»Nicht gerade ergiebig«, sagte Isham leise. »Sie haben also
nicht gesehen, wer Sie niedergeschlagen hat?«
Der Captain schüttelte den Kopf. »Ne, ehrlich nich‘. War stockfinster hier drinnen. Ich hab‘ Sternchen gesehen un‘ war weg.«
Die Männer ließen den alten Captain in Dr. Temples Obhut und gingen zurück an Deck. Ellery war in Gedanken versunken und suchte verzweifelt nach einem zündenden Einfall, der Erfolg blieb ihm jedoch versagt. Schließlich schüttelte er angewidert den Kopf und gab auf.
Dr. Rumsen erwartete sie bereits an Deck unterhalb des Antennenmastes. Der knotenkundige Seemann war gegangen. »Nun, Doc?« fragte Vaughn.
Der Gerichtsmediziner zuckte gelangweilt mit den Schultern. »Absolut uninteressant. Wenn Sie sich noch erinnern, was ich Ihnen damals zu Brad gesagt habe, kann ich mir jedes weitere Wort sparen.«
»Auch diesmal keine Anzeichen von Gewalt?«
»Nicht unterhalb des Halses. Und darüber -« Er zuckte wieder mit den Schultern. »Bei der Leiche handelt es sich um Stephen Megara. Dieser Dr. Temple war vorhin hier oben und hat mir erzählt, daß Megara kürzlich eine Hernia testis gehabt habe. Wissen Sie da etwas von?«
»Megara hat uns selbst davon erzählt. Alles klar, Doc.«
»Die Leiche weist Anzeichen einer Hernia auf. Auf eine Sektion können wir verzichten. Dr. Temple hat ihn sich angesehen, direkt nachdem wir ihn abgenommen hatten. Er sagte mir, er habe Megaras Unterleib gründlich untersucht und könne eindeutig bestätigen, daß der Tote Megara sei.«
»Schön. Wann ungefähr ist der Tod eingetreten?«
Dr. Rumsen kniff ein Auge zusammen. »Alles in allem würde ich sagen, zwischen ein Uhr nachts und halb zwei.«
»Okay, Doc. Wir kümmern uns um die Leiche. Ich danke Ihnen.«
»Nichts zu danken.« Der Pathologe schnaubte verächtlich und stieg die Leiter hinunter. Unten wartete bereits eine Barkasse auf ihn.
»Ist irgend etwas gestohlen worden, Inspector?« fragte Ellery.
»Nein. In Megaras Brieftasche befand sich ein wenig Bargeld. Der Mörder hat es nicht mitgehen lassen. Auch den Wandsafe hat er nicht angerührt.«
»Noch etwas -«, begann Ellery, als plötzlich ein Polizeiboot auf sie zu schoß und ein Trupp schwitzender Männer an Bord der Jacht ging.
»Und?« fragte Vaughn. »Habt ihr ihn?«
Der Verantwortliche schüttelte den Kopf. »Leider nein, Chief. Und dabei haben wir das Gelände im Umkreis von drei Kilometern systematisch durchgekämmt.«
»Hat ihn wahrscheinlich im Sund versenkt«, murmelte Vaughn.
»Wovon sprechen Sie überhaupt?« fragte Isham gereizt.
»Von Megaras Kopf. Nicht, daß ich mir davon auch nur das Geringste verspräche. Ich werde auch den Sund nicht danach abfischen.«
»Ich an Ihrer Stelle«, entgegnete Ellery, »würde mir das noch einmal überlegen. Ich wollte Sie gerade fragen, wie die Suchaktion läuft.«
»Hm, wenn Sie meinen ... Sie da, rufen Sie an und sagen Sie, daß wir die Schleppnetze brauchen!«
»Versprechen Sie sich wirklich etwas davon?« fragte Professor Yardley leise.
Ellery riß in einer für ihn untypischen, theatralischen Verzweiflungsgeste die Arme hoch. »Ich wäre heilfroh, wenn ich wüßte, wovon ich mir etwas verspreche und wovon nicht! Mir spukt da so ein Gedanke im Kopf herum, aber er entwischt mir immer wieder! Ich weiß, daß ich etwas Bestimmtes tun
sollte ... ich spüre es ganz deutlich!« Er hielt inne und steckte sich eine Zigarette in den Mund. »Sie haben schon recht«, befand er nach einer Weile. »Ich gehöre zu den jämmerlichsten Vertretern meiner Zunft.«
»Erkenne dich selbst«, erwiderte der Professor trocken.
25. Der hinkende Mann
Einer von Vaughns Leuten kam an Bord der Helene und übergab dem Inspector einen Umschlag.
»Was ist das?« fragte Vaughn.
