Inspector Vaughn baute sich vor Fox auf und packte mit einer Hand seinen schlaffen Arm. »Schauen Sie«, sagte er beinahe freundlich. »Wir haben kein Interesse daran, Ihnen Dinge zu unterstellen, die Sie nicht getan haben. Wenn Sie jetzt schön brav die Wahrheit erzählen, lassen wir Sie auch in Ruhe.«
»Die Wahrheit können Sie haben«, erwiderte Fox. Ellery meinte, in Tonfall und Aussprache des Mannes Spuren höherer Bildung herausgehört zu haben, und beobachtete ihn mit wachsendem Interesse.
»Na also«, lobte Vaughn. »Wie vernünftig von Ihnen. Und jetzt vergessen Sie einmal das Märchen vom Herumfahren. Geben Sie sich ’nen Ruck, Mann, und spucken Sie‘s aus! Wo sind Sie hingefahren?«
»Also gut«, erwiderte Fox mit derselben tonlosen Stimme. »Ich bin die Fifth Avenue herunter, durch den Park und dann längere Zeit auf dem Riverside Drive geblieben. Es war schön draußen, und ich habe die frische Luft genossen.«
Der Inspector ließ seinen Arm fallen und grinste zu Isham hinüber. »Er hat die frische Luft genossen! Warum haben Sie dann Stallings und Mrs. Baxter nicht vom Kino abgeholt?«
Fox‘ breite Schultern zuckten nur eine Spur. »Weil mich keiner drum gebeten hat.«
Isham sah zu Vaughn hinüber, und der zu Isham. Ellery jedoch behielt Fox im Auge, und er staunte nicht schlecht, als er sah -unglaublich, aber wahr -, daß dem Mann Tränen in die Augen schossen.
»Okay«, sagte Isham schließlich, »dann bleiben Sie eben bei der Geschichte. Aber gnade Ihnen Gott, wenn wir Ihnen etwas anderes nachweisen können! Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Seit dem Ersten des Jahres, Sir.«
»Referenzen?«
»Ja, Sir.« Schweigend drehte er sich um und ging zu einer alten Kommode. Er wühlte in einer der Schubladen und kehrte mit einem blütenweißen, offensichtlich sorgfältig aufbewahrten Umschlag zurück.
Der Staatsanwalt riß ihn auf, überflog den Brief und reichte ihn Vaughn. Der Inspector las ihn gründlicher, schnipste ihn schließlich auf den Tisch und verließ überraschend die Hütte.
»Scheint in Ordnung zu sein«, sagte Isham, als er aufstand. »Ach, noch etwas. Sind Sie, Stallings und Mrs. Baxter die
einzigen Hausangestellten hier?«
»Ja, Sir«, antwortete Fox, ohne den Blick zu heben. Er nahm den Umschlag und den Brief und drehte sie wieder und wieder in seinen Fingern.
»Ähm -Fox«, begann Ellery. »Haben Sie gestern nacht, als Sie zurückkamen, irgend etwas Ungewöhnliches bemerkt?«
»Nein, Sir.«
»Sie bewegen sich fürs erste nicht vom Fleck, verstanden?« sagte Isham und verließ die Hütte. Vaughn schloß sich ihm an, doch Ellery blieb noch einen Moment im Türrahmen stehen. Fox hatte sich nicht gerührt.
»Der lügt, daß sich die Balken biegen«, sagte Vaughn so laut, daß Fox es in seiner Hütte hören mußte. »Wir überprüfen das mit gestern abend sofort.« Ellery zuckte zusammen. Das Vorgehen der beiden Beamten fand er ausgesprochen rücksichtslos; und er konnte die Tränen in Fox‘ Augen nicht vergessen.
Schweigend gingen sie in westliche Richtung. Fox‘ Hütte lag nicht weit von der Ketcham‘s Bay; durch die Bäume hindurch sahen sie, während sie sich vorarbeiteten, bereits das in der Sonne glitzernde Blau. Nicht weit von der Hütte kamen sie auf eine schmale Straße. Nirgendwo waren Zäune.
»Gehört alles noch Brad«, brummte Isham. »Hat es aber nicht für notwendig gehalten, sein Grundstück einzuzäunen. Das Haus, das diese Lynns gemietet haben, muß hinter der Straße liegen.«
Sie überquerten die Straße und kämpften sich durch den dunklen, hohen Wald. Es dauerte geschlagene fünf Minuten, bis Vaughn endlich den Fußweg fand, der sie durchs dichte Unterholz nach Westen führte.
Als der Weg sich nach einer Weile verbreiterte, wurde der Baumbewuchs spärlicher; und bald sahen sie ein halb zugewachsenes, flaches Steinhaus, das einsam inmitten der
Bäume stand. Ein Mann und eine Frau saßen auf der offenen Veranda. Der Mann stand hastig auf, als er die drei Besucher erblickte.
