»Puh!« stöhnte Ellery. »Ich bin mehr als dankbar für Ihren kleinen Harem, Professor.«
»Wie immer«, erwiderte der Professor streng, »ist ihre Wortwahl, gelinde gesagt, sehr nachlässig. Sagen Sie bloß, Sie wissen nicht, daß man die Wohnbereiche für Männer Selamik nennt. Steigen Sie schon aus Ihren Kleidern, Queen, und setzen Sie sich zu mir an den Pool. Was haben Sie denn da?«
»Eine Nachricht von Garcia. Rühren Sie sich nicht von der
Stelle, wir gehen die Blätter zusammen durch. Bin sofort wieder da!«
Kurze Zeit später kam Ellery ebenfalls in der Badehose zurück. Sein glatter Oberkörper glänzte vor Schweiß. Er sprang mit einem flachen Kopfsprung in den Pool und erzeugte damit eine Welle, die über den Professor hinwegschwappte und dabei seine Pfeife löschte; doch Ellery plantschte unbekümmert weiter.
»Das haben Sie -wie alles -großartig hingekriegt!« maulte Yardley. »Sie sind schon immer ein schlechter Schwimmer gewesen. Kommen Sie raus, bevor Sie mich ersäufen!«
Ellery grinste, kletterte aus dem Pool, streckte sich zu voller Länge auf dem Marmorboden aus und griff nach dem Stapel mit Berichten, den Vaughn ihm in die Hand gedrückt hatte.
»Was haben wir denn hier?« Er überflog das oberste Blatt. »Hmm. Das gibt wohl nichts her. Aber alle Achtung -der Inspector ist nicht gerade faul gewesen! Informationsaustausch mit den Kollegen von Hancock County.«
»Aha«, sagte der Professor, während er versuchte, seine Pfeife wieder anzuzünden. »So, so. Und was ist da unten seither passiert?«
Ellery stöhnte. »Zunächst einmal haben wir da den Bericht von der Obduktion der Leiche Andrew Vans; absolut uninteressant. Wenn man so viele Obduktionsberichte gelesen hat wie ich, sieht man das auf den ersten Blick ... Hier eine ausführliche Zusammenfassung der Ermittlungen im Fall Van. Nichts dabei, was ich nicht bereits gewußt hätte, oder was Sie nicht von Ihrer Zeitungslektüre her wüßten ... Ha! Was ist das? ›Auf die Anfrage‹ - lassen Sie sich das mal im Munde zergehen, klingt ganz nach unserem Freund Crumit -, ›Auf die Anfrage von Bezirksstaatsanwalt Isham hin, eine mögliche Verbindung zwischen den Mordopfern Andrew Van, dem Schulmeister von Arroyo, und Thomas Brad, einem auf Long Island ansässigen
Millionär, aufzudecken, müssen wir bedauernd feststellen, daß eine solche nicht existiert; zumindest nicht, soweit sich das mittels einer sorgfältigen Überprüfung der Korrespondenz des Verstorbenen hat aufklären lassen etc. etc.‹ Sauber, was?«
»Ein Lehrbeispiel für Rhetorik!« grinste der Professor.
»Aber das wär‘s auch schon. Alors, verlassen wir Arroyo und kehren wir zur Ketcham‘s Bay zurück.« Ellery warf einen Blick auf das vierte Blatt. »Dr. Rumsens Obduktionsbericht zur Leiche von Thomas Brad. Auch hier nichts dabei, was wir nicht schon wüßten. Keinerlei Hinweise auf Gewalteinwirkung, keinerlei Spuren von Gift in den inneren Organen, und so weiter und so fort ad nauseam. Die üblichen Nebensächlichkeiten.«
»Sie haben doch Dr. Rumsen am Tag nach dem Mord gefragt, ob Brad nicht erwürgt worden sein könnte. Äußert er sich in seinem Bericht dazu?«
»Ja. Lungen zeigen keine Anzeichen eines Erstickungstodes. Ergo ist er nicht erwürgt worden.«
»Warum haben Sie eigentlich ursprünglich danach gefragt?«
Ellery machte eine wegwerfende Geste. »Nichts Weltbewegendes. Da die Leiche keine Spuren von Gewalteinwirkung zeigte, schien es mir wichtig zu wissen, wie der Mann genau gestorben ist. Schließlich muß der Kopf betroffen gewesen sein, und da liegt Erwürgen doch nahe. Rumsen sagt in seinem Bericht jedoch, daß nur ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand direkt auf den Schädel oder ein Kopfschuß in Frage kommen. Ersteres halte ich alles in allem für wahrscheinlicher. «
Der Professor warf mit dem Fuß eine Welle auf. »Da werden Sie wohl richtig liegen. Noch etwas?«
»Der Versuch, die Route, auf der der Mörder sein Ziel erreicht hat, zu ermitteln. Sinnlos, absolut sinnlos.« Ellery schüttelte den Kopf. »Unmöglich, eine Liste aller Personen zu erstellen, die im fraglichen Zeitraum in der Umgebung von
