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»Hmm«, murmelte Rupert schläfrig. »Prächtiger Tag…

zum Fliegen.« Das Kinn sank ihm langsam auf die Brust, und der Schlaf schwappte wie eine riesige Flutwelle über ihm zusammen. Die Prinzessin bettete ihn sanft auf Fellen, ehe sie seine Hände wusch und bandagierte. Rupert merkte nichts davon, aber zum ersten Mal seit Verlassen des Dunkelwaldes war sein Schlaf frei von Albträumen.

Nach ein paar Stunden Rast war Rupert beinahe wieder der Alte. Viel zu bald kauerte der Prinz nicht gerade elegant auf dem Rücken des Drachen und umklammerte den Hals des Kolosses, als wollte er ihn nie mehr loslassen. Prinzessin Julia saß hinter Rupert und schnürte ihm die Luft ab.

»Ich habe Höhenangst«, gestand sie verzagt.

»Da bist du nicht die Einzige«, versicherte ihr Rupert. Er warf einen Blick auf die dunklen Wolken, die über den Himmel zogen, und fröstelte, als ein kalter Windstoß über den schmalen Felsensims vor dem Höhleneingang fegte. »Wenn das ein prächtiger Tag zum Fliegen ist, dann möchte ich nicht wissen, wie ein weniger prächtiger Tag aussieht.«

»Fertig?«, fragte der Drache und dehnte eifrig die Schwingen.

»Äh…«, begann Rupert.

»Dann haltet euch gut fest!«, rief der Drache. Er nahm einen kurzen Anlauf, stieß sich vom Sims ab und fiel wie ein Stein in die Tiefe. Der Wind pfiff an ihnen vorbei, als sie nach unten sackten, und Rupert schloss ganz fest die Augen.

Dann breitete der Drache unvermittelt die Schwingen aus und ging nach einer Reihe wenig magenfreundlicher Manöver in einen kontrollierten Gleitflug über. Rupert öffnete nach einer Weile vorsichtig die Augen und spähte am Nacken des Drachen vorbei, um einen Blick auf die Landschaft zu erhaschen, ein Entschluss, den er gleich darauf bereute. Weit unten breiteten sich die bestellten Felder wie ein pastellfarbener Fleckenteppich aus. Das Waldkönigreich lag im Norden, bedrängt vom Dunkelwald, der sich wie ein Geschwür ins Land fraß. Rupert schluckte; sein Mund war plötzlich trocken, als die Vorberge mit atemberaubender Geschwindigkeit auf ihn zukamen. Nachträglich besehen, wäre ihm ein Fußmarsch vielleicht doch lieber gewesen. Die mächtigen Flügel des großen Geschöpfes schlugen kraftvoll auf und ab und spannten sich dann voll aus, als der Drache zu einer holprigen Landung ansetzte, die Ruperts Skelett gehörig in Unordnung brachte. Der Drache faltete die Schwingen und schaute sich um.

»Da wären wir. War das nicht aufregend?«

»Sehr aufregend«, bestätigte Rupert.

»Tut gut, wieder mal den Wind um die Nase zu spüren«, sagte der Drache. »Äh… eigentlich könnt ihr mich jetzt loslassen und absteigen.«

»Wir machen uns gerade mit diesem Gedanken vertraut«, meinte Julia. »Mein Magen glaubt allerdings, er sei noch irgendwo droben in den Wolken.«

Sie löste ihre Arme vorsichtig von Rupert, und dann rutschten sie gemeinsam vom Rücken des Drachen. Der feste Boden unter den Füßen war ihnen noch nie so angenehm und sicher erschienen. Sie befanden sich am Ausgangspunkt des Kletterpfades. Rupert spähte umher, aber wie erwartet war das Einhorn nirgends zu sehen.

»Einhorn! Wenn ich bis zehn zähle und du immer noch nicht auftauchst, übergebe ich dich dem Königlichen Streichelzoo als Reittier für die Kinder!«

»Das würdest du nicht wagen!«, ertönte eine empörte Stimme hinter einem Felsblock.

»Wollen wir wetten?«, knurrte Rupert.

Es entstand eine Pause, ehe das Einhorn den Kopf hinter dem Felsblock hervorstreckte und sich mit einem breiten Lächeln einzuschmeicheln versuchte. »Willkommen im Tal, edler Prinz! Wer sind deine Freunde?«

»Dies ist Prinzessin Julia. Ich habe sie gerettet.«

»Pah!«, fuhr die Prinzessin dazwischen.

»Und das ist ein Drache. Er begleitet uns zur Burg.«

Das Einhorn verschwand wieder hinter dem Felsblock.

