Megara zuckte mit seinen breiten Schultern. »Ich fürchte, wir sind vom Eigentlichen abgekommen. Ich habe diesen Kriegsrat nicht einberufen, um mich herumzustreiten; und wenn ich einen solchen Eindruck erweckt haben sollte, Inspector, dann bitte ich vielmals um Entschuldigung.« Vaughn brummte unwirsch. »Ich möchte Ihnen einen konkreten Vorschlag machen.«
»Na, wunderbar«, sagte Isham herzlich und trat vor. »Großartig, Mr. Megara. Ganz in unserem Sinne. Einen konstruktiven Vorschlag können wir hervorragend gebrauchen!«
»Nun, wie konstruktiv er ist -darüber müssen Sie entscheiden!« Megara stellte sich breitbeinig in den Raum. »Wir warten alle darauf, daß Krosac wieder zuschlägt. Genau das hat er bislang nicht getan. Aber Sie haben mein Wort drauf, daß er es tun wird!«
»Wollen Sie ihm vielleicht«, höhnte der Inspector, »eine Einladung schicken?«
»Genau!« Megara sah Vaughn scharf an. »Könnten wir ihm nicht eine Falle stellen?«
Vaughn schwieg eine Weile. »Eine Falle? Wie sollte die aussehen?«
Megaras weiße Zähne blitzten auf. »So genau habe ich mir das noch nicht überlegt, Inspector. Außerdem sind Sie der Fachmann für solche Finessen ... Wir verlieren nichts dabei; Krosac kommt so oder so. Auf mich hat er es abgesehen, nicht wahr? Nun, soll er mich haben ... Ich nehme an, daß die ständige Polizeipräsenz ihn davon abhält, einen Versuch zu wagen. Er lauert irgendwo. Wenn Sie einen weiteren Monat hier bleiben, wird er einen weiteren Monat in seinem Versteck lauern. Wenn Sie sich aber geschlagen geben und abziehen ...«
»Großartige Idee!« rief der Staatsanwalt. »Mr. Megara, ich gratuliere Ihnen zu diesem grandiosen Einfall! Wie beschämend für uns, daß wir nicht selbst darauf gekommen sind! Krosac wird nicht zuschlagen, solange die Polizei sein Opfer belagert, vollkommen klar -«
»Aber er wird den Teufel tun und sofort aktiv werden, sobald die Polizei auffallend plötzlich verschwunden ist«, brummte Vaughn. Nur seine Augen verrieten, daß er fieberhaft nachdachte. »Er ist ein verdammt cleverer Bursche, der riecht Lunte, da bin ich sicher ... Trotzdem ist das gar nicht so dumm, was Sie sagen«, fügte er widerstrebend hinzu. »Ich muß mir das einmal in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen.«
Ellery rutschte auf die Stuhlkante. »Ihr Mut ist bewundernswert, Mr. Megara. Ich nehmen an, Sie sind sich im klaren darüber, welche Folgen ein Scheitern Ihres Plans hätte?«
»Es wäre nicht das erste Risiko, das ich in meinem Leben eingehe«, erwiderte er verbittert. »Keine Angst, ich unterschätze diesen Bastard bestimmt nicht, aber da kann kaum etwas schiefgehen. Wenn wir es richtig anstellen, wird er versuchen, mich umzubringen. Und darauf werden wir vorbereitet sein, was, Captain?«
Der alte Seebär brummte: »Sie sin‘ noch immer mit jedem fertig geworden, notfalls mit ’nem Belegnagel. Das war mal, haha! Jetz‘ hab‘ ich ja Gott sei Dank ne hübsche neue Knarre, un‘ Sie auch, Mr. Megara. Dem Dreckskerl jagen wir ordentlich Blei in‘ Bauch!«
»Stephen«, flehte Helene; sie hatte ihre Hand aus der Lincolns gezogen und schaute den Segler fassungslos an. »Du kannst dich doch nicht vollkommen schutzlos diesem blutrünstigen Irren ausliefern! Bitte, mach -«
»Ich passe schon auf mich auf, Helene ... Was meinen Sie, Inspector?«
Vaughn stand auf. »Mir ist die Sache zu riskant. Verantworten könnte ich das Ganze nur, wenn wir eine Finte anwenden ... Ich würde meine Männer vom Festland und dem Sund abziehen, aber welche auf dem Boot lassen, die im Notfall -«
Megara machte eine abwehrende Geste. »Viel zu plump, Inspector. Das riecht der.«
»Hmm«, brummte Vaughn unwillig. »Geben Sie mir Zeit nachzudenken. Für den Augenblick bleibt alles beim alten. Morgen früh gebe ich Ihnen Bescheid.«
»Gut.« Megara betastete eine Tasche seiner Segeljacke. »Ich bin zu allem bereit. Ich habe nämlich nicht vor, mich für den Rest meines Lebens wie ein feiger Waschlappen auf der Helene zu verschanzen. Ich will endlich wieder leben! Je eher Krosac mich angreift, desto besser!«
»Was denken Sie?« fragte Professor Yardley später, als er und Ellery am Ostflügel des Hauses standen und Megara und seinem Kapitän nachsahen, die im schwachen Licht der erleuchteten Fenster auf ihrem eiligen Weg zur Bucht gerade noch zu erkennen waren.
