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Unter großen Anstrengungen brachte er schließlich ein einziges Wort hervor: »Danke.«

Er schloß die Augen.

Betretenes Schweigen herrschte unter den Auswanderern, die ihren Captain für tot hielten.

Aber plötzlich öffnete Abner Zachary seine Augen wieder und begann zu sprechen. Hierfür hatte er offenbar Kräfte gesammelt. Er sprach leise, langsam und stockend, immer wieder unterbrochen von Anfällen blutigen Hustens. Und doch schwang ein Rest des alten Donnergrollens in seiner Stimme mit. Seine Worte waren weithin zu verstehen.

»Ich weiß, daß ich das Gelobte Land nicht erreichen werde. Aber ihr müßt es schaffen!«

Er hob die Hand ein Stück vom Boden und zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf Jacob.

»Er wird euch führen. Ich habe ihn genau beobachtet. Bruder Jacob hat die Kraft dazu. Er ist euer neuer Captain.«

Wieder schloß er die Augen, aber noch hob und senkte sich seine durchbohrte Brust ganz leicht, hielt den letzten Rest an Lebenskraft gewaltsam in sich fest.

Nach zwei, drei Minuten öffneten sich die eisgrauen Augen wieder, ein kleines Stück nur.

»Findet das Gelobte Land!«

Abner Zacharys Augen schlossen sich endgültig.

Der Treck-Captain war tot.

*

Niemand konnte nachher sagen, wieviel Zeit verging, ob fünf, zehn oder fünfzehn Minuten, bis der Bann der Stille durchbrochen wurde, der sich mit Abner Zacharys Tod über die Menschen gelegt hatte.

Die um den Conestoga versammelten Menschen starrten einfach nur auf den zusammengekrümmten Körper, der einmal ihr robuster, tatkräftiger Anführer gewesen war. Jeder hing seinen Gedanken nach.

Für Jacob kam es vollkommen überraschend, daß der Prediger ihn zu seinem Nachfolger als Treck-Captain bestimmt hatte. Gehörte der junge Zimmermann doch nicht zu den Leuten, die schon seit Missouri bei Zachary waren, wie Sam Kelley oder Noah Koontz. Zwischen ihm und Zachary hatte kein besonders festes Band bestanden, was nicht verwunderlich war, wenn man bedachte, daß der Prediger Jacobs Freund Martin fast als vermeintlichen Mörder seines Sohns Adam gelyncht hätte.

Vielleicht war es Berenice, die den Bann mit ihrem lauten Schluchzen brach. Ihre Schwestern fielen in die Trauer ein. Die Menschen bewegten sich wieder, sprachen miteinander.

Jetzt erst fiel Jacob auf, daß sich einer nicht an der schweigenden Trauer beteiligt hatte. Dieser Mann kauerte ein Stück weiter oben an der steilen Stelle, wo Abner Zacharys Maultiere den Halt verloren hatten.

Es war Billy Calhoun, das junge Oto-Halbblut aus Kansas City, das ursprünglich den schnellen Rappen Black Thunder stehlen wollte, aber nach Tom Bidwells Tod dessen Stelle als Scout eingenommen hatte.

Billy kannte die Rocky Mountains, weil er einmal einen Frachtzug über die Berge begleitet hatte. Damit war er vielleicht nicht der empfehlenswerteste Führer unter der Sonne, aber der beste, der zur Verfügung stand. Und er hatte sich bislang bewährt.

Sorgsam untersuchte er die Stelle, an der das tödliche Unglück begonnen hatte. Immer wieder strich seine Hand prüfend über das Felsgestein, nahm loses Geröll auf und führte es dicht vor die Augen.

Als er an dieser Stelle genug gesehen hatte, weitete er seine Untersuchung auf das umliegende Gelände aus. Schließlich kehrte er zu den anderen zurück.

»Ein höllisch brüchiges Gestein, was?« bemerkte Noah Koontz, dem die Sache fast zum Verhängnis geworden wäre, zu dem Halbblut. »Hätten wir das gewußt, hätten wir den Unfall vielleicht vermeiden können.«

Billy schüttelte den Kopf und erwiderte mit unbewegtem Gesicht: »Das war kein Unfall.«

Koontz legte seinen Kopf schief.

»Wie meinst du das, kein Unfall?«

»Es war kein Unfall. Es war geplant.«

»Geplant?« echote der dunkelhäutige Farmer, noch immer nicht richtig begreifend. »Wer soll das geplant haben?«

»Der, der den Weg mit einer Spitzhacke bearbeitet hat, um das Gestein zu lockern.«

Die Worte des Halbbluts hatten einen größeren Kreis auf die Sache aufmerksam gemacht. Immer mehr Auswanderer drängten sich um Billy und Koontz zusammen.

