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»Ich bin zwar kein religiöser Mensch«, sagte Ellery gedämpft. »Aber, um Gottes willen, lassen Sie solche Blasphemien. Nein, es ist kaum zu fassen! Sie haben die düsteren Kapitel der Geschichte doch auch im Kopf -Caligula, die Wandalen, Moloch, die Assassinen, die Inquisition ... Zerstückelte, aufgespießte, gehäutete Leichen. Seitenweise Blut ... Sie lesen, nehmen die Greuel mit dem Verstand zur Kenntnis, aber Sie machen sich keine Vorstellung von dem brutalen Schrecken, der von einer bestialisch zugerichteten Leiche ausgeht, wenn man direkt mit ihr konfrontiert wird. Den meisten von uns ist auch der Einfallsreichtum unheimlich, mit dem besessene Schlächter ans Werk gehen, wenn sie sich einmal in den Kopf gesetzt haben, das Lebenslicht eines Menschen auszulöschen ... Selbst im zwanzigsten Jahrhundert haben wir trotz unserer heimischen Bandenkriege, dem Weltkrieg und den Pogromen in Europa noch immer keine klare Vorstellung von den wahren Abgründen menschlicher Zerstörungswut ...«

»Worte, nichts als Worte«, entgegnete der Professor steif. »Sie kennen sie nicht, und ich kenne sie auch nicht. Aber ich habe von Kriegsheimkehrern so manche Schauergeschichte -«

»Abwegig«, murmelte Ellery. »Zu unpersönlich. Massenpsychosen sind nie so erschreckend und satanisch wie die Blutorgien eines pathologischen Individuums. Aber mir ist ­beim Leibhaftigen -schon schlecht genug. Das muß ein Ende haben!«

Keiner der beiden sagte noch etwas, bevor sie mit der Helene Bord an Bord lagen und schließlich die Schiffsleiter hinaufstiegen.

Von allen Männern, die sich an diesem Morgen an Deck der Helene aufhielten, zeigte sich Inspector Vaughn am wenigsten beeindruckt von der unwirklichen; alptraumhaften Szenerie. Für ihn waren auch solche Morde nichts als häßliche Routine, fantastische und blutige Routine, gewiß, aber so etwas gehörte halt zu seinen Pflichten. Wenn er die Augen verdrehte und leise Flüche ausstieß, dann tat er es nicht deshalb, weil Stephen Megara -in dessen lebendige Augen er noch am Vorabend gesehen hatte -wie eine schwarzrot angemalte, verstümmelte Wachsfigur am Antennenmast hing, sondern weil er außer sich war über das - wie er offenbar glaubte -schockierende Versagen seiner Untergebenen.

Er stürmte auf einen Leutnant der Wasserschutzpolizei zu. »Letzte Nacht hat sich niemand der Jacht genähert, sagen Sie?«

»Nein, Inspector. Das kann ich beschwören.«

»Jetzt mal ehrlich, Bürschchen! Jemandem muß es gelungen sein!«

»Wir haben die ganze Nacht Wache gehalten, Inspector. Aber natürlich hatten wir nur vier Boote. Theoretisch wäre es also möglich -«

»Theoretisch möglich?« spottete Vaughn. »Sie Schussel! Mensch, er war da!«

Dem Leutnant -einem sehr jungen Mann -stieg die Röte ins Gesicht. »Wir konnten nur die Nordseite bewachen, Inspector. Er könnte ja auch von Bradwood gekommen sein.«

»Wenn ich Ihre Meinung hören will, Leutnant, dann werde ich Sie vorher darum bitten!« Der Inspector erhob die Stimme. »Bill!«

Ein Mann in Zivil trat aus einer Gruppe schweigender Polizisten hervor.

»Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung vorzubringen?«

Bill kratzte sich an seinem unrasierten Kinn und versuchte, unterwürfig dreinzuschauen. »Wir müssen ein recht großes Areal bewachen, Chief. Wenn er wirklich vom Festland gekommen ist -nun ja, Sie wissen ja selbst, wie schwer es ist, jemanden nachts im Wald zu stellen -«

»Hört zu, Leute!« Der Inspector trat einen Schritt zurück und ballte eine Faust, um sich das rechte Gehör zu verschaffen. »Ich kann jetzt keine Ausflüchte oder Grundsatzdebatten gebrauchen, klar? Alles, was ich will, sind Fakten. Wir müssen herausfinden, wie er zur Jacht gelangt ist! Wenn er von New York über den Sund gekommen ist, gut. Wenn er von Long Island gekommen ist, auch gut -obwohl es eher unwahrscheinlich ist. Er wußte ja, daß wir dort massenhaft Leute hatten. Bill, ich will, daß -«

Eine der Barkassen schoß plötzlich auf die Helene zu. Sie hatte ein Ruderboot im Schlepptau, das Ellery durch die blutigen Schleier vor seinen Augen hindurch vage erkannte. Ein Polizist stand auf und brüllte: »Wir haben es!«

Wie auf Befehl stürmten alle zur Reling. »Was für‘n Boot ist das?« brüllte Vaughn zurück.

