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Obwohl er sie nur von hinten sah, kamen ihm ihre Umrisse vertraut vor. Der eine wirkte groß und massig, sein Begleiter im Vergleich zu ihm wie ein Strich in der Landschaft.

Jacob hatte sie mit Sicherheit schon einmal gesehen -irgendwo und irgendwann.

Er kletterte ganz nach oben und half Billy Calhoun, der nach ihm kam, beim Heraussteigen. Dann zog der junge Treck-Captain den Army Colt aus dem Holster und spannte so leise wie möglich den Hahn. Die Entfernung zu den beiden Bewaffneten am Rand des Plateaus betrug etwa zwanzig Yards. Wäre der Canyon nicht vom Echo der Schüsse erfüllt gewesen, hätten sich Jacob und seine Gefährten vielleicht schon längst durch ein Geräusch verraten.

Während auch Sam Kelley, Custis Hunter und Melvin Freeman aus dem Kamin stiegen, schlichen Jacob und Billy mit gezogenen Waffen auf die beiden Fremden zu.

Jacob wußte nicht, wodurch sie sich verraten hatten. Jedenfalls fuhr der Dünne auf einmal herum, als die Auswanderer nur noch zehn Yards von ihm entfernt waren, und starrte sie mit erschrockenem Gesicht an.

»Skinny!« stieß Jacob überrascht hervor und erinnerte sich an Jed Harpers Helfershelfer, der ihn und Billy zusammen mit dem bulligen Hoss, dem verräterischen Scout Tom Bidwell und Jed Harper selbst auf der Henry-Farm gefangengenommen hatte.

Das Knochengerüst ließ den leergeschossenen Karabiner fallen und griff nach dem Revolver an seiner Hüfte. Bevor der Dürre ihn noch ganz herausgezogen hatte, krachte neben Jacob ein Schuß. Skinnys Revolver rutschte ins Holster zurück, und der hagere Mann klappte zusammen. Billys Kugel hatte ihn in die Brust getroffen, dicht am Herzen.

Der Begleiter des Dürren wirbelte, durch den Schuß alarmiert, ebenfalls herum. Es war, wie es sich Jacob schon gedacht hatte, der schnauzbärtige Bulle, den sie Hoss nannten. Er hatte seinen Karabiner gerade nachgeladen und feuerte sofort. Die Kugel pfiff zwischen Jacob und Billy hindurch.

»Fallenlassen!« sagte Jacob scharf. »Der Karabiner ist leer. Und bis du deinen Revolver gezogen hast, haben wir dich längst durchlöchert. Das hat dein Freund auch feststellen müssen.«

Enttäuschung und Zorn machten sich auf Hoss' breitem, fleischigem Gesicht breit. Sein jetzt nutzloser Karabiner fiel klappernd zwischen die Felsen. Aber plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck. Triumph trat in seine aufgequollenen Züge.

»Fallenlassen ist das Stichwort!« schnarrte eine Stimme hinter Jacob, die er schon einmal gehört hatte. »Aber für euch fünf Figuren. Wenn ihr nicht sofort eure Revolver wegwerft, jage ich jedem ein Stück Blei in den Rücken!«

Jacob und seinen Begleitern blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Während sie die Hähne ihrer Waffen zurückgleiten und die Revolver in den Dreck fallen ließen, zog Hoss seine Waffe aus dem Holster und richtete sie auf die Auswanderer.

Der Mann, der in ihrem Rücken gestanden hatte, trat neben Hoss in ihr Blickfeld. Er war mittelgroß, untersetzt und trug einen unpassend wirkenden Anzug. Der dunkle Dreiteiler war mit einer dicken Schmutzschicht überzogen.

»Wie gut, daß ich unseren Posten hier verlassen habe, um nach den Männern zu sehen, die aus unserem Schußfeld verschwunden sind«, sagte Jed Harper, der in jeder Hand einen Revolver hielt. »Ich dachte mir, daß ihr eine krumme Tour versucht, als ich den Dutch« - er sah Jacob an - »bei euch sah. Du hast uns schon auf der Henry-Farm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Diesmal wird es dir nicht gelingen!«

Hoss hatte sich derweil über Skinny gebeugt und ihn herumgedreht. Das Hemd unter Skinnys Jacke hatte sich auf der ganzen linken Seite blutigrot verfärbt.

»Er ist tot«, sagte Hoss mit einer Traurigkeit, die Jacob dem ungeschlachten Mann nicht zugetraut hatte.

