»Er bot sich freiwillig an. Du nicht.«
Harald zuckte mit den Schultern. »Mein Platz ist hier.
Ich muss die Burg gegen ihre Feinde verteidigen. Wenn Rupert den Helden spielen will, ist das seine Entscheidung.
Ich habe wichtigere Dinge zu tun.«
»Was zum Beispiel? Mir überall nachzurennen wie ein geiler Bock?«
»Diese Bemerkung verdient keine Antwort!«
»Rupert müsste seit Monaten zurück sein! Er ist dein Bruder! Empfindest du denn gar nichts für ihn?«
Harald hielt Julias Blicken ruhig stand. »Wenn Rupert stirbt, werde ich ihn rächen.«
»Das ist sicher ein großer Trost für ihn.«
Harald rang sich ein Lächeln ab. »Erwarte nicht zu viel, Julia! Das Hofleben ist der Bruderliebe eher abträglich. Du solltest das am besten wissen. Wie viele deiner Schwestern haben sich für dich eingesetzt, als du zum Tod verurteilt wurdest?«
»Das kannst du nicht vergleichen. Ich war schuldig.«
»Nicht mehr und nicht weniger als wir alle, Julia. Du hattest nur das Pech, erwischt zu werden. Wenn Vater stirbt, könnte zwischen Rupert und mir ein Bürgerkrieg um die Thronfolge entstehen. Das wissen wir seit unserer Kindheit.
Du kannst es dir nicht leisten, für jemanden Gefühle zu entwickeln, den du eines Tages vielleicht töten musst. Aber ich verspreche dir eines, Julia. Falls Rupert tot ist, werde ich nicht ruhen, bis ich herausfinde, wer die Schuld daran trägt.
Und wenn der Große Zauberer selbst die Hand im Spiel hat –
ich werde meinen Bruder rächen.«
Julia warf Harald einen aufmerksamen Blick zu. Seine Stimme klang mit einem Mal kalt und schneidend, ganz anders als der lässige Tonfall, den sie von ihm gewohnt war, und einen flüchtigen Moment lang gruben sich harte Linien in seine sonst so glatten, verbindlichen Züge. Der Moment verging, aber Julia sah ihn weiter forschend an.
»Du glaubst, dass er tot ist, nicht wahr?«, fragte sie ruhig.
Harald nickte langsam. »Wir haben seit fünf Monaten nichts mehr von ihm gehört. Du musst dich damit abfinden, Julia. Er kommt nicht mehr zurück.«
Und dann verstummten sie beide, als ein Wachposten das Vorzimmer betrat, an ihnen vorbei in den Thronsaal eilte und sorgfältig die Doppeltür hinter sich schloss. Harald und Julia sahen sich schweigend an. Nach einer längeren Wartezeit schwang das Portal wieder auf, und der Wachposten verneigte sich vor ihnen.
»Prinz Harald, Prinzessin Julia – der König wünscht Sie zu sprechen!«
»Denk an die Jauchegruben!«, zischte Harald, als er neben Julia den Audienzsaal betrat.
»Wie könnte ich sie vergessen?«
»Dann lächle, verdammt noch mal! Davon wirst du nicht tot umfallen.«
»Bist du ganz sicher?«
Mit hoch erhobenen Häuptern und einem gefrorenen Lächeln kamen sie auf den Thron zu, wo sich Harald verneigte und Julia einen Hofknicks andeutete. Der König betrachtete beide und lachte spöttisch.
»Spart euch das Lächeln, Kinder – damit täuscht ihr weder mich noch sonst jemanden!« Er entließ den Leibwächter mit einer Handbewegung und wartete geduldig, bis sich die Flügeltür hinter ihm geschlossen hatte. König Johann musterte Harald und Julia eine ganze Weile, ohne ein Wort zu sagen.
Während Harald seinen Blick ruhig erwiderte, trat Julia unruhig von einem Fuß auf den anderen und fasste mehrmals nach dem Schwertgriff. Der König hatte eine Entscheidung über ihre Zukunft getroffen; das konnte sie in seinen Zügen lesen.
»Ihr beide kommt überhaupt nicht klar, stimmt's?«, fragte König Johann schließlich.
»Das wird schon noch, Vater«, erwiderte Harald betont zuversichtlich. Julia schniefte.
