl — und sahen die Insel, die Bob als seine Heimat betrachtete, obwohl er die Hälfte der letzten zehn Jahre anderswo verbracht hatte, direkt voraus auftauchen. Die tiefstehende Sonne akzentuierte die Kämme der L-förmigen Gebirgskette, die das Rückgrat der Insel bildete, und wurde von den Wänden der quadratischen Kultur-Tanks zurückgeworfen, die in der Lagune verstreut lagen. Dulac nahm das Gas zurück und legte die Maschine in eine leichte Rechtskurve.