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So entgegengesetzt ihre Ansichten sonst auch sein mochten, diesmal mußte Jacob dem Iren zustimmen. Wahrscheinlich ging Billys indianisches Erbe mit dem Halbblut durch, daß er irgendwelche Spukgeschichten, die man sich abends am Lagefeuer erzählt hatte, so aufbauschte.

»Hast du außer den Anzeichen der Spitzhacke Spuren gefunden, Billy?«, fragte der junge Deutsche. »Spuren, die uns mehr über den verraten, der hierfür verantwortlich ist? Woher er gekommen und wohin er gegangen ist, vielleicht?«

»Nein, es sind keine Spuren da. Der Boden ist hier zu felsig.«

»Wer auch immer das gewesen ist«, brummte O'Rourke, »er soll sich nur zeigen. Heute nacht werde ich nämlich mit einer feurigen Braut im Arm schlafen: mit meiner Rifle!«

*

Als neuem Treck-Captain oblag Jacob die Entscheidung, wie es weitergehen sollte.

Sam Kelley war der Meinung, den Conestoga der Zacharys bis zum Mittag des nächsten Tages reparieren zu können.

»Die Sache sieht schlimmer aus, als sie ist«, sagte der schwarze Schmied. »Schließlich haben die Zacharys für die zerbrochenen Räder Ersatz dabei.« Leise fügte er hinzu: »Und auch für die Deichsel.«

Auf Jacobs Geheiß machte er sich gleich, von seinem Sohn George und seinem Schwager Jackson Harris unterstützt, an die Arbeit.

Noah Koontz hatte in dieser Beziehung weniger Glück. Sein Prärieschoner war vollends hinüber. Ihm und seiner Familie blieb nichts anderes übrig, als ihre verstreuten Habseligkeiten zusammenzusuchen, soweit sie nicht zerstört oder in die Schlucht geschleudert worden waren, und sie in andere Wagen umzuladen.

Aber Noah, seine Frau und seine fünf Kinder waren ihrem Schöpfer gleichwohl dankbar, weil der Farmer mit dem Leben davongekommen war.

Abner Zachary wurde noch an diesem Nachmittag beerdigt. Der Boden war hart, weil die nächtliche Kälte ihn so stark gefrieren ließ, daß die Sonne die tieferen Schichten nicht aufzutauen vermochte. Das Grab am Wegesrand konnte deshalb nicht sehr tief ausgehoben werden. Zum Schutz vor Kojoten und Bären stapelten die Auswanderer eine dicke Schicht großer Steine darauf.

Am Kopfende des Grabes errichteten sie ein Kreuz aus Brettern von Noah Koontz' Wagen. Darauf hatte Aaron die Worte geritzt: Abner Zachary 1807-1863. Er glaubte an das Wort des Herrn und suchte das Gelobte Land.

Wir werden es finden.

Sam Kelley unterbrach seine Arbeit, um an der Bestattung teilzunehmen. Und er sprach die Grabrede. Abner Zacharys Söhne fühlten sich dazu nicht in der Lage. Jacob hätte demnach als neuer Treck-Captain die Aufgabe übernehmen müssen. Aber Sam, der den Prediger schon vom Stockton Lake in Missouri kannte, war der geeignetere Mann dafür.

Da der Weg auf den Hügel vom Conestoga der Zacharys blockiert wurde, mußte der Treck den nächsten Versuch, die Anhöhe zu nehmen, auf den folgenden Tag verschieben. Wegen der Beengtheit der Trasse, auf der die Planwagen standen, konnten sie über Nacht nicht zu einer Burg zusammengefahren werden.

Jacob hatte dabei ein sehr unruhiges Gefühl. Wer immer für den Anschlag auf den Treck verantwortlich war, es gab guten Grund zu der Annahme, daß er es wieder versuchen würde. Falls der unbekannte Feind zahlenmäßig stark war, konnte ein nächtlicher Überfall in der unübersichtlichen Felslandschaft verhängnisvolle Folgen haben. Jacob verdreifachte deshalb die übliche Zahl der Wachen und ermahnte sie eindringlich, aufmerksam zu sein.

An diesem Abend gab es für alle reichlich Fleisch - das Fleisch von Noah Koontz' Ochsen. Die Auswanderer freuten sich nicht über dieses unerwartete und ungewollte Festmahl. Ein lebender Abner Zachary wäre ihnen lieber gewesen als vier tote Ochsen.

Nach dem Essen hörte man kein Scherzen und Gelächter wie an anderen Abenden, wenn die Menschen nach getanem Tagewerk noch am Lagerfeuer beisammensaßen. Kein Akkordeon spielte und keine Fiedel. Alles ging leise vor sich, still. Ungewöhnlich schnell kletterten die Menschen zum Schlafen in ihre Wagen oder schlugen ihre Lager unter den Fahrzeugen auf.