Der König sah sie an und seufzte gut hörbar. »Prinzessin Julia, wie kann ein Mensch in so kurzer Zeit so viele Scherereien machen?«
»Übung«, sagte Julia knapp. »Was habe ich nun schon wieder angestellt?«
»Nach den jüngsten Hofberichten bauen Sie eine weibliche Kampftruppe auf, in der von Küchenmägden bis zu Hofdamen alle Frauen dieser Burg in Verteidigungstechniken gedrillt werden. Dazu zählt angeblich nicht nur der Umgang mit Schwert und Langbogen, sondern auch die Beherrschung gemeiner Tricks – beispielsweise Tritte gegen besonders empfindliche Stellen, wenn ein Mann bereits am Boden liegt, oder das Einreiben der Schwertklingen mit frischem Dung, damit die Wunden auch ganz bestimmt eitern.«
»Das stimmt«, gab Julia zu. »Einige meiner Damen wissen sich inzwischen gut zu wehren.«
»So ein Unfug!«, fauchte der König. »Frauen führen keine Kriege!«
»Warum nicht?«
König Johann geriet einen Moment lang ins Stammeln.
»Weil sie nun mal nicht zum Kämpfen geschaffen sind –
darum!«
»Finden Sie?«, fragte Julia gedehnt. »Dann schlage ich vor, dass Sie Ihr Schwert nehmen und ein paar Runden gegen mich antreten! Ich gebe Ihnen zwei Treffer Vorsprung und wette, dass ich trotzdem drei zu fünf gewinne!«
»Was grinst du so dämlich?«, fuhr der König Harald an.
»Ich nehme an, dass du sie in diesem Quatsch auch noch bestärkt hast.«
»Nein«, sagte Harald. »Ich erfahre eben erst von dieser neuen Freizeitbeschäftigung. Aber eigentlich finde ich den Gedanken gar nicht so schlecht. Wenn die Dämonen beschließen, die Burg zu stürmen, brauchen wir mehr Verteidiger, als wir haben. Mir ist es gleich, ob mir ein Mann oder eine Frau Rückendeckung gibt, solange sie wissen, wie man eine Waffe schwingt!«
»Hin und wieder hast du einen lichten Moment«, stellte Julia lobend fest. »Leider ziemlich selten, aber es ist besser als nichts.«
König Johann holte tief Luft, hielt sie an und atmete dann langsam aus. Es brachte ihm nicht die erhoffte Gelassenheit.
»Außerdem hörte ich, Prinzessin Julia, dass Sie und Ihre Damen meine Garde mit gezückten Schwertern vertrieben, als sie – völlig zu Recht übrigens – versuchten, Ihren letzten Waffendrill zu unterbinden. Stimmt das?«
»Mehr oder weniger«, erwiderte Julia. »Was kümmern sie sich auch um Dinge, die sie nichts angehen? Und da wir schon beim Thema sind – die Hälfte Ihrer Garde besteht aus echt lausigen Schwertkämpfern! Die Kerle hätten meiner Truppe eine Weile zusehen sollen. Vielleicht hätten sie einiges gelernt.«
Der König schüttelte angesäuert den Kopf. »Ich weiß nicht, warum ich meine Zeit damit vergeude, mit Ihnen zu streiten. Sie haben einfach kein Gefühl dafür, was sich schickt.«
»Überhaupt keines«, bestätigte Julia. »War das alles? Kann ich jetzt gehen?«
»Nein! Ich hatte Sie eigentlich hierher bestellt, um über Ihre bevorstehende Hochzeit mit Harald zu sprechen.«
»Ich heirate ihn nicht.«
»Fangen Sie nicht wieder damit an, Julia! Sie haben in dieser Angelegenheit keine Wahl. Vor zweiundzwanzig Jahren besiegelten Ihr Vater und ich einen Friedensvertrag, der den Grenzkrieg zwischen unseren beiden Ländern für immer beenden sollte. Inhalt dieses Vertrags war unter anderem die Heirat zwischen meinem ältesten Sohn und der jüngsten Tochter des Herzogs, sobald besagte Tochter ihre Volljährigkeit erreicht habe. Sie sind volljährig, Julia, und die Hochzeit wird wie geplant stattfinden. Ich denke nicht daran, wegen Ihrer Sturheit einen neuen Krieg zu riskieren. Das ständige Aufschieben hat jetzt ein Ende, Julia. Ich habe mit dem Burgkaplan gesprochen. Die Trauung wird heute in zwei Wochen vollzogen.«
»In zwei Wochen?« Julia schoss Harald einen wütenden Blick zu, aber der Prinz wirkte ebenso überrumpelt wie sie.