Выбрать главу

Der Conestoga des Treck-Captains hatte starke Beschädigungen erlitten, war aber nicht auseinandergebrochen. Die Deichsel und zwei Räder waren zersplittert.

Aber wo steckte Abner Zachary selbst?

Jacob stieß fast mit dessen Sohn Aaron zusammen, der den Hügel heruntergehastet kam und laut nach seinem Vater rief.

Der Deutsche sah eine Stiefelspitze hinter dem auf der rechten Seite eingeknickten Conestoga hervorlugen und hörte ein leises Röcheln. Er sprang um den Wagen herum und sah den graubärtigen Prediger zusammengekrümmt am Boden liegen. Er lag auf der Seite, denn sein blutiger Oberkörper war von dem abgebrochenen Stück der Wagendeichsel durchbohrt worden.

Abner Zachary riß seine Augen auf und richtete sie auf den Deutschen, dann auf seinen Sohn, der neben Jacob trat. Er öffnete den Mund, brachte aber nur ein erneutes Röcheln hervor.

Blut floß in seinen Bart.

Jacob und Aaron gingen neben ihm in die Knie und brachten ihre Ohren ganz dicht an seinen Mund.

»Was ist, Vater?« fragte Aaron. »Was willst du uns sagen?«

Unter Mühen und Schmerzen, immer wieder Blut hustend, konnte der Prediger ein einziges Wort stöhnen: »Andrew.«

Betreten schauten Jacob und Aaron zum Rand der Schlucht, in die der jüngste Sohn des alten Zachary gestürzt war. Beide suchten nach Worten, als sie plötzlich die Hilferufe vernahmen.

»Das ist Andy!« stieß Aaron erregt hervor. »Andrew - er lebt!«

Er sah seinen Vater an.

»Wir bringen dir Andrew, Vater. Warte nur!« Aarons Blick wurde besorgt, und leise fragte er: »Du wirst doch warten?«

Der Prediger konnte nicht antworten, so schwach war er. Er konnte nicht einmal den Kopf zu einem Nicken bewegen. Er konnte nur die grauen Augen schließen und wieder öffnen. Das war sein Ja.

Jacob und Aaron ließen Abner Zachary in der Obhut seiner drei Töchter zurück und eilten zum Rand der Schlucht, wo sich bereits andere Auswanderer versammelt hatten. Auch Martin war darunter.

»Da hängt Andrew, an dem Strauch«, sagte er und zeigte auf die Stelle, von wo der verängstigte Junge hilflos zu ihnen heraufstarrte.

»Seile!« rief Jacob zu den Planwagen hin. »Bringt uns zwei starke Seile!«

Er mußte sehr laut rufen, weil die durch den zurückgerollten Conestoga verwundeten Ochsen qualvoll ihren Schmerz hinausschrien.

Noah Koontz erbarmte sich seiner Tiere. Er löste sich aus den Armen seiner Frau und der fünf Kinder, trat vor die Trümmer seines Wagens und erschoß die vier Ochsen, denen nicht mehr zu helfen war, aus nächster Nähe mit seinem alten Kipplaufrevolver. Jetzt besaß er nur noch vier Ochsen. Selbst die konnte er erübrigen, ohne Wagen.

Sam Kelley, der kräftige, dunkelhäutige Schmied, brachte zwei dicke Hanfseile heran und band sie an der Kupplungsdeichsel von Abner Zacharys Conestoga fest. Dann führte er die Seile um einen hüfthohen, kegelförmigen Felsen am Rand der Schlucht herum, etwa an der Stelle, an der Andrew abgestürzt war.

Aaron wollte sich das Ende eines Seils um die Brust binden, aber Jacob, der Hut, Jacke und Waffengurt abgelegt hatte, nahm es ihm aus der Hand.

Aaron sah den Deutschen mit umwölkter Stirn an. »Was soll das, Adler? Wir haben wenig Zeit!«

Jacob nickte und begann sich das Seil umzubinden.

»Ich weiß. Aber ich werde gehen!«

»Warum? Andrew ist mein Bruder! Ich habe meinem Vater versprochen, ihn zurückzubringen!«

»Sie sind zu aufgeregt«, sagte Jacob sachlich und zog den Knoten auf seiner Brust fest. »Sehen Sie sich nur Ihre Hände an, Zachary. Lassen Sie mich lieber gehen!«

Aaron sah auf seine Hände, die er mit gespreizten Fingern vor sich hielt. Es stimmte, sie zitterten beträchtlich.

»Ich.«, begann er, brach dann aber ab, weil ihm die Worte fehlten.

»Sie können sich bedanken, wenn ich mit Ihrem Bruder zurückkomme«, sagte Jacob und sah dann die anderen Männer an. »Laßt mich jetzt runter, möglichst vorsichtig, aber auch möglichst schnell!«

Er hielt sich mit den Händen an dem Seil fest und stützte sich zugleich mit den Füßen an der steilen Wand ab.