Jacob fand keinen Schlaf. Zuviel ging ihm im Kopf herum. Das Unglück, das sich als Anschlag auf den Treck entpuppt hatte. Billy Calhouns Erzählung von dem unheimlichen Phantom der Rocky Mountains und den ominösen Bärenmenschen. Die letzten Worte Abner Zacharys, mit denen er Jacob zu seinem Nachfolger bestimmt hatte.

Die plötzliche, ungewollte Verantwortung lastete schwer auf dem jungen Zimmermann. Auf einmal wußte er, wie sich Abner Zachary die ganze Zeit über gefühlt haben mußte. Warum der Treck-Captain manchmal gewirkt hatte, als würde er jeden Augenblick unter seiner Bürde zusammenbrechen. Von nun an hing von Jacobs Entscheidungen das Wohl und Wehe von fast zweihundert Menschen ab.

Und ihr Leben!

Immer wieder fragte sich Jacob, was Zachary zu seiner Wahl des Nachfolgers veranlaßt haben mochte.

Sie hatten sich nicht besonders nahegestanden, und doch schien der Prediger großes Vertrauen in Jacob zu haben. So sehr, daß er ihn statt eines erfahrenen Mannes oder seines Sohnes Aaron zum Treck-Captain ernannte.

Vielleicht hatte es den alten Zachary beeindruckt, wie Jacob durch sein entschlossenes Handeln den Treck ein paarmal aus großer Gefahr gerettet hatte.

Als er die Prärie in Brand stecken ließ, um die auf den Treck zustürmenden Büffel aufzuhalten.

Als er zweimal einen Wagen durch den zum reißenden Strom angeschwollenen Big Blue River lenkte, um Halteseile für die nachfolgenden Wagen zu spannen.

Und als er, sich an den Seilen entlanghangelnd, einen Trupp Bewaffneter zurück über den Fluß führte, um den am anderen Ufer verbliebenen Auswanderern gegen Jed Harpers Outlaw-Bande beizustehen.

Jacob wußte selbst, daß bei all diesen Taten viel Glück im Spiel gewesen war. Und nicht immer war alles gut ausgegangen. Hätten die Auswanderer nicht auf sein Anraten den Big Blue überquert, hätten sie sich mit vereinten Kräften gegen die angreifenden Outlaws wehren können. Und Elmer Cartland wäre nicht beim Zurückhangeln an den Seilen, von feindlichen Kugeln getroffen, in den Fluß gestürzt. Jacob war ihm nachgesprungen und hatte den Farmer an Land gezogen. Aber da war der Mann bereits tot gewesen. Er hinterließ eine Frau, zwei erwachsene Söhne und zwei halbwüchsige Töchter.

Schließlich schälte sich Jacob aus seinem Schlafsack und kroch unter dem Planwagen hervor, in dem Irene, Jamie und Urilla schliefen. Er bemühte sich, leise zu sein, um seinen neben ihm liegenden Freund nicht aufzuwecken.

Da er sowieso nicht schlafen konnte, inspizierte er die Wachen. Er fand alle auf ihren Posten.

Die Nacht war sternenklar und friedlich. Aber das konnte täuschen. Der unbekannte Feind konnte jederzeit erneut zuschlagen. So plötzlich und unerwartet wie zuvor, als Abner Zacharys Maultiere plötzlich den Boden unter den Füßen verloren hatten.

Jacob schüttelte es bei dem Gedanken, daß die Auswanderer noch glimpflich davongekommen waren. Im ungünstigsten Fall hätte der zurückrollende Conestoga in die Tiefe stürzen und eine ganze Anzahl weiterer Wagen mit sich reißen können. Nicht nur ein Mensch hätte sterben können, sondern zehn. Oder noch mehr.

War es das, worauf der Attentäter spekuliert hatte? Wollte er den ganzen Treck ins Verderben stürzen? Oder hatte er es nur auf Abner Zachary abgesehen?

Fragen über Fragen, auf die Jacob keine Antwort fand. Nur neue Fragen, je länger er über die Sache nachdachte.

Er trat an den Abgrund mit den wild gezackten Felsen und schaute hinunter. Das geisterhafte Licht der Gestirne erweckte die Felsen zum Leben, machte aus ihnen Phantome und Bärenmenschen.

Jacob zuckte zusammen, als sich eine Hand schwer auf seine Schulter legte.

»Keine Bange«, sagte Martin und verzog sein rundes, sympathisches Sommersprossengesicht zu einem Grinsen. »Ich bin nur ein Mann, der nicht richtig schlafen kann. Nicht das Phantom der Rocky Mountains.«