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Von nun an wurde der Weg beschwerlich, und die Reisegeschwindigkeit verringerte sich zusehends. Denn während das Felsengebirge auf der anderen Seite, zum Pazifik hin, in mehreren Abstufungen sanft abfallen sollte, stieg es auf seiner östlichen Seite steil an. Mit Disziplin und Umsicht und zahlreichen Entbehrungen arbeiteten sich die Auswanderer durch die auf ihren Gipfeln schneebefleckten Laramie Mountains vorwärts, ließen sich von keinem Berg, keiner Schlucht und keinem Gebirgsfluß abschrecken.

Mit mehr als einmonatiger Verspätung passierte der Treck den Independence Rock am Sweetwater River. Das gewaltige Gestein verdankte seinen Namen, >Unabhängigkeits-Felsen<, dem Umstand, daß viele Wagenkolonnen hier am Unabhängigkeitstag vorbeizogen und diesen Festtag in der romantischen Umgebung des Felsens begingen. Für Abner Zachary und seine Leute, die erst am Unabhängigkeitstag von Kansas City aufgebrochen waren, bestand kein Grund zum Feiern. Nur kurz bewunderten sie die Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Namen, die in den Stein geritzt oder gemeißelt waren. Namen von Männern und Frauen, Namen aller nur erdenklichen Nationalitäten. Niemand von Abner Zacharys Begleitern verewigte sich hier. Die Zeit drängte.

Endlich erreichte der Treck den South Pass an der Wind River Range, die höchste zu überquerende Stelle der Rockies. Im Gegensatz zu den vielen unwegsamen Strecken, die der Wagenzug auf seiner langen Reise zu überwinden hatte, war der South Pass geradezu gemütlich zu nennen, fast eine Enttäuschung für die inzwischen an Herausforderungen gewöhnten Pioniere. Viele hatten sich den Paß als eine zerklüftete, nur schwer zugängliche Felsenschlucht vorgestellt. Statt dessen bot sich den Menschen ein überaus leicht passierbarer, sanft geschwungener Wiesenbuckel dar, der leicht und undramatisch nach Westen abfiel.

Hier oben spürten die Auswanderer erstmals den kalten Hauch des nahen Winters, der sie zu noch größerer Eile ermahnte. Nachts wurde es so bitter kalt, daß sie sich nicht dick genug in Decken packen konnten. Sogar am hellen, sonnenbeschienenen Tag stießen die Menschen auf zugefrorene Wasserlöcher. Sie hackten große Eisstücke heraus und füllten mit ihnen ihre Wasserfässer auf.

Wegen des nahen Winters nahmen die Auswanderer nicht die südwestliche Route, vorbei am alten Fort Bridger, das die Mormonen sechs Jahre zuvor bei ihrer Konfrontation mit der amerikanischen Regierung niedergebrannt hatten, um es nicht den US-Truppen in die Hände fallen zu lassen. Dieser Trail war zwar sicher zu befahren und gut mit Wasser und Weidegründen versehen, aber er bedeutete einen gewaltigen Umweg, weil der Treck einen großen Bogen schlagen mußte.

Abner Zachary entschied sich für den kürzeren Trail, Sublette's Cutoff, benannt nach einem wagemutigen Mountain Man, der diesen Weg als erster Weißer zurückgelegt hatte. Die fünfzig Meilen lange Hochebene zog sich schnurgerade von Westen nach Osten. Aber das graslose, von der heißen Sommersonne verbrannte Land bot Mensch und Vieh keine Nahrung, noch nicht einmal Wasser. Das nächste Gewässer, der Green River, lag jenseits der Hochebene. Der beschwerliche Weg durch tiefe Schluchten, enge Spalten voller Geröll und ausgetrocknete Alkaliseen entsprach schon eher dem, was die Pioniere am South Pass erwartet hatten.

Trotz der wild zerklüfteten, unüberschaubaren Landschaft geriet der Wagenzug keinen Moment in die Gefahr, vom Weg abzukommen. Der Trail war deutlich markiert durch die Hinterlassenschaften früherer Trecks: sonnengebleichte Knochen und zerfressene, aufgedunsene Tierkadaver, zerbrochene Wagen, zurückgelassener Hausrat. Und einmal sogar der höhnisch grinsende Schädel eines Menschen, den zu begraben seine Gefährten keine Zeit oder keine Kraft gehabt hatten. Vielleicht hatte er auch noch gelebt, als die Wagen mit seinen Leuten an ihm vorbeirollten, hatte ihnen nachgestarrt, bis der Tod ihn von seiner Einsamkeit erlöst hatte.

