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Julia sah ihn forschend an, gegen ihren Willen beeindruckt von seiner Haltung. Offenbar ließ sich aus der Tatsache, dass jemand ein Verräter war, nicht zwingend folgern, dass er auch ein Schurke oder Feigling war. Harald nahm wortlos einen Schluck von seinem Wein. König Johann starrte eine Weile ins Feuer, und als er wieder sprach, klang seine Stimme fest und ruhig.

»Mein Seneschall wird Sie zu den Bauern bringen. Ihr Anführer ist ein Mann namens Madoc Thorne. Gehorchen Sie seinen Befehlen, als würde ich sie erteilen. Und unterstützen Sie die Leute nach besten Kräften, Lord Vivian! Sie hielten mir selbst dann die Treue, als ich sie im Stich ließ.«

»Wir werden ihr Leben mit dem unseren verteidigen, Sire.

Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«

König Johann schaute vom Feuer auf und studierte ihn lange. »Warum haben Sie mich verraten, Vivian?«

Vivian lächelte. »Ehrgeiz, Sire. Ich wollte unbedingt das Oberkommando über die Truppen.«

»Der einzige Grund?«

»Ja, Sire«, entgegnete Lord Vivian ruhig. »Der einzige erwähnenswerte Grund.«

Harald warf Vivian einen kurzen Blick zu, schwieg aber.

»Nun denn«, sagte König Johann zögernd. »Wir sehen uns wieder, Mylord, wenn alles vorbei ist.«

»Gewiss, Sire«, sagte Lord Vivian. Er verbeugte sich förmlich vor dem König, drehte sich um und ging, ohne Harald und Julia zu beachten. Eine Zeit lang schwiegen alle, in Gedanken verloren.

»Glaubst du wirklich, dass er bei den Bauern bleiben wird?«, fragte Julia schließlich.

»Natürlich«, erwiderte Harald. »Er hat sein Wort gegeben.«

Julia sah ihn nur an.

»Er ist ein seltsamer Kauz, dieser Vivian«, meinte der König. »Ich kenne ihn ein halbes Leben lang, aber ich begreife immer noch nicht, was hinter diesen kalten, leeren Augen vorgeht. Er ist überzeugt davon, dass er nur seinen eigenen Vorteil sieht, und doch denkt er dabei auf seine verdrehte Art immer an das Reich. Er folgt seiner Logik, aber mir ist nicht bekannt, dass er einmal sein Wort gebrochen hätte. Er will wieder in sein Amt eingesetzt werden und Buße tun. Ich habe ihm eben die Gelegenheit gegeben, beides zu verbinden. Es wird ihm schwer fallen, Befehle von Bauern entgegenzunehmen, aber er wird es tun und jeden seiner Mitverschwörer zurechtstutzen, der dies ablehnt. Ein seltsamer Kauz, dieser Vivian – aber immer loyal gegenüber dem Reich und seinen Bedürfnissen.«

»Keine Sorge, Julia«, sagte Harald. »Vivian ist ein eiskalter Bursche, aber er kennt seine Pflichten. Er wird uns kein zweites Mal verraten.«

»Hmm.« Der König zupfte sich nachdenklich am Bart.

»Damit hätten wir zumindest zwei Probleme gelöst. Leider wissen wir immer noch nicht, wo sich das Curtana befindet.«

Julia sah ihn forschend an. »Ich dachte, die Landgrafen hätten es.«

»Offensichtlich nicht. Ich habe meinen Wachen zwar befohlen, die Zimmer der Verräter zu durchsuchen, aber ich glaube nicht, dass sie etwas finden. Blays schwor bis zuletzt, dass er es nicht an sich genommen habe, und allmählich glaube ich ihm.«

»Guillam oder Bedivere könnten es in ihren Besitz gebracht haben.«

»Nicht ohne Blays' Wissen.«

»Ich bin geneigt, dir beizupflichten.« Harald starrte ernüchtert in seinen leeren Becher. »Und das bedeutet, dass es irgendwo in dieser Burg einen Verräter gibt, den wir noch nicht entdeckt haben.«

»Da hast du verdammt Recht«, sagte Julia. »Vermutlich der gleiche Verräter, der die Dämonen in den Südflügel ließ.«

»Das hatte ich völlig vergessen«, gab Harald zu.