»Mr. und Mrs. Lynn?« fragte der Staatsanwalt und blieb vor der Veranda stehen.
»Höchstpersönlich«, antwortete der Mann. »Mein Name ist Percy Lynn. Das ist meine Frau ... Kommen die Herren von Bradwood?«
Lynn war ein großer brünetter Engländer mit markanten Gesichtszügen, kurzgeschnittenem, pomadiertem Haar und verschmitzten Augen. Elizabeth Lynn war blond und fett, das permanente Lächeln in ihrem Gesicht wirkte wie angeklebt.
Isham nickte, und Lynn fragte: »Nun, meine Herren, wollen Sie nicht zu uns herauflommen?«
»Danke«, antwortete der Inspector. »Aber wir müssen gleich weiter. Die Neuigkeiten haben Sie schon gehört?«
Der Engländer nickte ernst; das Lächeln seiner Frau allerdings verblaßte keinen Augenblick. »Furchtbar«, sagte Lynn. »Ich weiß es von einem Polizisten, auf den ich getroffen bin, als ich die Straße entlangging. Er hat mir von der Tragödie erzählt.«
»Natürlich«, fügte Mrs. Lynn mit schriller Stimme hinzu, »haben wir bislang noch keinen Besuch dort gemacht.«
»Natürlich nicht«, stimmte ihr Mann zu.
Einen Augenblick herrschte Schweigen; Isham und Vaughn verständigten sich mit den Augen. Die Lynns rührten sich nicht; von der Pfeife, die der Mann in der Hand hielt, kräuselte sich eine kleine Rauchfahne zu seinem Gesicht hoch.
Plötzlich begann er mit der Pfeife zu gestikulieren. »Tun Sie schon Ihre Arbeit, Gentlemen. Ich weiß genau, wie verdammt unangenehm das alles ist. Sie sind von der Polizei, nehme ich an?«
»Sind wir«, erwiderte Isham. Es schien ihm zu passen, daß
Lynn das Gespräch an sich riß; Vaughn hielt sich schweigend im Hintergrund.
Ellery hingegen war vollkommen fasziniert von dem widerwärtigen Dauerlächeln im Gesicht der Frau. Dann mußte er schmunzeln; er wußte nun, warum sie so penetrant lächelte -Mrs. Lynn trug ein Gebiß.
»Ich nehme an, daß Sie unsere Pässe sehen wollen«, fuhr Lynn leise fort. »Überprüfen der Nachbarn und Freunde und so, nicht wahr?«
Die Pässe waren in Ordnung.
»Sie möchten bestimmt auch wissen, wie es kommt, daß wir -Mrs. Lynn und ich -hier wohnen ...« bemerkte der Engländer, als Isham ihm die Pässe zurückgab.
»Das hat uns bereits Miss Brad erzählt«, sagte Isham und machte plötzlich zwei Schritte auf sie zu. Die Haltung der Engländer wurde steifer. »Wo sind Sie gestern abend gewesen?«
Lynn räusperte sich geräuschvoll. »Ja -natürlich. Nun, wir waren in der Stadt ...«
»New York?«
»Genau. Wir haben dort zu Abend gegessen und uns dann ein ziemlich idiotisches Stück angeschaut.«
»Wann waren Sie wieder daheim?«
Mrs. Lynn schrillte unerwartet: »Oh, überhaupt nicht. Wir haben in einem Hotel übernachtet. Es war schon viel zu spät, um -«
»Wie hieß das Hotel?«
»Das Roosevelt.«
Isham grinste. »Und wie spät war es da?«
»Oh, schon nach Mitternacht«, antwortete der Engländer. »Wir haben nach der Vorstellung noch eine Kleinigkeit gegessen und -«
»Schon in Ordnung«, sagte Isham. »Kennen Sie die Leute hier in der Umgebung?«
Sie schüttelten gleichzeitig die Köpfe. »Kaum jemanden«, sagte Lynn. »Außer den Brads, diesem interessanten Professor Yardley und Dr. Temple. Sonst niemanden.«
Ellery setzte ein schmeichlerisches Lächeln auf. »War einer von Ihnen zufällig einmal auf Oyster Island?«
Der Brite lächelte zurück. »Daneben, Sportsfreund. Nudismus ist für uns nichts Neues. Haben wir seinerzeit in Deutschland ausgelebt.«
»Außerdem«, fügte Mrs. Lynn hinzu, »diese Leute auf der Insel ...« Sie schüttelte sich angewidert. »Ich war ganz einer Meinung mit dem armen Mr. Brad, daß sie von der Insel verschwinden sollten.«