»Wer schon hätte das Wesen des Lichts ergründet?« murmelte Yardley.
Dr. Rumsen betrat wichtigtuerisch das Gartenhaus und verkündete: »Ich bin soweit.«
»Wie lautet das Urteil, Doc?« fragte Isham ungeduldig.
»Keinerlei Anzeichen von Gewalt am Rumpf des Toten«, entgegnete Dr. Rumsen in unangenehmem Ton. »Es ist anzunehmen, daß er eine tödliche Kopfverletzung erlitten hat.«
Ellery fuhr zusammen; er meinte, Dr. Strang zu hören, der vor einem halben Jahr im Gerichtssaal von Weirton ausgesagt hatte.
»Ist es Ihrer Meinung nach möglich, daß er erdrosselt worden ist?« fragte Ellery.
»Kann ich jetzt noch nicht beurteilen. Aber das wird die Obduktion anhand des Lungenbefunds zeigen. Der Körper ist vom simplen rigor mortis so steif. Die Leichenstarre wird auch noch etwa zwölf bis vierundzwanzig Stunden anhalten.«
»Wie lange ist er schon tot?« fragte Inspector Vaughn.
»Seit etwa vierzehn Stunden.«
»Dann war es also schon dunkel!« rief Isham aus. »Der Mord muß um zweiundzwanzig Uhr herum verübt worden sein.«
Dr. Rumsen zuckte die Achseln. »Lassen Sie mich bitte meinen Bericht beenden; ich habe mir schließlich auch meinen Feierabend verdient. Feuermal etwa zwanzig Zentimeter über dem rechten Knie. Das wär‘s.«
Als sie das Gartenhaus verließen, bemerkte Inspector Vaughn: »Mein Gott, das erinnert mich an etwas, Mr. Queen. Hat nicht Ihr Vater am Telefon erwähnt, Sie hätten Informationen für uns?«
Ellery sah Professor Yardley durchdringend an, und Yardley gab den Blick zurück. »Ja«, erwiderte Ellery, »die habe ich, Inspector. Kommt Ihnen irgend etwas an diesem Verbrechen sonderbar vor?«
»Alles an diesem Mord ist verrückt«, knurrte Vaughn. »Aber was genau meinen Sie?«
Ellery kickte gedankenverloren einen Kieselstein aus dem Weg. Schweigend ließen die Männer den Totempfahl hinter sich; die Leiche von Thomas Brad, die nun bedeckt war, wurde gerade auf eine Bahre gehoben und ins Haus getragen.
»Haben Sie jemals darüber nachgedacht«, fuhr Ellery fort, »warum ein Mann geköpft und an einem Totempfahl gekreuzigt worden sein könnte?«
»Sicher«, entgegnete Vaughn gereizt, »aber was bringt uns das? Es ist verrückt, das ist es!«
»Sie haben also«, entgegnete Ellery, »die vielen Ts nicht bemerkt?«
»Die vielen Ts?«
»Zunächst bildet der Pfahl selbst mit seinem Längsbalken und den ausgebreiteten Adlerschwingen ein T.« Die Männer fixierten ihn aus Augenschlitzen. »Ebenso die Leiche: Kopf vom Rumpf abgetrennt, ausgestreckte Arme, Beine zusammen.« Die Schlitze verengten sich weiter. »Und schließlich das T, das der Täter mit dem Blut seines Opfers auf den Boden geschmiert hat.«
»Natürlich ist uns das aufgefallen«, entgegnete Isham skeptisch, »aber -«
»Absurderweise«, fuhr Ellery mit freudlosem Gesichtsausdruck fort, »beginnt auch das Wort Totem mit T.«
»Alles Quatsch«, ereiferte sich der Staatsanwalt. »Bloßer Zufall. Auch der Totempfahl und die Leiche - es ist eben so passiert und nicht anders.«
»Zufall?« Ellery seufzte. »Würden Sie es auch als Zufall bezeichnen, wenn ich Ihnen erzählte, daß vor einem halben Jahr in West Virginia ein Mord verübt worden ist, zu dessen Besonderheiten die Kreuzigung des zuvor enthaupteten Opfers an einem T-förmigen Wegweiser zählte, der wiederum an einer T-förmigen Kreuzung stand. Nicht zu vergessen das T, das der Mörder mit dem Blut des Toten an die Tür seines kaum hundert Meter entfernten Hauses geschmiert hatte?«
Inspector Vaughn schien es die Sprache verschlagen zu haben, und Staatsanwalt Isham wurde sichtlich blasser. »Soll das ein Scherz sein?«
»Ich muß mich schon sehr über Sie wundern«, sagte Professor Yardley ruhig. »Immerhin sind Sie Profis. Sogar ich ein blutiger Laie -weiß von dem Fall. Die Meldung sorgte landesweit für Schlagzeilen.«
»Wo Sie das jetzt so sagen«, murmelte Isham, »meine ich, mich vage zu erinnern.«
»Aber -mein Gott, Mr. Queen!« rief Vaughn. »So was ist doch einfach nicht möglich! Das ... das kann einfach nicht sein!«
»Doch, doch«, sagte Ellery leise. »Den Fall hat es wirklich gegeben. Und da gab es auch diesen sonderbaren Alten, der sich Ra-Haracht oder Haracht nannte ...«
»Über genau den wollte ich sowieso noch mit Ihnen sprechen«, bemerkte Professor Yardley.
