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Eine Öllampe brannte auf dem schlichten hölzernen Waschstand. In Metallhalterungen am Kopfende seines Betts steckten zwei frische Kerzen. Rupert entzündete sie mit der Öllampe, sorgfältig darauf bedacht, die Flamme nicht zu löschen. Der Gedanke, dass er in einem völlig dunklen Raum erwachen könnte, war ihm unerträglich. Er löste langsam den Lederriemen des Schwertgehenks und legte die Waffe in Reichweite auf den Boden neben dem Bett. Und dann saß er einfach da und starrte die kahle Wand an.

Der Blaue Mond stand voll am Himmel. Die Finsternis hatte das Waldkönigreich verschlungen, weil er nicht rechtzeitig zurückgekehrt war. Und Julia…

Ich hätte dich lieben können, Julia.

Rupert legte sich auf das Bett, ohne die blutgetränkten Sachen auszuziehen, und flüchtete sich in den Schlaf. Seine Träume waren düster und unruhig.

Lord Darius hastete ruhelos durch die pechschwarzen Tunnel und murmelte leise vor sich hin. Seine dünne, quängelnde Stimme kam hohl von den mächtigen Steinwänden zurück und schien noch in der feuchten Stille widerzuhallen, wenn er längst verschwunden war. Von Zeit zu Zeit vernahm er das schwache Trippeln vieler winziger Pfoten, wenn die Ratten, die in den Entlüftungsschlitzen hausten, bei seinem Näherkommen in ihre Löcher flüchteten. Darius beachtete sie nicht.

Sie waren zu klein und ängstlich, um ihn anzufallen, solange er in Bewegung blieb. Ein schwacher Lichtschein tauchte im Dunkel vor ihm auf, wie ein einzelner Stern in einer mondlosen Nacht. Darius verharrte und kauerte reglos in der Finsternis, während er argwöhnisch den unsteten hellen Fleck weiter vorn beobachtete. Er hörte nichts außer seinem eigenen gequälten Atem. Nach einer Weile zog er den Dolch aus dem Ärmel und schlich vorsichtig weiter. Breite Streifen schmutzig goldenen Lichts fielen von einer Seitenöffnung hoch in der Tunnelwand herein. Ein rostiges Metallgitter teilte das Licht in ein Dutzend heller Strahlenbündel, in denen die Staub- und Rußteilchen der Tunnelluft tanzten. Darius blieb am Rande des Lichtscheins stehen und biss sich auf die Unterlippe. So viel Licht bedeutete, dass er sich einem bewohnten Teil der Burg näherte, und das bedeutete Essen und Trinken und die Gelegenheit, sich an seinen Feinden zu rächen.

Aber er musste vorsichtig sein. Seit er in das Labyrinth der verborgenen Tunnel und Entlüftungsrohre geflohen war (Wie lange lag das zurück? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren.), hatte er Angst davor, in die Burg selbst zurückzukehren.

Selbst als der Hunger und Durst ihn schließlich dazu zwangen, seine Tunnel eine Weile zu verlassen, lebte er in der ständigen Furcht, von den Männern des Königs aufgespürt und gefasst zu werden. Er hegte keinen Zweifel daran, dass die Wachen ihn auf der Stelle töten würden. Er selbst hätte den Befehl dazu erteilt. Es war nur logisch. Und so verließ er das Dunkel nur, wenn es unbedingt sein musste, schlüpfte durch geheime Wandtüren und verborgene Entlüftungsschächte, wenn er sicher sein konnte, dass niemand ihn bemerkte. Er stahl Brot, Fleisch und Wein, nie so viel, dass es auffiel, und nie genug, um den Hunger zu stillen, der in seinen Eingeweiden nagte, wann immer er wach war.

Darius starrte in den goldenen Schimmer, der vor ihm lag, und kämpfte gegen den Impuls an, seine Tunnel zu verlassen und die Entdeckung zu riskieren, nur um wieder im Licht leben zu können. Die ständige Dunkelheit der verschlungenen Korridore lastete auf ihm und höhlte ihn unbarmherzig aus wie Wasser, das unentwegt auf einen Stein tropfte. Darius fauchte lautlos und schüttelte störrisch den Kopf. Noch war die Zeit nicht reif. Er hatte geschworen, in seinem Labyrinth zu bleiben, bis ihn sein Dunkler Herr und Meister rief und ihm Macht über seine Feinde verlieh. Wahre Macht. Zaubermacht. Er spürte, wie sie in ihm brannte und stetig stärker wurde. Der Dunkle Fürst hatte seine lang verschmähten Talente erkannt und zum Leben erweckt. Darius lächelte. Bald würde seine Macht brennen wie ein Leuchtfeuer, und dann würde er das Dunkel verlassen und Rache üben. Bis dahin wollte er warten, denn auch wenn er sich danach sehnte, wieder im Licht zu wandeln, der Wunsch nach Rache war größer. Erheblich größer.

