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Er fragte sich, warum er spontan in diese Richtung gegangen war, denn er näherte sich dem schmalen Pfad, der zu dem schaurigen Totempfahl und dem Gartenhaus führte. Angst lauerte in allen Winkeln -vielleicht war es auch nur die unbewußte menschliche Reaktion auf Schreckensstätten -und griff mit ihren langen Fingern nach ihm; er beschleunigte seinen Schritt und eilte daran vorbei. Dunkel lag der Hauptweg vor ihm.

Plötzlich hielt er inne. Nicht weit von ihm, etwa auf Höhe des Tennisplatzes, hörte er Stimmen.

Ellery Queen war zwar ein Gentleman, wie er im Buche steht, doch eines hatte er vom alten Inspector, seinem Vater, gelernt, der zwar die Sanftmut in Person war, jedoch zynisch wurde, sobald er es mit Verbrechen zu tun hatte: »Gespräche grundsätzlich belauschen!« pflegte Inspector Queen zu sagen. »Die einzigen Indizien, die wirklich etwas taugen, mein Sohn, sind Gespräche von Leuten, die sich unbeobachtet glauben. Sperr die Ohren auf, und du erfährst mehr als in hundert Verhören!«

Also blieb Ellery, der ein gehorsamer Sohn war, stehen und lauschte. Es waren ein Mann und eine Frau, die sich unterhielten. Obwohl ihm die Stimmen bekannt vorkamen, konnte er nichts verstehen. Doch wenn er sich schon in solche Niederungen begeben hatte, dachte er bei sich, mußte auch etwas dabei herausspringen! Mit der Gewandtheit eines Indianers sprang er vom geräuschvollen Kies auf den grasbewachsenen Wegesrand und arbeitete sich auf leisen Sohlen in die Richtung vor, aus der die Stimmen kamen.

Bald wußte er, wem sie gehörten: Jonah Lincoln und Helene Brad.

Sie saßen wohl -Ellery rief sich mühsam den Grundriß der Anlage ins Gedächtnis -an einem Gartentisch auf der Westseite des Tennisplatzes. Er schlich sich bis auf einen Abstand von anderthalb Metern an sie heran und verharrte regungslos hinter einem Baum.

»Es nützt dir nichts, es abzustreiten, Jonah Lincoln«, hörte er Helene frostig sagen.

»Aber, Helene«, erwiderte Jonah gereizt. »Ich habe dir schon hundertmal versichert, daß Romaine -«

»Unsinn! So geschwätzig ist der nicht. Nur du, ja du mit deinen verschrobenen Vorstellungen und deiner -deiner jämmerlichen Feigheit ...«

»Helene!« Jonah war tödlich verletzt. »Wie kannst du nur so etwas sagen? Es stimmt zwar, daß ich mich ritterlich zeigen und es ihm tüchtig geben wollte und daß er mich dann zusammengeschlagen hat, aber ich ...«

»Schon gut«, sagte sie, »vielleicht bin ich ungerecht, Jonah.« Es entstand eine Pause, in der, da war Ellery sicher, die junge Frau mit den Tränen kämpfte. »Man kann dir nicht vorwerfen, daß du es nicht wenigstens versucht hättest. Aber warum mußt du dich auch ständig einmischen!«

Ellery hatte die Szene so klar vor Augen, als wäre hellichter Tag. Der junge Mann hatte eine abweisende Haltung eingenommen.

»So ist das also!« sagte er verbittert. »Nun, mehr wollte ich gar nicht wissen. Ich mische mich also in alles ein! Und das auch noch, obwohl ich nicht zur Familie gehöre und nicht das geringste Recht dazu habe! Also gut, Helene. In Zukunft mische ich mich in nichts mehr ein. Ich gehe -«

»Jonah!« Panik erfaßte ihre Stimme. »Was soll das heißen? Ich wollte dich nicht -«

»Ich meine es ernst«, grollte Jonah. »Jahrelang hab‘ ich jetzt geschuftet wie ein Tier -für einen Mann, der sein Leben auf See verbringt und für einen anderen, der nur zu Hause gehockt und Dame gespielt hat! Doch damit ist es jetzt vorbei! Mit mir nicht mehr! Die verdammten Gehaltsschecks sind es nicht wert, daß ich mich weiter zum Affen mache! Ich gehe mit Hester nach New York, und das habe ich deinem verehrten Megara heute nachmittag auf seiner Jacht auch mitgeteilt! Soll er zur Abwechslung mal selber die Ärmel hochkrempeln; ich bin es leid, seine Arbeit zu tun!«

Es entstand eine kurze Pause, in der keiner der beiden etwas sagte. Ellery hinter seinem Baum seufzte. Er wußte, was nun kam.

Er hörte Helene leise ausatmen und sah im Geiste Jonahs trotzigen Gesichtsausdruck.

