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Wie ist es nur dazu gekommen?, dachte der König, während er den ausgefransten Hermelinkragen seines Umhangs zwischen den Fingern drehte. Er hatte immer sein Bestes für das Reich gegeben, hatte alles getan, was von ihm verlangt wurde. Er hatte sich gut verheiratet und eine glückliche Ehe geführt, bis ihm eine heimtückische Krankheit seine Frau genommen hatte, vor einundzwanzig langen Jahren. König Johann seufzte tief, als die Erinnerungen auf ihn einströmten.

Es hatte so harmlos angefangen. Eine Erkältung nach einem Bad im sommerlichen See. Und dann war aus der Erkältung ein schweres Fieber und aus dem Fieber etwas Schlimmeres entstanden. Am Ende lag sie da, das Gesicht hager von der Auszehrung, während der Kopf hilflos in den schweißgetränkten Kissen hin und her rollte. Immer wieder hatte sie hellrotes Blut gehustet, in langen, schmerzhaften Krämpfen, die ihren zerbrechlichen Körper marterten. All die langen Tage und die noch längeren Nächte hatte König Johann an ihrem Krankenlager gesessen und ihre Hand gehalten, aber sie merkte nicht einmal, dass er da war. Die größten Ärzte und Magier waren seinem Ruf gefolgt und hatten ihr zu helfen versucht, aber keiner von ihnen vermochte sie zu retten, und zuletzt konnte er nur noch ohnmächtig zusehen, wie die geliebte Frau qualvoll starb.

König Johann saß auf seinem Thron und ließ die Blicke durch den Audienzsaal wandern. Er hatte sein Bestes gegeben. Hatte die Schlachten des Reiches geschlagen, das Land gegen seine Feinde verteidigt. Und wozu das alles? Dass er nun allein in einem staubigen, leeren Saal saß und wusste, dass sein Bestes nicht gut genug gewesen war.

Draußen im Vorzimmer stritten Harald und Julia im Flüsterton weiter, während sie darauf warteten, dass der König sie endlich empfing.

»Schau, Julia, es ist nun mal abgemacht, dass wir beide heiraten!«

»Eine Abmachung lässt sich ohne weiteres rückgängig machen.«

»Der Kontrakt wurde vor langer Zeit besiegelt.«

»Nicht von mir.«

»Deine Unterschrift ist nicht nötig«, sagte Harald ruhig.

»Ebenso wenig wie dein Einverständnis.«

Er duckte sich im letzten Moment, sodass Julias Faust nur seine Frisur streifte. Harald trat zur Vorsicht einen Schritt zurück, während die Prinzessin ihr Gleichgewicht wiedergewann. Im Umgang mit Julia entwickelten sich seine Nahkampf-Reflexe besser als im jahrelangen Training mit dem Champion.

»Julia, das haben wir doch alles schon mehrfach durchgekaut. Diese Hochzeit wird stattfinden, gleichgültig, was wir beide davon halten. Warum finden wir uns nicht damit ab und machen das Beste daraus?«

Julia sah ihn zornig an. »Hör mir gut zu, Harald, denn was ich jetzt sage, gilt ein für alle Mal. Ich liebe dich nicht. Ich mag dich nicht. Meine Gefühle für dich sind ungefähr so überwältigend wie für den dampfenden Mist, der morgens aus den Ställen gekarrt wird. Ich würde dich nicht mal dann heiraten, wenn ich zur Strafe den Aussatz kriegte. Hast du das kapiert?«

»Du wirst mich lieben lernen, wenn wir erst Mann und Frau sind«, meinte Harald selbstgefällig. Julia trat ihm gegen das Schienbein. Harald humpelte eine Weile auf und ab und fluchte unterdrückt, um seinen Vater nicht auf die Palme zu bringen. Er hatte gelernt, die Fausthiebe abzuwehren, aber die Tritte kamen immer noch unerwartet.

Julia kehrte ihm den Rücken zu und grollte still vor sich hin. Angesichts ihres leicht angekratzten Rufes bei Hofe konnte sie sich keine offene Fehde mit dem Thronerben leisten, aber hin und wieder ging der Gaul mit ihr durch. Harald hatte die freie Auswahl unter den Edelfräulein, aber er musste sich ausgerechnet auf sie versteifen. Sie kannte Kaninchen, die weniger rammelten als er. Er machte ihr Komplimente und Geschenke und schien fassungslos, dass sie ihm nicht vor Freude um den Hals fiel. Julia musste zugeben, dass Harald ein angenehmer Gesprächspartner sein konnte, aber die Beharrlichkeit des Mannes widerte sie etwa im gleichen Maße wie seine Selbstsicherheit an, und manchmal reichte sein bloßer Anblick, um ihre Schwerthand zum Zücken zu bringen. Unwillkürlich streichelte sie den Griff der Waffe.