»Ich nicht«, empörte sich Julia. »Ich habe immer noch Kratzspuren, die mich daran erinnern.«

»Darüber können wir uns morgen noch den Kopf zerbrechen.« König Johann gab sich keine Mühe, sein Gähnen zu unterdrücken. »Alles in allem war es, glaube ich, ein ziemlich erfolgreicher Tag. Wenn man überlegt, was alles hätte schief gehen können…«

»Das stimmt«, sagte Harald. »Nicht auszudenken, wie viele Menschen dieser Guillam getötet hätte, wenn die Armbrustschützen nicht gewesen wären.«

»Allerdings«, meinte der König. »In diesem Punkt hatte ich Glück. Die Landgrafen hatten mich früher am Abend offen bedroht, aber sofort eingelenkt, als sich die Bauern auf meine Seite stellten. Das machte mich stutzig. Was in aller Welt war mit den Bauern los, dass die Landgrafen so rasch aufgaben? Die Lösung war einfach: Meine Wächter besaßen Schwerter, aber die Bauern hatten Langbogen. Also folgte ich einer Intuition, und das zahlte sich aus!«

Es entstand ein langes, nachdenkliches Schweigen.

»Dreihundertachtundvierzig Verräter«, sagte Johann schließlich, und jegliche Befriedigung war aus seiner Stimme gewichen. »Dreihundertachtundvierzig. Nicht so viele, wie ich befürchtet hatte, aber doch um einige mehr, als ich gehofft hatte.«

»Quäl dich nicht mit Selbstvorwürfen«, ermahnte ihn Harald. »Sie haben das Land verraten, nicht dich. Außerdem unterhielt ich mich auf dem Fest mit den meisten von ihnen.

Glaub mir, du bist ohne sie besser dran!«

»Wie konntest du da überhaupt mitspielen?«, fragte Julia.

»Ein Doppelleben führen, jedem etwas anderes vorlügen…

wie hält man so etwas durch? Warum hast du Darius nicht kurzerhand eingebuchtet, als er zum ersten Mal mit diesem Ansinnen an dich herantrat?«

»Das wollte er«, warf König Johann ein. »Ich überredete ihn, zum Schein mitzumachen und mich auf dem Laufenden zu halten. Das Fest war Haralds Einfall. Ihm verdanken wir es, dass uns alle Ratten auf einmal in die Falle gingen. Jetzt weiß ich, wem ich vertrauen kann und wem nicht. Und ich weiß, dass Harald loyal ist.«

Harald zog lässig die Augenbrauen hoch. »Gab es daran jemals einen Zweifel?«

»Nein«, sagte König Johann liebevoll. »Aber es war schön, dass sich meine Meinung bestätigt hat.«

»Wie wird es jetzt mit den Baronen weitergehen?«, fragte Julia. »Neue Verschwörungen und Umsturzversuche?«

»Das glaube ich nicht«, entgegnete der König mit einem grimmigen Lächeln. »Sie wollten herausfinden, ob sie stärker sind als ich, und jetzt wissen sie es. Sie werden ihre Landgrafen enteignen, die Rebellion öffentlich verurteilen und mir Gott und die Welt versprechen, solange ich meine Truppen nicht abziehe und sie mit den Dämonen allein lasse. Nein, Julia, sie werden es nicht riskieren, das Boot noch einmal zum Schaukeln zu bringen.«

»Dann ist alles vorbei«, sagte Julia. »Die Rebellen haben aufgegeben.«

»Nicht ganz«, meinte Harald. »Wir haben immer noch keine Spur von Lord Darius. Es gelang uns zwar nach einiger Zeit, diese verdammte Geheimtür aufzustemmen, aber alles, was wir dahinter fanden, war ein Tunnel zu den Entlüftungsschächten, und die verzweigen sich endlos. Ich hatte keine Ahnung, dass so viele der Innenwände hohl sind.«

»Das bedeutet: Er könnte überall sein.« Julia sah sich rasch um. Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken.

»Eine Ratte mehr hinter den Tapeten«, sagte Harald achselzuckend. »Wir erwischen ihn, Julia, keine Angst. Die Wachen durchsuchen schon jetzt die Tunnel nach ihm. Ich denke, dass wir ihn spätestens morgen haben.«

»Wie geht es Gregory?«, fragte Julia unvermittelt.

Harald und der König sahen sich verständnislos an.

»Welchem Gregory?«, fragte Harald.

»Cecelias Liebhaber.«

»Ach der.« Harald zog die Stirn kraus. »Hat sich in seiner Zelle erhängt, der arme Kerl.«

»Ich konnte ihn nie leiden«, sagte Julia. »Aber irgendwie tut er mir nun Leid. Wie sich am Ende zeigte, hatte er einen guten Kern. Er hätte sicher etwas Besseres verdient als Darius und Cecelia.«

König Johann zuckte die Achseln. »Ich bin überzeugt davon, dass er auf Befehl der Barone jeden von uns getötet hätte. Er war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.«