»Drehen?« fragte Isham. »Wozu das?«
»Damit er wieder so zu liegen kommt, wie er Dienstag abend gelegen hat, bevor Krosac ihn herumgedreht hat.«
Inspector Vaughn ging ein Licht auf. »Himmel!« stöhnte er, »Ja klar! Jetzt versteh‘ ich! -Er wollte verhindern, daß wir den Blutfleck finden, konnte den Teppich aber nicht loswerden!«
»Das ist erst die halbe Geschichte, Inspector«, bemerkte Professor Yardley, »wenn ich Sie richtig verstanden habe, Queen.«
»Haben Sie«, erwiderte Ellery lässig. »Er brauchte bloß den Tisch aus dem Weg zu räumen. Der Rest war einfach.« Stephen Megara stand noch immer in der Ecke, lauschte schweigend, machte aber keinerlei Anstalten, den vier Männern zu helfen. Vaughn hob den runden Tisch mühelos an und stellte ihn im Flur ab. Es dauerte nicht lange, bis die vier Männer -jeder an einer der Ecken -den Teppich unter den kleineren Möbeln hervorgezogen und so gedreht hatten, daß der Teil des Teppichs, der zuvor vom Diwan verdeckt gewesen war, nun wieder dort lag, wo er in der Mordnacht gelegen hatte: auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Wie sie sofort sahen, paßten die Füße des Sekretärs nahtlos in die beiden Abdrücke. Und das getrocknete Blut
Isham war fassungslos. »Am Damebrett!«
»Hmm. Ich habe die Szene immer plastischer vor Augen«, sagte Ellery selbstzufrieden.
Der Blutfleck befand sich nun etwa sechzig Zentimeter hinter einem der Klappsitze, die zum Dametisch gehörten. Direkt daneben stand der Sekretär.
»Von hinten erschlagen«, sagte Professor Yardley, »während er mit den verflixten Klötzchen experimentierte. Hätte eigentlich damit rechnen müssen, daß ihn diese Obsession eines Tages noch in Teufels Küche bringt.«
»Was denken Sie, Mr. Megara?« fragte Ellery den schweigsamen Segler.
Der zuckte die Schultern. »Das ist Ihr Job, Gentlemen.«
»Ich glaube«, sagte Ellery, indem er sich in einem der Clubsessel niederließ und sich eine Zigarette ansteckte, »wir sparen Zeit, wenn wir das Ganze noch einmal im Schnelldurchlauf Revue passieren lassen. Wäre Ihnen das recht, Inspector?«
»Ich sehe immer noch nicht ein«, brummte Vaughn, »wozu es gut gewesen sein soll, den Teppich herumzudrehen. Wen wollte er damit täuschen? Wir hätten den Fleck nie gefunden, wenn er nicht, wie Sie gezeigt haben, vorsätzlich eine Spur zu diesem Raum gelegt hätte, indem er Mr. Megaras Pfeife zurückließ.«
»Langsam, Inspector. Lassen Sie mich einen Augenblick überlegen ... Es steht jetzt fest - daran ist überhaupt nicht mehr zu rütteln -, daß Krosac die Tatsache, daß der Mord in diesem Raum hier verübt worden ist, von vornherein nicht auf Dauer verschleiern wollte; mehr noch, er hat uns ja geradezu mit der Nase darauf gestoßen -zum Zeitpunkt seiner Wahl, als er nämlich wußte, daß eine gründlichere Durchsuchung der Bibliothek den Blutfleck zutage fördern würde. Andernfalls hätte er weder die Pfeifenspur gelegt noch den Blutfleck so belassen, wie er ist. Denn sehen Sie einmal -« Ellery wies auf
die offene Klappe des Sekretärs. »Hier rechts -fast genau über dem Blutfleck -standen griffbereit zwei Tintenfäßchen. Hätte nun Krosac den Teppich einfach liegenlassen und absichtlich eines der Tintenfäßchen umgekippt, wäre der Polizei kein Verdacht gekommen. Niemand hätte an der oberflächlichen Wahrheit gezweifelt. Wir wären davon ausgegangen, daß das Tintenfäßchen von Brad selbst oder jemand anderem aus Versehen umgestoßen worden wäre, und niemals auf die Idee gekommen, unter der Tinte nach Blut zu suchen ... Anstatt diese einfache Lösung zu wählen, hat Krosac sich die irre Mühe gemacht, den Teppich herumzudrehen und so sicherzustellen, daß wir den Blutfleck bei der ersten Durchsuchung übersehen, durch Megara und seine Pfeife jedoch zu diesem Raum zurückgeführt werden und ihn während der zweiten Durchsuchung finden. Das Erstaunliche daran ist folgendes: Krosac hat durch sein Täuschungsmanöver nichts gewonnen außer Zeit.«
»Schön und gut«, sagte der Professor säuerlich. »Dennoch fresse ich einen Besen, wenn Sie uns erklären können, warum wir den Fleck überhaupt finden sollten!«
»Mein liebes Professorchen«, antwortete Ellery, »immer mit der Ruhe. Jetzt rede ich! Sie sind Experte für Alte Geschichte – meine Domäne ist die Logik! Und auf diesem Gebiet lasse ich niemandem die Siegespalme! Ha! Fahren wir fort.«
Ellerys Miene wurde wieder ernst. »Krosac wollte den Tatort nicht dauerhaft verschleiern, sondern seine Entdeckung nur hinauszögern. Warum? Darauf gibt es drei mögliche Antworten. Hören Sie jetzt genau zu - insbesondere Sie, Mr. Megara; vielleicht können Sie uns in diesem Punkt helfen.«
Megara nickte und ließ sich auf den Diwan fallen, der inzwischen wieder an seinen Platz gerückt war.
