»Aber wohin soll uns das -«
Ellery schloß die Augen. »Sollten Sie als Amateurdetektiv höhere Ambitionen haben oder gar als genial gelten wollen, dann wäre es klug, Disraelis Rat zu verinnerlichen und Geduld zu üben. Rache ist süß, verehrter Professor! Wie oft habe ich brütend in Ihrem Seminar gesessen und vergeblich versucht, Ihre lässig vorgetragenen Argumentationsschritte vorwegzunehmen! Denken Sie nur an Xenophon und die Zehntausend, Philippus oder Jesus ... Doch wo war ich stehengeblieben? Ach ja! Ein roter Spielstein fehlte; wir haben ihn später draußen in der Nähe der Kreuzigungsstätte gefunden. In Brads Handinnenfläche fand sich der Abdruck eines roten Steins, den er also in der Hand gehalten haben muß, als er starb. Doch warum einen roten? Theoretisch gäbe es dafür viele Erklärungen, doch nur eine läßt sich auch belegen.«
»So?« fragte der Professor gespannt.
»Nämlich mit Hilfe der Tatsache, daß ein roter Stein sich auf Brads Grundreihe befand, ohne zu einer Dame umgewandelt worden zu sein. Den einzigen roten Stein, der fehlte, hielt Brad in der Hand. Wir kommen nicht umhin anzunehmen«, sagte Ellery pointiert, »daß es Rot, Brads Gegner, gelungen war, einen seiner Steine zu Brads Grundlinie durchzubringen, und Brad einen der geschlagenen roten Steine aus seiner Ablage nahm, um ihn auf den roten Stein zu setzen, und daß dann etwas geschehen ist, was die Partie jäh beendet hat. Anders gesagt die Tatsache, daß Brad einen roten Stein genommen hat, um seinem Gegner zu einer Dame zu verhelfen, ohne dies auch de facto zu tun, zeigt uns nicht nur, wann die Partie unterbrochen wurde, sondern indirekt auch, warum.«
Yardley lauschte schweigend.
»Brad hat seine letzte Aktion nicht mehr vollendet, weil er nicht mehr in der Lage dazu war.« Ellery machte eine Pause und seufzte leise. »Er ist in diesem Moment angegriffen und, um es milde zu formulieren, der Fähigkeit, eine Dame zu machen, beraubt worden.«
»Der Blutfleck«, murmelte der Professor.
»Genau. Die Bestätigung dafür liefert der Blutfleck auf dem Teppich -der Fleck etwa sechzig Zentimeter hinter dem Sitz, auf dem Schwarz -oder Brad -saß. Wir haben schon vor einiger Zeit nachgewiesen, daß der Mord im Arbeitszimmer begangen worden ist. Und der Blutfleck auf dem Teppich ist der einzige, den wir in diesem Raum gefunden haben. Wenn der Mörder Brad von vorn den Schädel eingeschlagen hat, während er am Tisch saß und für Rot gerade eine Dame machen wollte, dann muß er rückwärts gefallen sein -zwischen seinen Sitz und den Sekretär. Genau dort haben wir den Blutfleck gefunden ... Dr. Rumsen sagte, Brad müsse ursprünglich einen Schlag auf dem Kopf erlitten haben, da andere Zeichen von Gewalteinwirkung an seinem Körper nicht festzustellen waren. Das Blut sickerte ungehindert in den Teppich, bevor der Mörder Brad ins Gartenhaus trug und so weiter und so fort. Alle Details stimmen überein. Eines jedoch geht aus den Fakten klar hervor:
Brad wurde von seinem Mörder angegriffen, während er mit ihm Dame spielte -mit anderen Worten: Sein Mörder ist identisch mit seinem Damegegner ... Sie haben Einwände?«
»Natürlich, Sie kennen mich doch«, erwiderte Yardley scharf. Er zündete sich die erloschene Pfeife wieder an und zog energisch daran. »Widerlegen Sie bitte mit Hilfe Ihrer Argumentationskette folgendes: Brads Damegegner war entweder unschuldig oder Krosacs Komplize. Und während der ahnungslose Gast mit Brad spielte, oder der Komplize, um ihn abzulenken, schlich Krosac ins Arbeitszimmer und schlug Brad von hinten auf den Kopf, wie ich bereits sagte, als wir den Blutfleck entdeckten.«
»Ich muß schon sagen, Professor -eine Annahme absurder als die andere!« Ellerys Augen funkelten gefährlich. »Den Komplizen haben wir schon vor einiger Zeit eliminiert. Wir haben es mit Verbrechen aus Rachsucht zu tun -es fehlte jeder finanzielle Anreiz für einen potentiellen Komplizen. Und die Annahme, es wären die ganze Zeit zwei Personen im Spiel gewesen -einer von ihnen Krosac, der andere ein ahnungsloser Gast Brads, mit dem er Dame spielte? ... Bitte führen Sie sich vor Augen, was das hieße. Es hieße, daß Krosac in der Anwesenheit eines unbeteiligten Zeugen auf Brad losgegangen wäre! Grotesk! Krosac hätte in jedem Falle gewartet, bis der Gast gegangen wäre. Aber nehmen wir einmal an, er hat Brad im Beisein eines Zeugen niedergeschlagen. Müßte er nicht alles daransetzen, ihn zum Schweigen zu bringen? Einem Mann wie Krosac, der bereits mehrere Menschenleben auf dem Gewissen hat, wird es auf eines mehr oder weniger ja wohl kaum ankommen! Und doch scheint er unserem Zeugen kein Haar gekrümmt zu haben ... Nein, Professor, ich fürchte, den Zeugen müssen wir begraben.«
»Was aber wäre, wenn unser Zeuge vor Krosac gekommen und auch wieder gegangen wäre -und doch zwischendrin mit
Brad gespielt hätte?« beharrte der Professor.