Darius trat in das goldene Licht und stellte sich auf die Zehenspitzen, um durch die Öffnung zu spähen. Die Helligkeit tat seinen Augen weh, und Tränen liefen ihm über die schmutzverklebten, stoppeligen Wangen, aber er konnte die Blicke nicht abwenden. Nach einer Weile schmerzten ihm die Knöchel. Er verdrängte das unangenehme Ziehen so lange wie möglich, aber dann musste er die Füße ausschütteln und sich von dem tröstlichen goldenen Schein entfernen. Er blieb nachdenklich stehen, wog die Für und Wider ab und zog aus dem Ärmel den letzten kostbaren Kerzenstummel. Mit dem Dolchgriff schlug er Funken aus dem Metallgitter, bis der Kerzendocht endlich aufglomm. Im nächsten Moment umfing ihn der Tunnel, als habe er nur auf ein wenig Licht gewartet, um seine Existenz zu manifestieren. Darius zog erschrocken den Kopf ein, als er merkte, dass die Decke nur wenige Zentimeter über seinem Scheitel verlief. Auch die Wände rückten näher und machten ihm bewusst, wie entsetzlich eng ihn der Tunnel umschloss. Er stolperte hierhin und dorthin, und überall starrte ihm, kaum eine Handbreit entfernt, das alte Mauerwerk höhnisch entgegen. Kalter Schweiß lief ihm von der Stirn, und er stöhnte, wimmerte und fuchtelte ziellos mit den Händen, während ihn blanke Panik erfasste. Er drehte sich im Kreis, immer wieder, und konnte nicht stillstehen. Er war in den steinernen Eingeweiden der Burg lebendig begraben, Meilen entfernt von Licht, Luft und Freiheit. Plötzlich begann er laut zu schreien und mit den Fäusten gegen die Wand zu hämmern, bis er erschöpft zusammenbrach und schluchzend in den Schlick fiel, der den Tunnelboden bedeckte. Eine Zeit lang lag er da, blind vor Angst. Dann verklang sein Schluchzen allmählich, während die Panik nachließ und nichts außer einer schlichten, überwältigenden Müdigkeit zurückblieb. Er setzte sich auf und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Er spürte etwas in der geschlossenen Faust, und als er die Finger öffnete, sah er, dass er den Kerzenstummel zu einer formlosen Wachsmasse zerdrückt hatte. Er schniefte noch einmal und warf das Wachs weg.

Er rappelte sich mühsam auf, fand den Dolch, den er fallen gelassen hatte, und kehrte zurück in das goldene Licht, das durch die Gitteröffnung einfiel. Er rieb an dem stinkenden Schlick herum, der sich in seine Kleidung gesogen hatte, und wünschte sich flüchtig, er hätte einen Spiegel zur Hand. Er fragte sich oft, wie er jetzt aussehen mochte. Dass er Gewicht verloren hatte, merkte er daran, wie ihn die Kleidung umschlotterte, aber er spürte, dass er sich auch sonst verändert hatte. Er fror ständig und ermüdete schnell, doch das störte ihn kaum noch. Er zuckte die Achseln und schob den Gedanken beiseite. Es war nicht wichtig. Nichts war mehr wichtig, bis auf das Gesicht, das stets vor ihm schwebte, selbst in den tiefsten, dunkelsten Gängen. Haralds Gesicht. Das kühle Lächeln auf den Zügen des Prinzen, als er Darius an seine Feinde verriet.

Tut mir Leid, Darius. Heutzutage kann man keinem Menschen mehr trauen.

Darius kauerte in dem goldenen Lichtkreis nieder. Zu beiden Seiten sah er die schmutz- und rußverschmierten Wände, an denen das Wasser in dünnen Rinnsalen zu Boden perlte und dort einen glitschigen Film bildete. Das Jahrhunderte alte Mauerwerk, das ihn umgab, wies Risse und Unebenheiten auf, und die Entwässerungskanäle, die das Kondenswasser und andere Ablagerungen ins Freie leiten sollten, waren hoffnungslos verstopft. Die Burg wurde alt und marode. So wie er. Er runzelte die Stirn und zählte mit leiser Stimme die Dinge auf, die er sich vorgenommen hatte, die Neuerungen.

Er hatte so viele Pläne gehabt… doch die konnte er nun vergessen.