»Einhorn, entweder du kommst sofort heraus oder ich schicke dir den Drachen. Noch schlimmer: Ich schicke dir die Prinzessin!«

Julia trat ihm gegen das Schienbein. Rupert lächelte mit zusammengebissenen Zähnen und schwor sich, dem ersten Barden, der ihm etwas von den Freuden großer Abenteuerfahrten sang, den Hals umzudrehen. Das Einhorn trottete mürrisch herbei und blieb in sicherer Entfernung vom Drachen stehen.

»Ach, bist du doch zu dem Entschluss gekommen, uns zu begleiten?«, fragte Rupert.

»Nur unter Protest.«

»Es tut alles nur unter Protest«, erklärte Rupert der Prinzessin.

»Diese Bemerkung ist mir nicht entgangen!« Das Einhorn starrte den Drachen skeptisch an. »Ich darf wohl kaum davon ausgehen, dass dieses Ding Vegetarier ist…«

Der Drache lächelte. Seine spitzen Zähne blitzten in der Sonne.

»Dachte ich es mir doch!«, murmelte das Einhorn.

Der Dunkelwald lag dumpf brütend vor ihnen, modernde Bäume, umsponnen von einer Nacht, die weder Mond noch Sterne kannte. Der Weg, den Rupert mit dem Schwert durch das Dornengestrüpp gebahnt hatte, lag offen vor ihm. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, als er die schmale Lücke angewidert und fasziniert zugleich betrachtete. Während der viele Wochen dauernden Reise zum Drachenfels und wieder zurück war es ihm nicht einen Augenblick lang gelungen, die tief sitzende Furcht abzuschütteln, die seit dem Ritt durch die Dunkelheit auf ihm lastete. Ein Schauer überlief ihn plötzlich, als die kühle Brise von den halb verrotteten Bäumen den vertrauten Verwesungsgestank zu ihm herüberwehte. Seine Hand senkte sich auf den Schwertgriff, als suche er Halt oder Sicherheit. Sein Atem ging rau und stoßweise, während sich das Entsetzen in ihm ausbreitete.

Nicht schon wieder! Bitte, nicht schon wieder!

»Der Dunkelwald«, sagte Prinzessin Julia mit einer Spur von Ehrfurcht in der Stimme. »Ich dachte immer, der sei im Reich der Legenden angesiedelt, ein Märchen, das man kleinen Kindern vor dem Schlafengehen erzählt, um sie zu erschrecken. Das riecht ja, als lägen hier Leichen rum. Bist du sicher, dass wir ihn durchqueren müssen, um ins Waldkönigreich zu gelangen?«

Rupert nickte wortlos. Er hatte Angst, seine Stimme könnte verraten, wie sehr ihn allein der Anblick der Finsternis aus der Fassung brachte. Sie mussten den Dunkelwald durchqueren. Es gab keinen anderen Weg. Aber immer noch zauderte er und stand steif wie ein Brett neben dem Einhorn, unfähig, auch nur einen winzigen Schritt in Richtung der langen Nacht zu tun, die seine Seele gewogen und für zu leicht befunden hatte.

»Vielleicht könnte ich dich und Julia über den Dunkelwald fliegen«, meinte der Drache bedächtig. »Aber das hieße, dass wir das Einhorn zurücklassen müssten.«

»Nein«, entgegnete Rupert ohne das geringste Zögern.

»Das kommt nicht in Frage.«

»Danke«, sagte das Einhorn.

Rupert nickte nur kurz, die Blicke starr auf die undurchdringliche Finsternis gerichtet.

»Nun mach schon!«, forderte ihn die Prinzessin schließlich auf. »Je eher wir aufbrechen, desto schneller sind wir auf der anderen Seite.« Sie sah Rupert erwartungsvoll an.

»Ich kann nicht«, murmelte er hilflos.

»Was ist los?«, fauchte Julia. »Angst vor der Dunkelheit?«

»Ja«, gestand Rupert leise. »Du hast es erfasst.«

Julia sah ihn verblüfft von der Seite an. Jetzt erst bemerkte sie, dass seine Hände zitterten und sein Gesicht kalkweiß war.

»He, machst du Witze? Das kann doch nicht dein Ernst sein. Angst vor der Dunkelheit! «

»Sei still!«, fuhr das Einhorn die Prinzessin an. »Du hast ja keine Ahnung!«

»Ich vielleicht schon«, warf der Drache ein. Seine großen goldenen Augen spähten argwöhnisch in die Schwärze. »Der Dunkelwald war bereits alt, als ich mich in der Blüte meiner Jahre befand, Julia. Wenn man den Legenden glauben darf, gab es ihn von Anfang an und wird ihn immer geben – die auf der Erde sichtbar gewordene Macht der Finsternis. Wer es wagt, diesen Wald zu betreten, kann Schaden an Leib und Seele nehmen.« Der Drache starrte eine Weile in das Dunkel und wandte sich dann unbehaglich ab. »Was ist dir im Dunkelwald zugestoßen, Rupert?«