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6. Dame und Pfeifen

Die Männer hingen schweigend ihren Gedanken nach, während sie das Wohnzimmer verließen und Isham den Weg zum Arbeitszimmer des verstorbenen Hausherrn wies, das im rechten Flügel des Hauses lag. Ein Beamter paradierte auf dem Flur vor der geschlossenen Tür zur Bibliothek auf und ab. Als sie davor stehenblieben, erschien von irgendwo aus dem Rückteil des Gebäudes eine untersetzte Matrone in raschelndem Schwarz.

»Ich bin Mrs. Baxter«, erklärte sie eilfertig. »Möchten sich die Herren vielleicht ein wenig stärken?«

Inspector Vaughn begann zu strahlen. »Sie müssen ein verkleideter Engel sein. Ich selbst hätte das glatt vergessen! Sie sind die Wirtschafterin, nicht wahr?«

»Ja, Sir. Möchten die anderen Gentlemen auch etwas zu sich nehmen?«

Professor Yardley schüttelte den Kopf. »Es würde sich für mich nicht gehören, die Gastfreundschaft des Hauses in Anspruch zu nehmen. Ich wohne direkt gegenüber und bin außerdem sicher, daß die alte Nanny bereits mehr als wütend über meine lange Abwesenheit ist. Ich hör‘ sie schon ›Essen wird kalt‹ maulen. Ich sollte jetzt besser gehen ... Queen, Sie sind mein Gast, vergessen Sie das nicht.«

»Müssen Sie wirklich schon fort?« fragte Ellery. »Ich hatte mich schon auf eine längere Unterredung gefreut ...«

»Bis heute abend dann.« Der Professor winkte mit dem Arm. »Ich nehme erst mal das Gepäck aus Ihrer Rostlaube und stelle sie dann in meine Garage.« Mit einem Lächeln verabschiedete er sich von den beiden Kriminalbeamten und machte sich davon.

Das Mittagessen war eine triste Angelegenheit; aufgetragen wurde in einem freundlichen Eßzimmer, allein für die drei Männer -niemand sonst im Haus schien den Gedanken an Essen einladend zu finden -, und die meiste Zeit kauten sie schweigend vor sich hin. Mrs. Baxter servierte ihnen persönlich.

Ellery kaute mechanisch; sein Gehirn schien sich gleich einem Planeten um die eigene Achse zu drehen und schleuderte dabei den einen oder anderen fruchtbaren Gedanken hervor. Doch er behielt sie für sich. Nur einmal klagte Isham mit Inbrunst über seinen Ischias. Im Haus war es still.

Um zwei verließen sie dann das Eßzimmer und kehrten in den rechten Flügel des Hauses zurück. Die Bibliothek erwies sich als sehr geräumig, der Arbeitsraum eines gebildeten Mannes. Sie war im Grundriß quadratisch; und ihren makellosen Holzboden bedeckte bis auf einen etwa ein Meter breiten Rand ein dicker chinesischer Teppich. Zwei Wände füllten eingebaute Bücherregale vom Boden bis zu den Deckenbalken. In einer Nische, die man aus dem Winkel, den zwei Wände bildeten, ausgespart hatte, stand ein kleiner Flügel mit nachgedunkelter Elfenbeintastatur, die Tastatur offen, der Schalldeckel aufgeklappt -offenbar so, wie Thomas Brad ihn am Abend hinterlassen hatte. Ein niedriger runder Lesetisch, den Zeitschriften und Raucheraccessoires bedeckten, stand in der Mitte des Raumes. Vor einer der Wände streckte sich ein Diwan, dessen vordere Beine auf dem Teppich ruhten; an der Wand gegenüber befand sich ein offener Sekretär. Ellery fiel auf, daß auf seiner Klappe, für alle sichtbar, zwei Tintenfäßchen, rot und schwarz, standen; beide, so registrierte er beiläufig, waren fast voll.

»Ich habe den Sekretär mit einer Lupe untersucht«, sagte Isham, indem er sich auf den Diwan fallen ließ. »War natürlich das erste, was wir gemacht haben. Es war ja denkbar, daß Brads persönlicher Schreibtisch Dokumente enthält, die unsere Ermittlung voranbringen.« Er zuckte mit den Schultern. »Pech. Ist alles so unschuldig wie das Tagebuch einer Nonne. Was den übrigen Raum angeht - doch das sehen Sie ja selbst; sonst nichts Persönliches hier. Aber die Tat ist ja ohnehin im Gartenhaus verübt worden. Das einzig Interessante hier ist das Damebrett.«

»Seit wir«, fügte Inspector Vaughn hinzu, »den roten Spielstein in der Nähe des Totempfahls gefunden haben.«

»Sie haben auch den Rest des Hauses durchsucht, nehme ich an?« fragte Ellery, während er umherspazierte.

