»Gott!« entfuhr es ihm, als sein Blick auf den Toten fiel halb war er abgestoßen, halb gebannt -und gesellte sich zu den anderen neben der Funkkabine. Vaughn wies auf eine ihrer Wände, von wo eine Leiter zum Kabinendach hinaufführte. Dr. Temple stieg hinauf.
Ellery überkam ein irrationales Kichern; der Schock hatte sein Nervenkostüm derart angegriffen, daß er die unregelmäßig verkleckerte Blutspur an Deck vollkommen übersehen hatte. Geronnene Klumpen und Spritzer zogen sich von Megaras Kabine nach achtern zur Leiter hin, die zum Dach der Funkerkabine hinaufführte ... Auf dem Dach angelangt, wurde Dr. Temple von Dr. Rumsen und dem alten Seemann in Empfang genommen; die drei übernahmen routiniert die undankbare Aufgabe, die Leiche aus ihren Fesseln zu lösen.
»Passiert ist folgendes«, nahm Vaughn den Gesprächsfaden wieder auf. »Einer meiner Männer hat heute morgen die Leiche vom Anlegesteg in Bradwood aus erspäht. Wir sind, so schnell wir konnten, übe-gesetzt und haben Captain Swift zusammengebunden wie‘n Suppenhuhn in seiner Kabine vorgefunden; sein Hinterkopf war voll von getrocknetem Blut. Wir haben die Wunde dann, so gut wir konnten, versorgt und ihn so hingelegt, daß er sich in Ruhe von dem bösen Schlag erholen kann. Schauen Sie doch ruhig einmal bei ihm vorbei, Doc!« brüllte er zu Dr. Temple hoch. »Sobald Sie hier durch sind, meine ich!« Temple nickte kurz, und der Inspector fuhr mit seinem Bericht fort. »Dr. Rumsen hat vorhin, als wir ankamen, schon Erste Hilfe geleistet. Soweit ich die Sache überblicke, sieht alles verdammt eindeutig aus. Gestern abend war außer Megara und Captain Swift niemand an Bord. Krosac muß es irgendwie gelungen sein, auf das Grundstück der Lynns zu gelangen, das Boot loszumachen und zur Jacht hinauszurudern. Letzte Nacht war es ausgesprochen dunkel; nur die Ankerlichter waren an. Er ist also heimlich an Bord gegangen, hat dem alten Captain eins übergebraten und ihn gefesselt. Dann ist er in Megaras Zimmer geschlichen und hat ihn einen Kopf kürzer gemacht. Megaras Kabine ist genauso blutbesudelt wie Brads Gartenhaus.«
»Irgendwo befindet sich auch ein T aus Blut, nehme ich an?« fragte Ellery.
»An der Kabinentür.« Vaughn kratzte sich an seinem Eintagebart. »Wenn ich genau drüber nachdenke, kommt es mir absolut unglaublich vor. Ich habe weiß Gott genug davon gesehen; aber etwas so Dreistes leisten sich nicht einmal die Camorra-Killer, die ihre Opfer ja immerhin auch recht appetitlich zu tranchieren und anzurichten pflegen. Aber gehen Sie doch hinein, und sehen Sie sich die Schweinerei selbst an! Oder vielleicht besser nicht. Es sieht wie im Schlachthaus aus. Er hat Megara da drinnen den Kopf abgeschlagen; und es ist genug Blut geflossen, um die ganze Jacht rot zu streichen.« Nachdenklich fügte er hinzu: »Mann, das war keine Kleinigkeit, Megaras Leiche von seiner Kabine die Leiter hoch auf das Dach des Funkerkabäuschens zu stemmen. Aber Brad an den Totempfahl zu hieven war auch nicht gerade ein Kinderspiel. Dieser Krosac muß ein ziemlicher Brocken sein!«
»Konnte er es eigentlich vermeiden, sich mit dem Blut seines Opfers zu besudeln, Inspector?« fragte Professor Yardley. »Ich meine, könnte nicht die Spur zu einem Mann in blutbefleckten Kleidern führen?«
»Nein«, sagte Ellery, bevor Vaughn antworten konnte. »Dieser Mord ist genauso wie der an Kling und der an Brad lange im voraus geplant worden. Krosac wußte, daß Massen von Blut fließen würden; also hatte er jedesmal frische Sachen dabei, um sich nach vollendeter Tat umzuziehen ... Elementare Regeln der Logik, Professor. Ich vermute eher, daß wir nach einem hinkenden Mann suchen müssen, Inspector, der ein Bündel oder eine kleine Reisetasche bei sich trug. Es ist wohl kaum anzunehmen, daß er seine Ersatzkleider unter den anderen getragen hat, die mit Sicherheit Blut abbekommen würden.«
»Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht«, gestand Vaughn. »Absolut überzeugend. Aber ich kalkuliere besser beides ein; sicher ist sicher!« Er lehnte sich zur Seite und brüllte einem Mann in einem Polizeiboot mehrere Befehle zu; das Boot rauschte umgehend davon.