Es tat gut, Ruperts Schwert wieder an der Hüfte zu spüren.

Nach ihrer Expedition zum Südflügel hatte sie unverzüglich ihr Prachtgewand mit Beinkleidern und einem schlichten Oberteil vertauscht. Die weiten, langen Röcke hatten sich als verdammt hinderlich im Kampf erwiesen. Und wenn die Dämonen ihr Unwesen bereits im Südflügel trieben, war kein Teil der Burg vor ihnen sicher. Deshalb trennte sich Julia tagsüber keine Sekunde lang von ihrer Waffe und hängte den Lederriemen mit der Scheide nachts griffbereit an den Bettpfosten.

Es ist schon ätzend, dachte sie schlecht gelaunt. Als ich noch in der Drachenhöhle lebte, träumte ich nur davon, von einem strahlenden Prinzen gerettet und auf sein Schloss entf ührt zu werden. Und was ist geschehen? Ich wurde von einem Prinzen gerettet, den man beim besten Willen nicht als strahlend bezeichnen kann, und lebe in einem Schloss, aus dem ich lieber heute als morgen abhauen möchte!

»Liebste…«, hörte sie Haralds schmeichelnde Stimme hinter sich.

»Rühr mich nicht an, sonst verknote ich dir die Finger!«

»Ich habe nicht im Entferntesten daran gedacht«, versicherte Harald mit Grabesstimme, und Julias Mundwinkel zuckten. »Warum kannst du mich nicht leiden, Julia? Alle anderen Leute mögen mich.«

Julia drehte sich um und sah ihm in die Augen. »Harald, ich liebe dich nicht. Wann begreifst du das endlich?«

»Leute unseren Standes heiraten nicht aus Liebe.«

»Ich schon.«

»Aber ich werde eines Tages König sein«, erklärte Harald mit einer Miene, als hätte er soeben sein viertes Ass auf den Tisch gelegt.

»Ich will aber keine Königin sein«, übertrumpfte ihn Julia.

»Jede Frau will Königin sein.«

»Da täuschst du dich aber gewaltig!«

»Was willst du dann, verdammt noch mal?«

Julia senkte den Blick. »Ich weiß es nicht.«

Es entstand eine Pause. Harald trat dicht neben sie.

»Du denkst an Rupert, stimmt's?«

»Vielleicht.«

»Er ist der nachgeborene Sohn. Er wird nie den Thron besteigen.«

Julia fuhr herum und funkelte ihn zornig an. »Das ist alles, was in deinem Kopf Platz hat! Und in den Köpfen dieser blöden Hofschranzen! Dann hör mir mal genau zu, Harald!

Mag sein, dass Rupert nicht der Älteste ist. Mag sein, dass er nicht gut genug für die Herrscherkrone ist. Aber er war gut genug, um den Regenbogen-Lauf zu wagen, und er war gut genug, um neben mir und dem Drachen die Dämonen zu vertreiben!« Plötzlich zitterte ihre Stimme, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Irgendwie bekam sie sich wieder in den Griff. Julia wollte Harald nicht die Genugtuung verschaffen, sie weinen zu sehen. Als sie ihn wieder ansah, waren ihre Augen trocken. »Rupert ist der tollste und tapferste Mann, den ich je kennen gelernt habe«, sagte sie mit fester Stimme.

»Ein echter Held…«

Harald zog die Augenbrauen hoch. »Sprechen wir über den gleichen Typen?«

»Er hatte den Mut, noch einmal in den Dunkelwald zu reiten, um den Großen Zauberer zu holen. Ich kann mich nicht entsinnen, dass du dich freiwillig für diese Mission gemeldet hättest.«

»Das wäre bescheuert gewesen«, erklärte Harald. »Logisch betrachtet ist die Geschichte ganz einfach. Wir konnten nicht beide losziehen. Wenn die Sache dumm läuft, kommen wir beide um – und das Waldkönigreich steht ohne Thronerben da! Das würde zumindest Chaos, im schlimmsten Fall jedoch Bürgerkrieg bedeuten. Andererseits war klar, dass einer von uns beiden den Job übernehmen musste. Ein Geringerer als ein Prinz von königlichem Geblüt hatte keine Aussicht, den Großen Zauberer zur Rückkehr zu bewegen. Also kamen nur er oder ich in Frage – und Rupert war entbehrlicher als ich.«