»Haracht!« entfuhr es Inspector Vaughn. »So heißt doch dieser Verrückte, der auf Oyster Island eine Nudistenhorde um sich geschart hat!«
5. Innere Angelegenheiten
Vaughn hatte den Spieß herumgedreht; nun war es Ellery, der seine Verblüffung nicht zu verbergen vermochte. Der zottelbärtige Fanatiker in der Nachbarschaft! Der heißeste Krosac-Zeuge fand sich in der Nähe des Tatorts eines Verbrechens wieder, das dieselbe unverwechselbare Handschrift aufwies wie der Mord von Arroyo. Das war zu schön, um wahr zu sein.
»Ich frage mich, ob die anderen auch hier sind«, bemerkte er, als sie die Stufen der Veranda betraten. »Es kann nämlich gut sein, daß wir es mit dem zweiten Akt einer tödlichen Tragödie zu tun haben - in derselben Besetzung! Haracht ...“
»Ich habe bisher keine Gelegenheit gefunden, es Ihnen zu sagen«, meinte Yardley niedergeschlagen. »Aber eigentlich müßten Sie mit Ihren ägyptologischen Vorahnungen schon längst zu demselben Schluß gekommen sein wie ich.«
»So schnell?« fragte Ellery zögerlich. »Was meinen Sie?«
Ein einziges Grinsen überzog Yardleys markantes Gesicht.
»Dieser Haracht, so wenig ich auch dazu neige, mit Anschuldigungen um mich zu werfen ... Nun ja, immerhin scheinen Kreuzigungen und Ts den Weg dieses Herrn zu pflastern, oder sehe ich das falsch?«
»Sie vergessen Krosac«, gab Ellery knapp zurück.
»Mein lieber Junge«, protestierte der Professor gekränkt, »Sie sollten mich besser kennen ... Etwas Wesentliches dieser Art vergesse ich nie. Aber inwiefern widerlegt Krosacs Existenz meine Vermutung? Immerhin gibt es doch, soweit ich weiß, so etwas wie Komplizen. Und wir haben da einen großen und kräftigen Burschen der primitiveren Sorte -«
Inspector Vaughn kam zu ihnen auf die Veranda gehetzt und unterbrach das Gespräch, als es gerade interessant zu werden begann.
»Ich lasse Oyster Island jetzt überwachen«, keuchte er. »Das Risiko ist zu groß. Sobald wir hier fertig sind, verhören wir den Haufen da drüben.«
Den Staatsanwalt hatte die rasche Abfolge der Ereignisse in einen Alarmzustand versetzt. »Habe ich richtig verstanden -der Geschäftsführer von diesem Haracht war der Hauptverdächtige im Fall Arroyo? Wie zum Teufel sah der Kerl denn aus?« Isham hatte Ellery während seiner Fallschilderung geradezu an den Lippen gehangen.
»Es liegt eine vage Beschreibung vor, die allerdings nicht ausreichen wird, um ihn ausfindig zu machen; brauchbar ist lediglich die Beobachtung, daß der Mann hinkt. So einfach, Mr. Isham, liegt die Sache nicht; bislang ist der Mann, der sich Haracht nennt, der einzige, der den mysteriösen Krosac identifizieren könnte. Aber wenn unser Freund, der Sonnengott, nicht mitspielt ...