Der Bullige stand auf und streckte seinen Revolver vor. »Dafür werdet ihr bezahlen!«

»Halt!« rief Jacob. »Bevor ihr uns umbringt, hätte ich gern erfahren, was das alles soll. Weshalb habt ihr uns bis hierher verfolgt?«

»Weshalb schon?« entgegnete Harper. »Aus Rache natürlich!«

»Rache?« fragte der Deutsche ungläubig. »Weil wir den Überfall auf unseren Treck vereitelt haben?«

»Genau deshalb. Die achtzigtausend Bucks sind uns durch die Lappen gegangen. Aber nicht nur das. Marshai Bowden Webb hat eine Fahndung nach mir herausgegeben. Ich mußte Hals über Kopf fliehen, meinen ganzen Besitz zurücklassen. Euretwegen bin ich vom angesehenen Geschäftsmann zum gejagten Gesetzlosen geworden!«

»Sie haben sich selbst zum Gesetzlosen gemacht!« erwiderte Jacob in der Hoffnung, Harper zu irgendeiner Unbedachtheit provozieren zu können. Aber Harper blieb ruhig. Er behielt die fünf Männer im Auge, und seine beiden Revolver waren weiterhin auf sie gerichtet.

Jacob zeigte nach unten, in den Canyon.

»Sie haben also einen ganzen Treck abgeschlachtet, nur um Ihre Rache zu befriedigen?«

Harper nickte.

»Ich nehme an«, fuhr Jacob fort, »Sie haben auch das Gelände am Steilpaß gelockert.«

»Yeah. Stück für Stück werden wir den Treck fertigmachen!«

»Wenn ihr nicht vorher drauf geht«, erwiderte Jacob mit einem Blick auf Skinnys Leiche. »Wieviel haben Sie Hoss und Skinny für die Mordarbeit bezahlt, Harper?«

Der Mann im dunklen Dreiteiler grinste Jacob mitleidig an.

»Gar nichts. Sie sind freiwillig mitgekommen. Sie haben einen eigenen Grund für Ihre Rache. Genau genommen bist du der Grund, Dutch. Du hast nämlich ihren Bruder getötet.«

»Ihren Bruder?«

»Yeah. Tom Bidwell war ihr Bruder. Ihr Halbbruder. Drei verschiedene Mütter, aber derselbe Vater.«

»Soll vorkommen«, murmelte Jacob und dachte daran, wie wenig sich die drei Halbbrüder ähnelten. »Etwas möchte ich noch gern wissen, Harper. Was ist mit diesem Phantom?«

Jed Harper zog die Stirn in Falten.

»Was für ein Phantom, Dutch?«

»Das Phantom der Rocky Mountains. Wir haben seine Pfeile gefunden. Sie steckten in einem Berglöwen, der meinen Freund angegriffen hat.«

Harper schüttelte den Kopf.

»Erzähl keine Ammenmärchen, Mann! Ich weiß weder etwas von einem Phantom, noch von Pfeilen oder einem Berglöwen.«

»Genug gequatscht jetzt!« stieß Hoss hervor, und der schwere Walker-Colt in seiner Rechten zitterte ebenso sehr wie die weit herunterhängenden Enden seines schwarzen Schnauzbartes. Es hatte ihn schwer getroffen, jetzt auch noch den zweiten Bruder verloren zu haben. »Machen wir Schluß mit diesen Grashackern, Jed! Sonst kommen ihre Freunde im Canyon noch auf dumme Gedanken!«

Der Mann im Dreiteiler nickte.

»Du hast recht, Hoss. Wir...«

Seine weiteren Worte erstarben in einem gurgelnden Laut. Ungläubig starrten seine weit aufgerissenen Augen auf den Pfeil der tief in seine Brust gefahren war. Der Schaft war mit gelben Schlangenlinien bemalt, und an seinem Ende steckten drei Adlerfedern. Harper ließ die Revolver fallen und ging dann selbst zu Boden.

Hoss feuerte. Aber nicht auf die Auswanderer, sondern auf jemand hinter ihnen. Er konnte nur einen Schuß abgeben. Dann durchschlug ein zweiter Pfeil seine Kehle und brachte den Riesen zu Fall.

*

Jacob und seine Gefährten brauchten nur wenige Sekunden, bis sie sich von der Überraschung erholt hatten und herumfuhren.

Etwa dreißig Yards hinter ihnen stand eine unförmige Gestalt, einen großen Bogen in der Hand. Nur für einen Moment war sie zu sehen. Dann verschwand sie zwischen den hohen Felsen.

»Wer war das?« fragte Custis Hunter.

»Das werden wir herausfinden«, meinte Jacob, während er seinen Colt aufhob.

Er ging neben Harper und Hoss in die Knie.

Der Anführer des Mordtrios war tot.

Der menschliche Bulle atmete zwar noch, aber es waren die letzten Atemzüge eines Sterbenden. Der Pfeil hatte seine Lunge durchschlagen. Hoss hustete und spuckte Blut. Er starrte Jacob haßerfüllt an, bevor er starb.