»Es hat herrenlos im Sund getrieben. Scheint, der Kennzeichnung nach, zum Nachbargrundstück von Bradwood zu gehören!«

Dem Inspector ging ein Licht auf. »Das Boot der Lynns! Klar doch, das muß es sein! Haben Sie irgend etwas darin gefunden, Officer?«

»Nur die Ruder.«

Vaughn redete auf den Mann, den er Bill nannte, in militärischem Stakkato ein: »Nimm zwei Jungs mit, und fahr rüber zum Grundstück der Lynns. Alles durchkämmen, besonderes Augenmerk auf den Anlegesteg und das Gelände drum herum. Auf Fußspuren achten. Sucht jeden Zentimeter ab! Schaut nach Spuren, die der Kerl auf seinem Weg zur Bucht hinterlassen hat!«

Ellery stöhnte schwach. Eine Welle der Geschäftigkeit erfaßte die Männer um ihn herum. Befehle wurden gebrüllt, und die Polizisten kletterten über Bord. Professor Yardley lehnte an der Funkkabine, über der die Antennenmasten mit Megaras

Überresten aufragten. Staatsanwalt Isham hing mit grünlich angelaufenem Gesicht über der Reling. Dr. Temple rauschte in einem kleinen Motorboot auf die Jacht zu; und auf dem Kai, der zu Bradwood gehörte, hatten sich einige Männer und -den weißen Röcken nach zu schließen - auch Frauen versammelt.

Bald herrschte wieder Stille. Der Inspector gesellte sich zu Ellery und Yardley, lehnte sich mit einem Ellenbogen gegen die Kabinentür, steckte sich eine Zigarre in den Mund und schaute nachdenklich zu der hoch über ihnen schwebenden, brettsteifen Leiche auf.

»Nun, meine Herren«, sagte er. »Was sagen Sie dazu?«

»Grauenerregend«, stammelte der Professor. »Der schiere Wahnsinn. Schon wieder diese Ts.«

Ellery war überrascht. Natürlich. Vor lauter Übelkeit hatte er die Bedeutung des Antennenmastes als Instrument der Kreuzigung glatt übersehen. Der himmelwärts aufragende Stahlmast bildete mit seinem oben aufliegenden Querbalken, von dem aus die Drähte zum Gegenstück auf der gegenüberliegenden Seite des Kabinendachs verliefen, das unvermeidliche große T ... Erst jetzt sah er die beiden Männer auf dem Dach, direkt hinter dem Gekreuzigten. Einen der beiden erkannte er als Doc Rumsen, den Gerichtsmediziner; den anderen -einen dunkelhaarigen Alten, der nach Seemann aussah -kannte er nicht.

»Sie holen ihn gleich runter«, bemerkte Vaughn. »Der Mann da drüben ist ein alter Seemann und versteht ’ne Menge von Knoten. Ich wollte, daß er ’nen Blick auf die festgebundenen Gelenke wirft, bevor sie ihn abnehmen ... Na, Rollins? Wie sieht‘s aus?«

Der Knotenexperte schüttelte den Kopf und stand auf. »Also das kann ich Ihn‘ sagen; so‘n Murks stammt von kei‘m Seemann nich‘, Inspector! So was macht nur‘n Anfänger. Und noch was: Das sin‘ dieselben Knoten wie in der Wäscheleine, die Se mir vor drei Wochen gegeben ham!«

»Sehr gut!« sagte Vaughn heiter. »Sie können ihn abnehmen, Doc.« Er wandte sich um. »Er hat wieder seine Wäscheleine benutzt -wollte wahrscheinlich keine Zeit verschwenden und nach ’nem anständigen Seil suchen; auf modernen Schiffen liegt so was nicht einfach rum. Auf jeden Fall sind die Knoten die gleichen, mit denen man auch Brad am Totempfahl festgemacht hat. Derselbe Knoten, derselbe Mann.«

»Das eine ergibt sich nicht notwendig aus dem anderen«, bemerkte Ellery. »Aber sonst haben Sie sicher recht. Was ist eigentlich genau passiert, Inspector? Soweit ich mitbekommen habe, soll auch Captain Swift betroffen sein?«

»Allerdings. Die alte Wasserratte ist noch immer nicht zu sich gekommen. Vielleicht kann er sich ja an etwas erinnern ... Kommen Sie zu uns rauf, Doc!« rief Vaughn Dr. Temple zu, der noch immer -Bord an Bord mit der Jacht -zögerlich in seinem Motorboot stand. »Wir werden Sie brauchen!« Dr. Temple nickte schließlich und erklomm die Schiffsleiter.