Auch Abner Zacharys Treck büßte einige Ochsen, Maultiere und Pferde ein. Aber die meisten Tiere und die Menschen hielten durch. Schließlich, am Ende der öden Hochebene, witterten die Tiere das Schmelzwasser aus den Schneeregionen im Green River und waren nicht mehr zu halten. Erst am Fluß kam der Treck zum Stehen. Mensch und Tier labten sich an den kühlen, frischen Fluten. Die schwierige Abkürzung lag hinter ihnen. Sie hatten neunzig Meilen eingespart, ein Zeitgewinn von einer Woche!

Eineinhalb Wochen später, der Treck hatte längst die kohlensäurehaltigen Quellen von Soda Springs passiert, erreichten die Auswanderer Fort Hall und frischten dort ihre Vorräte auf. Ein paar Meilen westlich des Forts, am Raft River, zweigte der California Trail vom Oregon Trail ab. Im Fort ging die Kunde von neuen Goldfunden in Kalifornien um, die fast so einträglich sein sollten wie die Funde während des großen kalifornischen Goldrausches, der vor fünfzehn Jahren ganze Heerscharen von Glücksrittern ins Land gelockt hatte. Viele der vorangegangenen Trecks hatten den Plan, nach Oregon zu reisen, aufgegeben und den Weg durch das unwirtliche Great Basin und über die Sierra Nevada genommen, um im Land des Goldes zu schnellem Reichtum zu gelangen.

Abner Zachary hielt nicht viel von solchen »haltlosen Spekulationen und gedankenvernebelnden Hirngespinsten«, wie er es nannte. Er ließ seinen Leuten kaum Zeit, über die Goldfelder Kaliforniens nachzudenken, trieb sie an, weiter den Oregon Trail entlang. Den California Trail ließ der Treck im wahrsten Sinne des Wortes links liegen. Zachary gab sich voller Zuversicht, das Gelobte Land in Oregon zu finden.

Landmarkierung nach Landmarkierung, Hindernis nach Hindernis blieb hinter der Wagenkolonne zurück. Früh am Morgen hatte der Treck den unheimlichen Geistercanyon durchfahren, ohne von den Geistern, deren Stimme man der seltsamen Echos wegen zu hören glaubte, belästigt worden zu sein.

Aber an diesem Oktobertag des Jahres 1863, hier an dem steilen, felsigen Hügel, schien sich das Schicksal des Predigers zu erfüllen - auf dem von ihm gewählten Oregon Trail. Nicht nur sein Schicksal, vielleicht auch das seines jüngsten Sohns.

*

Ängstlich sah Andrew Zachary nach oben, wo Jacob Adler langsam zu ihm abgeseilt wurde.

Viel zu langsam, wie Andrew fand.

Zu langsam für die Wurzeln des Strauches, an dem er hing. Sie gaben immer mehr nach, lösten sich Stück für Stück aus dem Erdreich der Steilwand, mit immer heftigeren Rucken, die in immer kürzeren Abständen erfolgten.

Zu langsam für Andrews Muskeln, deren Kraft allmählich erlahmte. Seine Schultern, seine Arme, seine Hände, seine Finger - alles schmerzte fast unerträglich. Je mehr er sich krampfhaft bemühte, nicht loszulassen, sich fest in den Strauch zu verkrallen, um so größer wurde der Schmerz.

Es mußte eine Erlösung sein, einfach loszulassen, die Muskeln zu entspannen und mit der Leichtigkeit einer Feder in die Tiefe zu schweben.

Andrew widerstand dieser Versuchung, indem er sich klarmachte, daß es kein sanftes Schweben sein würde, sondern ein schneller Sturz mit einem harten, tödlichendgültigen Aufprall auf den zerklüfteten Felsen unten in der Schlucht.

Er mußte aushalten, durfte seinen gequälten Fingern nicht erlauben, sich auch nur für den Bruchteil einer Sekunde auszuruhen.

Andrew richtete seinen Blick nach oben, auf Jacob Adler -seinen Retter, wie er hoffte. Angespannt verfolgte er jede Bewegung des jungen Deutschen. Der Sohn des Predigers konzentrierte sich völlig auf ihn, um so den eigenen Schmerz zu vergessen.

Andrew konnte nicht ahnen, daß außer seinen und den Augen der Auswanderer noch mehr Augen auf den Mann am Seil gerichtet waren. Auf ihn und auf den sich am Strauch festkrallenden Jungen. Die Besitzer dieser Augen verfolgten mit Interesse, was sich an der Steilwand abspielte. Aber ihre Hoffnungen galten nicht der Rettung des Jungen.