»Bist du dir sicher mit dem, was du sagst, Billy?« fragte Jacob.

Das Halbblut nickte. »Die Spuren sind eindeutig. Kommt mit!«

Mit Jacob an der Spitze folgten die Männer dem Halbindianer zu der Stelle mit dem lockeren Erdreich. Billy zeigte ihnen Kratzspuren auf dem Felsgestein, die von einer Spitzhacke verursacht worden waren.

»Wie alt sind die Spuren?« wollte Jacob wissen.

Prüfend strich Billy mit dem Finger über eine tiefe Kerbe im Gestein.

»Sie sind noch ganz frisch. Höchstens einen Tag alt.«

»Dann ist es kein Zufall«, sagte Jacob leise, mehr zu sich selbst, und fügte lauter hinzu: »Jemand hatte es auf uns abgesehen. Soweit es Abner Zachary angeht, leider mit Erfolg.«

»Sie meinen, das war ein Anschlag?« fragte Aaron Zachary mit sich fast überschlagender Stimme. »So kann man es nennen.«

Der Sohn des toten Predigers breitete die Arme in einer Geste der Ratlosigkeit aus. »Wer sollte so etwas tun? Hier gibt es niemanden außer uns! Und - warum?«

»Wir haben hier niemand anderen gesehen«, meinte Billy Calhoun. »Aber das heißt nicht, daß niemand außer uns hier ist. Die Felsen und die Wälder bieten mehr Verstecke, als Wassertropfen im Big Muddy sind. Ich habe schon seit ein paar Tagen so ein seltsames Gefühl. Seit wir Fort Hall verlassen haben.«

Aaron richtete einen prüfenden Blick auf das Halbblut.

»Was für ein Gefühl?«

»Daß uns jemand beobachtet.«

»Uns beobachtet? Wer denn? Von wo?«

Billy zeigte mit einer weit ausholenden Geste in die Runde, und sein Blick glitt über die schroffe Bergwelt der Rocky Mountains, die sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schien.

»Ich weiß nicht, wer es ist. Und ich weiß nicht, wo er ist. Hier irgendwo. Vielleicht ganz in der Nähe. Vielleicht hört er unsere Worte und sieht uns. Aber wir können ihn nicht hören und sehen.«

Aaron zog seine Stirn in Falten.

»Du redest, als hättest du jemand ganz bestimmten im Sinn, Billy. Von wem sprichst du?«

»Von dem Phantom der Rocky Mountains.«

Für eine halbe Minute herrschte Stille, weil alle das Halbblut sprachlos anstarrten.

»Das Phantom der Rocky Mountains?« wiederholte Aaron dann langsam, jede Silbe betonend. »Was ist das?«

»Ein ruheloser Geist, der durch die Berge streift«, antwortete Billy und warf einen wachsamen Blick über das zerklüftete, schwer zugängliche Gelände. »Das Phantom kann überall hier sein und uns beobachten. Vielleicht ist es ein Felsblock oder ein Baum ganz in unserer Nähe. Vielleicht ein Wapitihirsch in den Wäldern oder ein Adler am Himmel. Manche sagen, er gehört zum Volk der Bärenmenschen. Andere, er sei ihr Feind.«

Aaron schüttelte ungläubig seinen Kopf.

»Bärenmenschen, was soll das nun wieder bedeuten?«

»Ein Volk, das nur wenige gesehen haben«, erklärte das Halbblut. »Sie stammen zur Hälfte von Menschen ab, zur Hälfte von Bären, erzählt man sich. Damals, als ich mit dem Frachtzug in den Rockies war, habe ich viel über sie und das Phantom gehört.«

»Hast du diese Bärenmenschen auch gesehen?« erkundigte sich Aaron mit einem spöttischen Unterton. »Und das Phantom?«

Billy schüttelte heftig den Kopf, und sein Gesicht drückte Erleichterung aus.

»Nein, ich habe die Bärenmenschen nicht gesehen. Und das Phantom auch nicht.«

»Was soll das ganze Gerede von Bärenmenschen und Phantomen?« fragte laut Patrick O'Rourke, der grobschlächtige Ire, mit dem Jacob schon ein paarmal aneinandergeraten war. »Das sind doch Ammenmärchen, die uns nicht weiterbringen. Wie die Geschichten von Feen und Gnomen aus meiner Heimat. Wenn hier jemand die Trasse mit Spitzhacken bearbeitet hat, war das ein Mensch. Ich habe nämlich noch nie gehört, daß Geister Spitzhacken benutzen. Und gottverdammte Bären schon gar nicht.«