»Allerdings! Routinedurchsuchung, Brads Schlafzimmer und so weiter. Absolut nichts von Belang.«

Ellery wandte seine Aufmerksamkeit dem runden Lesetisch zu. Er holte aus seiner Tasche den durchsichtigen Umschlag mit den Tabakresten aus der Pfeife, die man auf dem Boden des Gartenhauses gefunden hatte, schraubte die große Tabakdose auf, die auf dem Tisch stand, und vergrub seine Hand darin. Als er sie wieder herauszog, kam eine Handvoll Tabak zum Vorschein, der in Farbe und Schnitt - der seltene Würfelschnitt ­mit dem Tabak aus der Pfeife übereinstimmte.

Er lachte auf. »Na ja, immerhin gibt es jetzt keine Zweifel mehr, was das Kraut angeht. Schon wieder ein Schuß in den Ofen! Wenn diese Dose Brad gehört hat, dann war es sein Tabak.«

»Hat sie«, fügte Isham hinzu.

Ohne spezielle Absicht zog Ellery eine kleine Schublade auf, die sich unterhalb der runden Tischplatte abgezeichnet hatte. Sie war, wie er feststellte, mit einer ansehnlichen Pfeifensammlung vollgestopft. Alle waren Wertstücke, oft benutzt, aber auch samt und sonders konventionell geformt -die üblichen Köpfe mit geradem oder gebogenem Stiel. Meerschaum-, Bruyere-und Bakelitpfeifen; zwei waren

dünnstielig und sehr lang – alte englische Tonpfeifen.

»Hmm«, murmelte er, »Mr. Brad hat zum Kreis der Kenner gehört. Dame und Pfeifen gehören ja bekanntlich zusammen. Wundert mich nur, daß kein Hund vor dem Kamin liegt. So kommen wir nicht weiter.«

»Ist noch eine solche darunter?« fragte Vaughn und holte die Pfeife mit dem Neptunkopf hervor.

Ellery schüttelte den Kopf. »Wie kommen Sie auf so was? Kein Mann schafft sich zwei davon an. Ein Etui gibt es auch nicht. Wenn man die zwischen den Zähnen hält, muß man ja einen Krampf im Kiefergelenk kriegen. Wird ein Geschenk gewesen sein.«

Ellery wandte sich nun dem Hauptbeweisstück zu. Es befand sich links vom offenen Sekretär an der gleichen Wand, und dem Diwan gegenüber.

Die Vorrichtung war genial zu nennen: Ein Tisch mit Damebrett, den man, wie man sehen konnte, zusammenklappen und in einer flachen Nische in der Wand verschwinden lassen konnte, mit der er durch Scharniere verbunden war. Ein Rolladen, der sich jetzt über der Nische befand, konnte heruntergelassen werden, um die gesamte Vorrichtung zu tarnen. Darüber hinaus gab es zwei Wandsitze, einer an jeder Seite des Tisches, die man ebenso hochklappen konnte.

»Brad muß in der Tat spielsüchtig gewesen sein«, bemerkte Ellery. »Wer sonst würde sich schon so etwas einbauen lassen? Hmm ... Ich nehme an, der Tisch ist so, wie er ihn zurückgelassen hat. Hier ist doch nichts berührt worden?«

»Jedenfalls nicht von uns«, erwiderte Isham gleichgültig. »Sehen Sie selbst, was Sie damit anfangen können.«

In die Tischplatte, ein glänzendes Stück handwerklicher Kunst, waren die üblichen vierundsechzig weißen und schwarzen Quadrate eingelegt, die eine prachtvolle Umrahmung aus Perlmutt umschloß. Auf jeder Spielerseite befand sich ein

breiter Rand als Ablage für die Spielsteine, die nicht im Spiel waren. Auf der Seite zum Sekretär hin lagen neun rote Steine verstreut -die Steine, die Schwarz aus dem Feld geschlagen hatte. Gegenüber fanden sich drei schwarze Steine, die Rot erobert hatte. Auf dem Brett selbst, das den Spielstand erkennen ließ, standen drei schwarze »Damen« -zwei schwarze Steine übereinander -und drei einfache schwarze Steine, ebenso zwei einfache rote Steine; einer davon stand auf der Grundlinie der schwarzen Partei.

Ellery betrachtete sorgsam Brett und Umrandung.

»Wo ist das Kästchen für die Steine?«

Isham wies mit dem Fuß auf den Sekretär. Auf dessen Klappe lag eine billige Pappschachtel, leer.

»Elf rote Steine«, sagte Ellery und starrte an die Wand. »Es müßten natürlich zwölf sein. Einen roten Stein von gleicher Beschaffenheit haben wir in der Nähe des Totempfahls gefunden.«