»Erstens: In diesem Raum befand sich etwas für Krosac Gefährliches, das er zu einem späteren Zeitpunkt entfernen
wollte, weil er es aus irgendeinem Grunde in der Mordnacht nicht fortschaffen konnte ... Zweitens: Krosac wollte etwas herbringen, das er in der Mordnacht aus irgendeinem Grund nicht herbringen konnte -«
»Moment mal, langsam«, sagte der Staatsanwalt, der Ellerys Vortrag angestrengt gefolgt war. »Beides klingt plausibel; denn in beiden Fällen hätte unsere Aufmerksamkeit dem Gartenhaus als dem vermeintlichen Tatort gegolten, nicht der Bibliothek, zu der der Mörder dann vielleicht Zugang gehabt hatte.«
»Falsch, Mr. Isham«, entgegnete Ellery. »Krosac mußte damit rechnen -selbst wenn der Fleck bei der ersten Durchsuchung übersehen worden war, wie er es geplant hatte, und das Gartenhaus als Tatort galt ... Ich wiederhole: Krosac mußte damit rechnen, daß das Haus streng bewacht würde und ihn rein routinemäßige Vorsichtsmaßnahmen der Polizei daran hindern würden, etwas aus der Bibliothek fortzuschaffen oder dort hinzubringen. Es gibt jedoch ein noch viel überzeugenderes Argument gegen die beiden Hypothesen, meine Herren. Wenn Krosac vorgehabt hätte, zum Tatort zurückzukehren, und deshalb das Gartenhaus zum Tatort umdekoriert hätte, wäre es für ihn von unbestreitbarem Vorteil gewesen, die Illusion auf Dauer anzulegen. Er hätte so unbegrenzt Zeit und Gelegenheit gehabt, sich Zutritt zur Bibliothek zu verschaffen. Aber er tat etwas anderes: Er legte absichtlich eine Spur zurück zu diesem Raum, was -wenn meine bisherigen Annahmen richtig sind das Letzte gewesen wäre, was man von ihm erwartet hätte. Ich wage folglich zu behaupten, daß beide Theorien unhaltbar sind.«
»Mir zu hoch«, brummte Vaughn angewidert, »diese Sandburgen.«
»Jetzt seien Sie einmal so gut«, monierte Isham, »die Klappe zu halten. Zugegeben, Vaughn, das sind nicht Ihre geschätzten Sing-oder-stirb-Methoden, und Mr. Queen geht reichlich unorthodox vor; aber es klingt so, als wäre er auf der richtigen Spur. Fahren Sie fort, Mr. Queen, wir sind ganz Ohr!«
»Sie dürfen sich als offiziell gerügt betrachten, Inspector«, sagte Ellery ernst. »Dritte Möglichkeit: In der Bibliothek befindet sich etwas, was auch in der Mordnacht dort war und was -jetzt kommen einige ›wasse‹ -für den Verbrecher keine Gefahr darstellt, was er nicht später fortschaffen wollte, was die Polizei finden sollte -auf das sie jedoch nicht vor Mr. Megaras Rückkehr stoßen sollte!«
»Puh«, stöhnte Vaughn. »Ich glaube, ich muß mal an die frische Luft.«
»Beachten Sie ihn einfach nicht, Mr. Queen«, beschwichtigte Isham.
Megara blickte Ellery unverwandt an. »Weiter.«
»Da wir alle keine Spielverderber sind«, fuhr Ellery fort, »werden wir so gut sein, nach dem Ding zu suchen, das wir erst finden sollten, sobald Sie, Mr. Megara, am Tatort eingetroffen sind ... Wissen Sie«, fügte er nachdenklich hinzu, »meine Erfahrung lehrt mich -und das werden Sie, Inspector, mir ausnahmsweise bestätigen können -, daß einem Mörder um so mehr Fehler unterlaufen, je elaborierter er vorgeht. Ich glaube, wir brauchen den guten Stallings noch einmal.«