Der Beamte an der Tür brüllte: »Stallings!«, und der Butler eilte würdevoll herbei.
»Stallings«, begann Ellery mit Nachdruck, »Sie sind doch mit diesem Raum sehr vertraut, nicht wahr?«
Stallings hüstelte. »So gut wie Mr. Brad selbst, wenn ich das in aller Bescheidenheit anmerken darf.«
»Wir schön zu hören! Dann schauen Sie sich doch bitte einmal um.« Stallings ließ pflichteifrig seinen Blick durch den Raum schweifen. »Ist alles an seinem Platz? Ist irgend etwas neu? Befindet sich in diesem Raum etwas, was nicht hier hingehört?«
Stallings lächelte flüchtig und begann, gemessenen Schrittes den Raum zu inspizieren; er stocherte in Ecken herum, zog Schubladen auf, inspizierte das Innere des Sekretärs ... Nach zehn Minuten war er mit seinem Rundgang durch und verkündete: »In diesem Raum ist nichts verändert worden, seit ich ihn das letzte Mal betreten habe; ich meine, seit Mr. Brad ermordet worden ist ... außer der Tatsache, Sir, daß der Tisch fehlt.«
Ellery blieb hartnäckig. »Sonst ist alles in Ordnung und nichts fehlt?«
Der Butler schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, Sir. Nur der Fleck dort war noch nicht da, als ich Dienstag abend das Haus verließ. Und der Dametisch ...«
»Was ist damit?« fragte Ellery scharf.
Stallings zuckte dezent die Schultern. »Die Steine. Sie sind anders verteilt. Mr. Brad hat natürlich weitergespielt, nachdem ich den Raum verlassen hatte.«
»Na also«, seufzte Ellery erleichtert. »Scharf beobachtet, Stallings. Sie haben das Zeug zu einem Sherlock -ein fotografisches Gedächtnis! ... Das wär‘s.«
Stallings warf Megara, der finster zur Wand starrte, während er einen westindischen Zigarillo paffte, einen vorwurfsvollen Blick zu und verließ den Raum.
»Und jetzt«, sagte Ellery beschwingt, »an die Arbeit!«
»Wonach, bitteschön, suchen wir denn?« brummte Vaughn.
»Wenn ich das wüßte, Inspector, könnten wir uns die Mühe sparen!« Die nun folgende Episode hätte jeden beliebigen Beobachter außerordentlich erheitert, nur Stephen Megara nicht; die Gabe zu lachen schien ihm, sofern er sie jemals besessen hatte, vollends abhanden gekommen zu sein. Vier ausgewachsene Männer, die auf allen vieren über den Teppich krochen, die Wände zu erklimmen suchten, Tapeten und Holzvertäfelungen abklopften, das Füllmaterial der Sofakissen umherstreuten, auf gut Glück an Tisch-und Stuhlbeinen zerrten -man konnte meinen, Alice‘ Wunderland betreten zu haben. Nach fünfzehn Minuten erfolgloser Suche erhob sich ein schwitzender, zerknautschter und sehr verärgerter Ellery aus dem Schlachtgetümmel und setzte sich neben Megara auf den Diwan. Sofort fiel er in Trance; seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, zogen Schreckensbilder an ihm vorbei. Der Professor wühlte unverdrossen weiter und schien sich großartig zu amüsieren, während er mit seinen vier sperrigen Gliedmaßen auf dem Teppich herumrutschte. Dann jedoch stand er auf und streckte sich nach dem altmodischen Kronleuchter.
»Das wäre nun aber ein sehr ausgefallenes Versteck«, murmelte er, holte sich einen Stuhl und begann, in den Kristallklunkern herumzuklimpern. Einer der Drähte mußte schlecht isoliert gewesen sein; der Professor schrie plötzlich auf und plumpste zu Boden. Vaughn grunzte gereizt und hielt ein weiteres Blatt Papier gegen das Licht; offenbar von der Hypothese ausgehend, der Täter habe eine Nachricht mit unsichtbarer Tinte hinterlassen. Isham schüttelte die Vorhänge aus; die Jalousien hatte er bereits herabgelassen und in Lampen nach Hohlräumen gesucht; kurz, man erging sich in sinnloser Geschäftigkeit.
Alle Beteiligten hatten hin und wieder zu den Büchern in den eingebauten Wandregalen geschielt; doch hatte sich ihnen bislang niemand genähert. Die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, unter Tausenden von Bänden den potentiell richtigen herauszupicken, hatte es allen verleidet, auch nur einen Anfang zu wagen.