Über ihm ließen Martin, Aaron, Sam Kelley und weitere Helfer Stück für Stück das Seil herunter.

Und unter ihm bangte Andrew Zachary um sein Leben, während er mit aufgerissenen Augen zu dem langsam näherkommenden Retter aufsah.

Jacob kam das Ganze wie ein Alptraum vor, der den Treck völlig unerwartet getroffen hatte. Im Nachhinein war die Reise fast zu reibungslos verlaufen, nachdem der Angriff der Outlaws am Big Blue River zurückgeschlagen worden war.

*

Bis zum Big Blue allerdings war es ein an Aufregungen und Strapazen reicher Weg gewesen, den der dreißig Wagen starke Treck von Kansas City aus durch die weiten Ebenen der Prärien hinter sich gebracht hatte. Er hatte vornehmlich mit zwei Feinden zu kämpfen gehabt.

Der eine Feind war ein fast zwei Wochen dauerndes Unwetter gewesen. Der sturmgepeitschte Regen hatte das Land aufgeweicht und die Wagen so stark im Schlamm versinken lassen, daß sie den Big Blue statt nach zwei erst nach drei Wochen erreicht hatten. Und dabei war der Treck sowieso schon spät dran. Am Big Blue, der normalerweise leicht zu überqueren war, hatten die Auswanderer ratlos vor einem durch das Hochwasser angeschwollenen, reißenden Strom gestanden.

Der zweite, viel gefährlichere Feind wurde Oregon Tom genannt und hieß eigentlich Thomas Bidwell. Er war der Scout, der den Treck nach Oregon führen sollte. Aber er führte ihn ins Verderben, in die Hände einer fünfzigköpfigen Outlaw-Horde. Deren Anführer, der zwielichtige Geschäftsmann Jed Harper, hatte es auf die 80.000 Dollar abgesehen, die Alan Clayton ohne Wissen der übrigen Auswanderer mit sich führte. Zum Glück für die Auswanderer hatte Marshai Bowden Webb aus Kansas City mit einem dreißigköpfigen Aufgebot die Outlaws vertrieben. Aber neun Auswanderer hatten ihr Leben lassen müssen, und neun Kreuze am Ufer des Big Blue zeugten davon.

Webb hatte Clayton und das gestohlene Geld mit zurück nach Kansas City genommen. Thomas Bidwell war tot, in Notwehr erschossen von Jacob. Jed Harper und seine zwei Handlanger, der riesenhafte Hoss und der magere Skinny, waren zusammen mit dem Großteil der Outlaws entkommen.

Dank Jacobs Einfall, Halteseile über den Big Blue zu spannen, konnte der Treck trotz der starken Strömung übersetzen. Nach einer kurzen Rast in dem kleinen Ort Manhattan ging die Fahrt durch die Prärie weiter, zur großen Erleichterung der Auswanderer ohne schwerwiegende Zwischenfälle.

Auch das Wetter hatte sich seit Erreichen des Big Blue schnell gebessert. Sobald das aufgeweichte Land von der kräftigen Julisonne getrocknet worden war, konnte die tägliche Meilenzahl erhöht worden. Gnadenlos trieben Abner Zachary und seine Söhne Menschen und Tiere an, um die verlorene Zeit gutzumachen. Schließlich galt es, die Rocky Mountains noch vor Einbruch des Winters zu überqueren, wollte man nicht Gefahr laufen, im Schnee steckenzubleiben und zu verhungern, wie es vor knapp zwanzig Jahren vielen Angehörigen des berüchtigten Donner-Trecks widerfahren war.

Das morgendliche Wecken wurde um eine Stunde vorverlegt, auf drei Uhr. Die Mittagsrast wurde gekürzt. Abends rollten die Wagen, bis der letzte Sonnenstrahl hinter den allmählich näherrückenden Bergen verschwunden war. So gelang es, an einigen Tagen fast dreißig Meilen zurückzulegen, das Doppelte der durchschnittlichen Tagesleistung eines Trecks. Allerdings nur solange, wie das Land flach war und den schweren Wagen keine Hindernisse wie Flußläufe oder Schluchten in den Weg legte.

Als der Südarm des Platte River überquert werden mußte, war das für die Auswanderer nach den Erfahrungen am Big Blue fast eine Routineangelegenheit. Sie schafften es an einem Nachmittag und fuhren am nächsten Morgen weiter, folgten dem nördlichen Platte, der sie zum Fort Laramie brachte.

Hier, am Fuß der Rockies, wurden noch einmal die Vorräte ergänzt. Die fast zweihundert Männer, Frauen und Kinder des Trecks gönnten sich trotz ihrer Zeitnot sogar einen ganzen Tag Rast, um sich zu erholen und sich auf den schwersten Teil ihrer Reise vorzubereiten: die Überquerung des gewaltigen Gebirgszugs, der sich auf einer Länge von dreieinhalbtausend Meilen vom Yukon in Alaska bis zum Rio Grande del Norte an der Nordgrenze Mexikos erstreckte.