»Du meine Güte! Ich fürchte, ich habe Sie zu stark beansprucht, Professor! Wenn Ihr Zeuge vor oder nach Krosac kam, dann war er keiner!« Ellery lachte amüsiert. »Doch Scherz beiseite; es besteht kein Zweifel daran, daß Brad gegen Krosac gespielt hat. Selbst wenn es einen früheren oder späteren Besucher gegeben hätte, würde das die Tatsache nicht widerlegen, daß der Mörder - Krosac -mit Brad gespielt hat.«
»Und wozu all die Spitzfindigkeiten?« brummte Yardley
»Wie ich bereits sagte: Um zu beweisen, daß Brad mit Krosac Dame gespielt hat und daß er ihm wohlbekannt war, obwohl er ihn natürlich für jemand anders gehalten haben muß.«
»Ha!« Der Professor klatschte sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Jetzt hab‘ ich Sie, junger Mann! Warum ›wohlbekannt‹, bitte? Soll das Ihre vielbeschworene Logik sein? Ein Mann wie Brad spielt mit jemandem Dame. Wollen Sie mir im Ernst weismachen, es habe sich dabei notwendig um einen Freund handeln müssen? Kompletter Unsinn! Er hätte mit jedem Kanalarbeiter gespielt, solange er die Regeln beherrschte! Er fiel über jeden her; ich habe volle drei Wochen gebraucht, um ihm klarzumachen, daß ich kein Interesse an einem Spiel hatte!«
»Bitte, Professor, meine Nerven! Sollte ich fälschlich den Eindruck erweckt haben, von der Damepartie her ableiten zu wollen, daß Brad mit seinem Gegner befreundet war, dann tut mir dies aufrichtig leid; es lag keinesfalls in meiner Absicht. Es gibt einen viel stichhaltigeren Grund. Wußte Brad, daß Krosac, Erzfeind der Tvars, in blutiger Mission nach Amerika gekommen war?«
»Ja, natürlich. Erstens geht es aus der Nachricht hervor, die er hinterließ, zweitens hat Van ihn schriftlich vor Krosac gewarnt.«
»Bien assurément! Hätte Brad sich denn -in dem Wissen, daß er mit einem Anschlag rechnen mußte -mit einem Fremden verabredet und sich ihm vollkommen schutzlos ausgeliefert, indem er Familie und Personal fortschickte?«
»Hmm, klingt unwahrscheinlich.«
»Wie Sie sehen«, sagte Ellery mit einem erleichterten Seufzer, »können Sie alles beweisen, wenn Sie nur genug Fakten zueinander in Beziehung setzen. Nehmen wir einmal den extremsten Fall. Angenommen der Gast, den Brad erwartete, kam, sie erledigten, was sie zu erledigen hatten, und er ging wieder. Dann kam Krosac, ein, wie wir annehmen, vollkommen Fremder. Wir haben jedoch nachgewiesen, daß Krosac, Brads Mörder, Dame mit ihm spielte. Das würde bedeuten, daß Brad freiwillig einen wildfremden Mann in sein unbewachtes Haus gelassen hätte ... Absurd! Also muß Brad Krosac gut gekannt haben, ob er nun der erwartete Gast war oder ihm nur einen Überraschungsbesuch abstattete. Die Antwort auf diese Frage ist jedoch uninteressant ... Ich persönlich glaube, daß sich in der Mordnacht außer Brad nur eine weitere Person im Arbeitszimmer aufhielt -Krosac. Aber selbst wenn es zwei, drei oder gar ein ganzes Dutzend waren der Beweis, daß Brad Krosac -in welcher Maske auch immer kannte, daß sie Dame spielten und Brad mitten im Spiel umgebracht wurde, steht!«