»Immerhin«, flüsterte sie, »kannst du nicht leugnen, daß du ­Vater einiges schuldig bist. Er - er hat unendlich viel für dich getan!« Mr. Lincoln schwieg eisern. »Und Stephen -diesmal hast du es zwar nicht angesprochen, aber ich habe dir schon tausendmal versichert, daß zwischen uns nichts ist. Warum nur mußt du dauernd so gegen ihn hetzen?«

»Ich hetze gegen niemanden«, sagte Jonah.

»Und ob du das tust! Ach, Jonah ...« Wieder Stille. Ellery hatte vor Augen, wie die junge Dame mit dem Stuhl näher rückte und sich wie Calypso über ihr Opfer beugte. »Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis.«

»Hm?« Jonah war verunsichert. Doch dann winkte er ab. »Behalt es für dich, Helene; ich will darüber überhaupt nichts wissen, Helene - wenn es um Megara geht, wie ich annehme.«

»Laß die dummen Bemerkungen, Joe. Was glaubst du wohl, warum Stephen ein ganzes Jahr auf See geblieben ist?«

»Woher sollte ich das wohl wissen? Vielleicht hat ihm auf Hawaii eine Hula-Hula-Tänzerin den Kopf verdreht?«

»Jonah! Das ist unter deiner Würde! Stephen ist keiner von diesen Kerlen, und das weißt du auch ... Nein, ich werde dir sagen warum: Weil er mir einen Heiratsantrag gemacht hat! So, jetzt weißt du‘s!«

»So, so!« grollte Jonah. »Na ja, so kann man seine junge Braut natürlich auch behandeln -einfach abhauen und ein ganzes Jahr nichts von sich hören lassen. Na, meinen Glückwunsch!«

»Aber ich - ich habe den Antrag abgelehnt!«

Ellery stöhnte leise und schlich zum Weg zurück. Die nächtliche Kulisse fand zumindest er noch immer beklemmend. Was Mr. Lincoln und Miss Brad betraf ... herrschte völlige Stille. Ellery konnte sich denken, warum.

22. Post aus Europa

»Ich habe immer stärker den Eindruck«, sagte Ellery zwei

Tage später, an einem Mittwoch, zu Professor Yardley, »daß

der Arm des Gesetzes langsam erlahmt.«

»So?«

»Die Polizei ist mit ihrem Latein am Ende. Ich kenne die Symptome. Ich habe schließlich mein bisheriges Leben mit einem Herrn Inspector verbracht, wie Sie wissen ... Inspector Vaughn ist, gelinde gesagt, überfordert. Er hat überhaupt nichts Konkretes in der Hand. Also wirft er sich in die Pose des peitschenknallenden Gesetzeshüters, scheucht Leute herum, zwingt seine Männer zu sinnlosen Aktivitäten, schnauzt seine Freunde an, ignoriert seine Kollegen -kurz: Man könnte meinen, er hat die Tollwut.«

Der Professor lachte. »An Ihrer Stelle würde ich den Fall aufgeben. Entspannen Sie sich, und schmökern Sie ein wenig in der Ilias oder sonst etwas Poetischem. Sie sitzen doch mit Vaughn in einem Boot, und das einzige, was Sie von ihm unterscheidet, ist die Eleganz, mit der Sie sich um die Tatsache herumlügen, daß es sinkt!«

Ellery gab einen unartikulierten Laut von sich und schnipste seine Zigarette ins Gras.

Er war tief bekümmert; ja, er war verzweifelt. Daß der Fall sich hartnäckig jedem logischen Lösungsansatz entzog, machte ihn nur halb so krank wie die Tatsache, daß er an Ereignislosigkeit zu ersticken drohte. Wo war Krosac? Worauf wartete er?

Mrs. Brad weinte sich in der Abgeschiedenheit ihres Boudoirs die Augen rot; Jonah Lincoln war entgegen seiner Ankündigungen in die Büros von Brad & Megara zurückgekehrt und versorgte das teppichbewußte Amerika weiter mit Importen. Helene Brad schwebte entrückt durch die Szenerie und schien kaum je den Boden zu berühren. Hester Lincoln war nach einer heftigen Auseinandersetzung mit Dr. Temple mit Sack und Pack nach New York entschwunden. Dr. Temple schlich seitdem mit seiner Pfeife im Mund durch die Anlagen von Bradwood; seine Gesichtsfarbe war dunkler denn je. Auf Oyster Island war alles still; lediglich der alte Ketcham kam gelegentlich in seinem alten Kahn herübergerudert, versorgte sich mit Lebensmitteln und nahm die Post mit auf die Insel. Fox hatte seine Arbeit wieder aufgenommen; unaufdringlich mähte er den Rasen und chauffierte die Brads.