»Ein Telegramm, gerade reingekommen.«
»Ein Telegramm«, wiederholte Ellery wie in Trance. »Etwa aus Belgrad, Inspector?«
Vaughn riß das Kuvert auf. »Ja ...« Er übrflog den Inhalt und nickte düster.
»Gerade früh genug«, bemerkte Isham, »um uns nichts mehr zu nützen. Was steht drin?«
Der Inspector drückte dem Staatsanwalt das Blatt in die Hand. Der las laut vor:
ALTE DOKUMENTE ZUR TVAR-KROSAC-FEHDE AUFGETAUCHT STEFAN ANDREJA UND TOMISLAV IVAR HABEN KROSACS VATER UND ZWEI ONKEL VÄTERLICHERSEITS AUS HINTERHALT ERSCHLAGEN DAS HAUS AUSGERAUBT UND GRÖSSERE SUMME GESTOHLEN DANACH FLUCHT AUS MONTENEGRO STOP KLAGE VON KROSACS WITWE STOP ZU SPÄT UM TVARBRÜDER NOCH ZU ERGREIFEN SEITDEM KEINE SPUR VON TVARS BZW WITWE MIT MINDERJÄHRIGEM SOHN VELJA VOLLSTÄNDIGE ÜBERSICHT ÜBER MEHRERE GENERATIONEN LIEGT
VOR BITTE ANFORDERN
Unter dem Telegramm prangte die Unterschrift des Polizeiministers der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad.
»Na«, sagte der Professor giftig. »Dann haben Sie ja wenigstens in diesem Punkt recht behalten, Queen. Nichts als gemeine Diebe.«
Ellery lachte verbittert. »Was für ein schaler Triumph! Es bedeutet lediglich, daß Velja Krosac ein zusätzliches Motiv hatte, sich an den Tvars zu rächen -seine Familie war ausgelöscht, man hatte ihm alles Geld gestohlen. Aber dieser Punkt ist völlig unbedeutend ... Und Megaras Geschichte von den Agenten, die sie auf Krosac angesetzt haben wollen -na ja, die stimmt vermutlich, wenn sie die Männer auch sicher nicht von Montenegro, sondern von Amerika aus per Post beauftragt haben.«
»Der arme Teufel. Irgendwie tut er mir beinahe leid.«
»Dieser Bluthund verdient kein Mitleid, Professor!« fuhr Vaughn ihn scharf an. »Natürlich hatte er ein starkes Motiv; aber ohne Motiv bringt man schließlich keinen um! Wir können doch keinen Mörder ungeschoren davonkommen lassen, bloß weil er ein nachvollziehbares Motiv hatte! ... Was haben Sie da?«
Ein anderer von Vaughns Männern überbrachte dem Inspector einen Stapel von offiziell aussehenden Briefen und Telegrammen. »Vom Sergeant, Inspector. Die Berichte von gestern nacht.«
»Hmm.« Vaughn ging die Briefe in Windeseile durch. »Über die Lynns.«
»Neuigkeiten?« fragte Isham.
»Kaum. Natürlich glauben mal wieder alle Amerikaner, die Lynns gesehen zu haben. Eine Spur kommt sogar aus Arizona! Sie bleiben dran. Eine andere aus Florida -ein Mann und eine
Frau einschlägiger Beschreibung sollen in einem Auto in der Nähe von Tampa gesehen worden sein. Na ja, vielleicht ist ja was dran.« Er stopfte sich die Berichte achtlos in eine seiner Jackentaschen. »Aber ich wette, die sind in New York untergetaucht; es wäre verdammt dumm von denen, offen durch die Lande zu ziehen. Die kanadische und die mexikanische Grenze scheinen in Ordnung zu sein. Und über‘n großen Teich sind sie vermutlich auch nicht ... Huhu! Bill scheint etwas gefunden zu haben!«
Der Polizist namens Bill stand auf einem Außenborder, winkte mit seiner Mütze, rief ihnen etwas Unverständliches zu und kletterte an Bord. Er strahlte wie ein Kind unterm Weihnachtsbaum.
»Chief«, rief er, sobald er an Deck war, »Sie haben mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen! Ziemliche Ausbeute da drüben!«
»Lassen Sie hören!«
»Zuerst haben wir das Ruderboot überprüft. Es gehört, wie Sie schon vermutet haben, zu dem Grundstück da drüben. Das Seil ist mit einem scharfen Messer durchtrennt worden. Der Knoten hängt noch immer am Anlegesteg; und das Seilstück im Boot paßt genau mit dem anderen Ende zusammen.«
»Gut, gut«, sagte Vaughn ungeduldig. »Er hat das Ruderboot genommen, das wissen wir. Haben Sie am Anlegesteg noch etwas gefunden?«
»Und ob wir das haben! Fußspuren!«