Ellery lehnte sich zurück und keuchte: »Was für Vollidioten wir doch sind! Jagen wie die jungen Katzen unseren eigenen Schwanz ... Krosac wollte, daß wir in die Bibliothek zurückkehren und hier nach etwas suchen, was wir auch finden sollen! Folglich wird er es nicht an einem Ort versteckt haben, den aufzuspüren es der vereinigten Gaben eines Houdinis und eines Bluthundes bedürfte. Er wird es jedoch auch nicht so exponiert haben, daß es uns schon beim ersten Durchgang in die Hände fällt. Ihnen, Professor, gebe ich den Rat, bei der nächsten Durchsuchung von Kronleuchtern daran zu denken, daß Krosac diesen Raum vermutlich nicht gut genug kennt, um zu wissen, welche Lampen oder Stuhlbeine Hohlräume aufweisen ... Nein, das Versteck ist sorgfältig ausgetüftelt, aber leicht zugänglich.«
»Machen Sie‘s kurz«, blaffte Vaughn sarkastisch, »und verraten Sie‘s uns endlich.« Er hatte sich vollkommen verausgabt; der Schweiß lief ihm in Strömen das Gesicht herunter. »Kennen Sie hier irgendwelche Verstecke, Mr. Megara?«
Professor Yardleys Kinnbart schnellte vor wie der falsche Bart eines Pharao, als Megara verneinte.
Ellery fuhr fort: »Erinnert mich an eine ganz ähnliche Suchaktion, als vor kurzem mein Vater, der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Cronin und ich im Mordfall Monte Field ermittelt haben; der alte Winkeladvokat war während einer Aufführung von Gunplay – Sie erinnern sich? -im Roman-Theater vergiftet worden. Wir haben es dann in -« (Mr. Queen spielt hier auf die Untersuchung an, über die er später in seinem Roman »Der mysteriöse Zylinder« berichtete)
Die Augen des Professors begannen zu leuchten; er hastete quer durch den Raum zum Erker, in dem der Flügel stand. Nur wenige Minuten zuvor hatte sich Isham das Instrument vorgenommen; Yardley interessierte sich jedoch weder für den Resonanzkasten noch für den Klavierhocker, und schon gar nicht für den Musikschrank. Er setzte sich einfach auf den Hocker und drückte so gravitätisch, wie Ellery ihn auf dem Katheder in Erinnerung hatte, den tiefsten Ton im Bass herunter und arbeitete sich so das Manual hoch, wobei er jede Taste einzeln anschlug, bis er bei den höheren Oktaven anlangte.
»Ausgezeichnete Analysearbeit, Queen«, sagte er, während ein Ton nach dem anderen erklang. »Hat mich auf eine Idee gebracht ... Angenommen, ich wäre Krosac. Ich will etwas verstecken, einen kleinen und, sagen wir, flachen Gegenstand. Ich habe nur begrenzt Zeit, und meine Vertrautheit mit dem Anwesen hält sich ebenfalls in Grenzen. Was mache ich? Wo -« Er stutzte; die Taste, die er gerade heruntergedrückt hatte, gab einen schrägen Ton von sich. Er schlug den Ton mehrmals an; als sich jedoch herausstellte, daß die Taste einfach verstimmt war, wanderten seine Finger weiter oktavaufwärts. »Krosac braucht ein Versteck, das man nicht entdecken wird, bevor er alles perfekt präpariert hat -auch nicht zufällig. Er schaut sich um -und sieht den Flügel. Das Entscheidende: Brad ist tot, die Bibliothek gehört zu seinen Privaträumen. Mit Sicherheit überlegt er -wird niemand so pietätlos sein, in der Bibliothek eines Toten musizieren zu wollen, zumindest eine längere Zeit nicht. Ergo ...«
»Genial gefolgert, Professor!« rief Ellery aus. »Das hätte glatt von mir sein können!«
Als hätte der Veranstalter persönlich dafür gesorgt, das Konzert unmittelbar nach diesem bescheidenen Programmhinweis beginnen zu lassen, schloß sich eine Entdeckung des Professors an. Die gleichmäßige Abfolge der Ganz-und Halbtonschritte riß jäh ab; Yardley war bei einer Taste angelangt, die sich partout nicht herunterdrücken lassen wollte.
»Heureka!« sagte er. Sein häßliches Gesicht spiegelte Unglauben; er wirkte wie jemand, dem man gerade einen Taschenspielertrick beigebracht hat und der nicht recht glauben konnte, daß es direkt beim ersten Mal geklappt hatte.
Die Männer stürzten zum Flügel, Megara nicht weniger neugierig als die anderen. Die Taste ließ sich trotz aller professoralen Bemühungen nicht mehr als etwa einen halben
Zentimeter herunterdrucken. Plötzlich blieb sie ganz hängen und ließ sich nicht einmal mehr in die Normalposition zurückbringen.