Mittlerweile hatte man den Toten abgenommen; Dr. Rumsen kniete unter dem nunmehr nackten Antennenmast und untersuchte die Leiche. Dr. Temple war schon einige Minuten zuvor vom Dach heruntergestiegen, unterhielt sich kurz mit Isham und ging dann nach achtern zu Captain Swifts Kabine. Wenig später folgten auch die anderen.
Sie fanden Dr. Temple über den bäuchlings ausgestreckten Captain gebeugt. Er lag mit geschlossenen Augen in seiner Koje. Sein zerzaustes Haar war von getrocknetem Blut auf dem Schädel ganz steif.
»Er kommt jeden Moment zu sich«, sagte der Doktor. »Hat ihn schon bös‘ erwischt; schlimmer als mich damals. Er kann von Glück sagen, daß er so‘n zähes altes Rauhbein ist; bei zarterer Konstitution hätte das leicht eine schwere Gehirnerschütterung geben können.«
Swifts Kabine war nicht im geringsten verwüstet; der Mörder war hier offenbar auf wenig Widerstand gestoßen. Ellery bemerkte eine kleine Automatic; die in Reichweite der Koje auf einem Tisch lag.
»Magazin voll«, erklärte Vaughn, dem Ellerys Blickrichtung nicht entgangen war. »Swift hatte wohl keine Chance, schnell genug dranzukommen.«
Der alte Mann gab kehlige, würgende Laute von sich; und seine Lider hoben sich zuckend, um blicklose, glasige Augen freizugeben; sie fixierten einen Moment lang Dr. Temple; dann drehte der Captain langsam den Kopf, um die ganze Runde in Augenschein zu nehmen. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Körper; er zuckte krampfartig zusammen und schloß die Augen wieder. Als er sie erneut aufschlug, war der glasige Ausdruck aus seinem Blick gewichen.
»Ganz ruhig, Captain«, sagte der Doktor. »Bewegen Sie sich nicht; wir müssen Ihnen erst noch ’nen hübschen Kopfschmuck verpassen.« Wie sie feststellten, war die Wunde bereits versorgt worden. Dr. Temple kramte im Medizinschrank herum, fand schließlich Verbandszeug und begann den Alten vor schweigendem Publikum so gründlich zu bandagieren, daß er zuletzt einem Kriegsverletzten ähnelte.
»Fühlen Sie sich jetzt besser, Captain?« fragte der Staatsanwalt, er schwitzte und schnaufte vor Ungeduld, den Captain endlich vernehmen zu können.
»Glaub‘ schon«, brummte der. »Was zum Teufel is‘n bloß
passiert?«
»Megara ist ermordet worden«, sagte Vaughn tonlos.
Der Captain kniff die Augen zusammen und fuhr sich mit seiner Zunge über die trockenen Lippen. »Hatter ihn also doch gekriegt?«
»Ja. Bitte erzählen Sie uns, woran Sie sich erinnern.«
»Is‘ schon morgen?«
Niemand lachte; alle wußten, was er meinte. »Ja, Captain.«
Captain Swift starrte an die Decke seiner Kabine. »Mr. Megara un‘ ich; wir sin‘ gestern abend zur Helene zurück. Soweit ich mich erinnern kann, war alles tipptopp. Wir ham noch‘n bißchen geplaudert -Mr. Megara sagte was von ’ner Fahrt nach Afrika, wenn alles vorbei wär‘. Dann sind wir in unsre Kojen gegangen - er in seine un‘ ich in meine. Zuerst hab‘ ich aber noch ’ne Runde an Deck gedreht; war‘n schließlich keine Wachen da; un‘ ich geh‘ lieber auf Nummer Sicher.«
»Es gab keine Anzeichen dafür, daß sich ein Fremder an Bord aufhielt?« fragte Ellery.
»Nee«, krächzte der Captain. »Aber sicher weiß ich das natürlich nich‘. Könnte sich ja auch in ’ner Kabine versteckt ham, oder auf‘m Deck drunter.«
»Sie sind also schlafen gegangen«, sagte Isham ermunternd. »Wann etwa war das, Captain?«
»Um sieben Glas.«
»Also um halb zwölf«, murmelte Ellery.
»Genau. Aber ich hab‘ ’nen festen Schlaf. Un‘ ich weiß nu‘ wirklich nich‘, wie spät es war, als ich aus‘m Schlaf hochgeschreckt bin. Hab‘ das Gefühl gehabt, daß was nich‘ stimmt. Hörte jemanden neben der Koje schwer atmen. Ich hab‘ noch nach der Pistole gegriffen, aber dann hab‘ ich so‘n Schlag auf n Kopf abgekriegt, daß mir die Lichter ausgegang‘ sind. Das is‘ alles, was ich noch weiß.«