Ketcham‘s Cove Züge bestiegen oder verlassen haben. Weder Streifenbeamte auf den Hauptstraßen noch Anwohner derselben haben Beobachtungen gemacht. Der Versuch, Personen ausfindig zu machen, die sich in der Mordnacht in der Nähe der Bucht aufgehalten haben, ist ebenso gescheitert ... Auch Jachtbesitzer, die Dienstag nachmittag auf dem Sund gesegelt sind, haben keine rätselhaften oder verdächtigen Vorgänge auf dem Wasser oder ein unbekanntes Boot, das den Mörder auf dem Wasserweg nach Bradwood gebracht haben könnte, beobachtet.«
»Wie Sie sagen - ein sinnloses Unterfangen.« Der Professor stöhnte. »Er kann per Zug, per Wagen oder mit einem Boot gekommen sein, und wir werden es niemals genau wissen. Vielleicht war‘s ja auch ein Wasserflugzeug, um das Ganze ad absurdum zu führen.«
»Warum eigentlich nicht?« schmunzelte Ellery. »Machen Sie nicht den Fehler, Unwahrscheinliches direkt für absurd zu erklären. Ich habe schon einiges Ausgefallenes erlebt. Versuchen wir es einmal hiermit.« Er überflog das nächste Blatt. »Wieder Nichtigkeiten. Bei dem Seil, mit dem Brad am Totemsbaum festgezurrt wurde -«
»Ich vermute, es ist ebenso sinnlos zu erwarten, daß Sie Totempfahl sagen«, brummte Yardley.
»Totempfahl«, fuhr Ellery gehorsam fort, »handelt es sich um eine gewöhnliche, billige Wäscheleine, die man in jedem Gemischt-oder Haushaltswarenladen bekommt. Kein Händler im Umkreis von dreißig Kilometern hat Aussagen gemacht, die auf eine heiße Spur hoffen ließen. Immerhin will Isham die Befragung von Vaughns Männern in einem größeren Radius fortsetzen lassen.«
»Gründlich sind sie ja, diese Leute«, murmelte der Professor.
»So unangenehm es mir ist, dies zuzugeben«, erwiderte Ellery mit einem breiten Grinsen. »Doch gerade solcher
Routinearbeit verdanken die allermeisten Fälle ihre Aufklärung ... Der Knoten, Vaughns Lieblingsidee. Resultat gleich Null. Unfachmännisch gemacht, doch für seine Zwecke ausreichend, wie Vaughns Fachmann berichtet. Also genau die Art Knoten, die auch Sie oder ich hinbekommen würden.«
»Sie vielleicht, aber nicht ich«, sagte Yardley. »Sie wissen doch, ich bin eine Seeratte. Taue, Steks und was nicht alles.«
»H20 haben Sie ja jetzt wieder genug um sich - im nautischen Sinne, meine ich ... Ah, Paul Romaine. Interessanter Kerl. Der selbstsichere Verführer mit der praktischen Ader.«
»Ihre Neigung, die Sprache zu vergewaltigen«, sagte der Professor, »ist wirklich beklagenswert.«
»Seine Herkunft, sagt Vaughns kurzer Bericht, ließ sich leider nicht ermitteln. Mit Ausnahme der Tatsache, daß er sich unserer ägyptischen Inkarnation im Februar in Pittsburgh angeschlossen hat, wie er selbst sagt, hat sich seine Vergangenheit nicht erhellen lassen. Der Mann bleibt ein Rätsel.«
»Und die Lynns?«
Ellery legte für einen Augenblick das Blatt hin. »Ja, die Lynns«, wiederholte er leise. »Was wissen Sie über die Leute?«
Der Professor strich sich durch den Bart. »Mißtrauisch, mein Junge? Aber ich hätte mir ja denken können, daß Ihnen das auch auffällt. Sie haben einfach etwas Unechtes, Aufgesetztes an sich, obwohl ihr Betragen immer tadellos war, soweit mir bekannt ist.«
Ellery nahm das Blatt wieder zur Hand. »Na, ich vermute doch schwer, Scotland Yard findet das Betragen der Lynns nicht ganz so tadellos wie Sie ... Isham hat Scotland Yard telegrafiert und bekam die Antwort -so steht es im Bericht -, daß zu einem Ehepaar namens Percy und Elizabeth Lynn, auf die die vorliegende Beschreibung passen würde, keine Daten vorliegen. Ihre Pässe sind ebenfalls überprüft worden, scheinen aber -wie zu erwarten - in Ordnung zu sein. Na ja, vielleicht tun wir ihnen ja unrecht ... Scotland Yard will überprüfen, ob sie zivil-oder strafrechtlich aktenkundig sind, in der Hoffnung, auf Informationen über Aktivitäten auf englischem Boden zu stoßen. Die Lynns behaupten ja immerhin, Engländer zu sein.«