»Ich werde Ihnen sagen, was ich denke«, sagte Ellery voller Unmut. »Stephen Megara ist ein ausgemachter Dummkopf.«
Stephen Megara blieb nicht mehr viel Zeit, seinen Mut - oder seine Dummheit - unter Beweis zu stellen.
Als Ellery und der Professor am nächsten Morgen, einem Dienstag, in Yardleys Eßzimmer beim Frühstück saßen, kam dem lautstarken Protest der alten Nanny zum Trotz ein Mann hereingestürmt. Er hatte eine Nachricht von Vaughn dabei.
Captain Swift war ein paar Minuten zuvor gefesselt und - von einem bösen Schlag auf den Hinterkopf getroffen - bewußtlos in seiner Kabine aufgefunden worden.
Auch Stephen Megara hatte man gefunden; grausig entstellt hatte man ihn an einem der Antennenmasten oberhalb der Aufbauten gefunden - ohne Kopf.
VIERTER TEIL
Die Kreuzigung eines Toten
»Der Erfolg vieler Ermittlungen steht und fällt mit der Gabe des Detektivs, winzige Unstimmigkeiten zu registrieren. Einer der schwierigsten Fälle der Prager Polizei verdankte seine Lösung nach sechs Wochen völliger Ratlosigkeit dem Gedächtnis eines jungen Sergeanten, der sich des scheinbar belanglosen Details entsann, daß man vier Reiskörner im Hosenaufschlag des Opfers gefunden hatte.«
VITTORIO MALENGHI
24. Noch mehr Ts
Ein Nebel der Sprachlosigkeit hüllte alle diejenigen ein, die
an diesem Morgen vom Festland zur Helene übersetzten. Es war das Schweigen von Männern, die man nach langen, ereignislosen Tagen mit dieser unerhörten Bluttat jäh aus ihrer Lethargie gerissen hatte. Ellery, dessen Teint so blaß war wie sein Leinenanzug, stand nervös an der Reling der großen Polizeibarkasse und starrte auf die Jacht, die vor ihnen ankerte. Selbst bei hohem Seegang wäre ihm nicht so übel geworden wie bei diesem Anblick; sein Magen hatte sich zusammengezogen, er mußte würgen und schmeckte gallige Säure auf seiner trockenen Zunge.
Der Professor stand neben ihm und murmelte unaufhörlich: »Unfaßbar! Entsetzlich!« Selbst die Polizisten, die sie begleiteten, waren gedrückter Stimmung. Sie betrachteten die schmucken Umrisse der Helene, als sähen sie sie zum ersten Mal.
An Deck hasteten Gestalten hin und her. Das Zentrum ihrer Aktivitäten schien der mittschiffs gelegene Aufbau zu sein; dort stand eine ganze Gruppe von Männern, die ständig anwuchs. Polizeiboote legten längsseits an, und die Beamten kletterten von Bord.
Vor dem friedvollen Morgenhimmel zeichnete sich das gespenstische, fleischgewordene T-Symbol ab. Der Schlafanzug des Toten war blutdurchtränkt. Die starre Leiche hing festgebunden am ersten der beiden Antennenmasten und erinnerte in nichts mehr an etwas Menschliches, am allerwenigsten an den vitalen, energischen Mann, mit dem sie vor gerade einmal zwölf Stunden noch gesprochen hatten. Megaras Anblick war der reinste Hohn; seine Beine, die der Mörder am Mast festgezurrt hatte, waren unnatürlich verdreht; und dennoch vermittelte dieses grauenvolle Sinnbild von Fleisch und Blut die Illusion heroischer Größe.
»Christus auf Golgatha«, flüsterte Professor Yardley. »Kaum zu fassen, kaum zu fassen, o Gott.« Aus seinen Lippen war jegliche Farbe gewichen.