Rupert runzelte die Stirn und zog den Umhang enger um die Schultern. Die Kälte setzte sich in seinen Knochen fest, bis er am ganzen Körper zitterte. Es war lange her, seit er etwas anderes als Schnee- und Graupelschauer und den Eishauch des frühen Winters gespürt hatte. Allmählich kam ihm das Gefühl für Wärme abhanden. Er nahm im Augenwinkel eine plötzliche Bewegung wahr und starrte hilflos in die Schwärze. Die Burg kam immer näher, doch ihr Lichtschein reichte nicht weit in den Dunkelwald. Rupert lächelte grimmig. Er musste die Dämonen gar nicht sehen, um zu wissen, dass sie sich ganz in der Nähe befanden, und es war ihm verdammt gleichgültig, wie viele es waren. Falls es zu einem Kampf käme, würden vermutlich weder er noch seine Begleiter die Burg lebend erreichen. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, unbehelligt so nahe an das Burgtor heranzukommen, dass sie die letzten Meter im Laufschritt zurücklegen konnten. Keine große Hoffnung, wie er sich eingestehen musste.
Rupert umkrampfte den Schwertgriff, bis die Finger schmerzten, aber das Zittern in den Händen ließ nicht nach.
Der Dunkelwald mit all seinen Schrecken drückte ihn erbarmungslos nieder, und das Gewicht war keine Spur leichter geworden. Immer, wenn ihn die Pflicht zwang, in die Schwärze zurückzukehren, hoffte er wider alle Vernunft, dass es diesmal besser würde, aber jedes Mal wurde es noch schlimmer. Angst, Panik und eine alles betäubende Verzweiflung sickerten wie Eiswasser in seine Seele, bis er sich zu Boden werfen, ganz klein zusammenrollen und nur noch laut schreien wollte. Aber das durfte er nicht. Das wollte er nicht.
Er hatte seine Männer nicht bis hierher gebracht, um so kurz vor der Heimkehr aufzugeben. Rupert starrte die Burg an, die mit jedem Schritt näher rückte. Fast erreicht. Fast daheim. So verdammt nahe…
Das Einhorn trottete müde neben ihm her, und Rupert tätschelte ihm tröstend den Hals.
»Bald haben wir es geschafft«, murmelte er mit rauer Zärtlichkeit. »Noch einmal richtig ins Zeug legen, und dann können wir alle ausruhen.«
»Das hast du schon so oft gesagt«, erinnerte ihn das Einhorn missmutig. »Lang ausschlafen, in einem warmen, trockenen Stall… Das glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe, und keine Sekunde früher. Ich hoffe nur, dass sie auf der Burg etwas Vernünftiges zu fressen haben. Wochenlang nichts als Gras, das muss man sich mal vorstellen! Ich glaube, ich könnte für eine Hand voll Hafer einen Mord begehen.«
»Sobald wir uns innerhalb der Burgmauern befinden, begrabe ich dich in Hafer!«
»Angesichts unserer gegenwärtigen Lage finde ich diese Bemerkung geschmacklos.«
Rupert und das Einhorn wechselten einen Blick und mussten beide grinsen.
»Alles in allem war es ein komisches Unternehmen«, meinte Rupert.
»Da magst du ausnahmsweise Recht haben.«
»Du weißt, dass wir es vermutlich nicht schaffen.«
»Der Gedanke kam mir flüchtig.«
»Ich möchte mich… bei dir bedanken. Dafür, dass du immer da warst, wenn ich dich brauchte.«
»Ich möchte keines unserer Abenteuer missen. Du bist kein schlechter Kumpel, Rupert. Für einen Menschen, meine ich.«
»Danke für das Kompliment. Sind wir wieder Freunde?«
»Klar. Warum nicht?«
»Super.«
»Das heißt nicht, dass ich auf den versprochenen Hafer verzichte.«
Rupert lachte laut los, und der Champion warf ihm einen fragenden Blick zu. Der Prinz schwang sein Schwert und merkte, dass seine Hand nicht mehr so stark zitterte. Irgendwie hoffte er fast auf einen Angriff der Dämonen, damit er die Sache endlich hinter sich bringen konnte. Wenn er kämpfte, hatte er außerdem keine Zeit, sich zu fürchten. Er atmete tief durch, um ruhiger zu werden, und bereute es sofort, als ihm der Verwesungsgestank des Dunkelwalds voll in die Nase drang. Er schüttelte ärgerlich den Kopf und warf einen Blick über die Schulter. Die Männer marschierten immer noch in dichten Reihen hinter ihm, die Schwerter kampfbereit. Aber dann geriet sein Herzschlag ins Stolpern, als er sah, dass der Zauberer verschwunden war. Einen Moment lang erstarrte er vor Angst, doch dann entspannte er sich mit einem großen Seufzer der Erleichterung, als er nach oben schaute und erkannte, dass der Zauberer gut drei Meter über ihnen schwebte, die Augen geschlossen und die Stirn in tiefe Falten gelegt, als konzentriere er sich auf ein Problem, das niemand außer ihm sah. Seine Hände schienen schwach zu leuchten, und jetzt erst merkte Rupert, dass sein Trupp von einem kleinen Lichtkreis umgeben war. Beruhigt wandte er den Blick wieder nach vorn. Wenigstens waren die magischen Kräfte des Zauberers nicht gänzlich nutzlos.
Die Burg kam stetig näher, in ihrem eigenen Fackelschein fahl schimmernd wie ein gigantischer Steingeist. Auf den Wehrgängen waren keine Wächter zu sehen, aber die Zugbrücke war hochgezogen. Rupert lächelte düster. Wenn sich die Dämonen je zu einem Überfall auf die Burg entschließen sollten, würden sie sich nicht die Mühe machen, die Zugbrücke zu benutzen, sondern geradewegs an den Mauern hinaufklettern. Er erinnerte sich, wie er das letzte Mal in den verlassenen Burghof geritten war, und schüttelte ärgerlich den Kopf. Es konnte doch nicht sein, dass er die ganzen Mühen auf sich genommen hatte, um jetzt zu spät zu kommen! Es konnte nicht sein.
Wo zum Henker bleiben die Dämonen? Worauf warten sie noch?
Die Burg lag dreihundert Meter entfernt. Zweihundert.
Hundert. Und dann waren die Dämonen da.
Rupert fand kaum Zeit, das Schwert zu heben, ehe die Dämonen von allen Seiten auf ihn eindrangen, und dann war um ihn ein Gewirr aus Stahl, Blut und gierigen Klauenhänden. Er schwang die Klinge in kurzen, wilden Bögen, durchtrennte mit sparsamen Hieben Dämonenfleisch, und der Gestank von frischem Dämonenblut verpestete die Luft. Sie kamen aus allen Richtungen; verkrümmte, missgestaltete Wesen mit Fängen und Krallen, mit Augen, in denen nichts als ewiger, unersättlicher Hunger zu erkennen war. Die Erde wölbte sich unter Ruperts Füßen und riss dann langsam auf.
Hunderte von bleichen, schleimigen Tentakeln schnellten aus den Spalten und tasteten mit grausiger Zielstrebigkeit nach den wild um sich schlagenden Männern. Rupert starrte in einen der Risse, während er ein zuckendes Tentakel in Stücke hieb; hunderte von Mäulern mit nadelspitzen Zähnen geiferten ihm entgegen, und ein Riesenauge, größer als ein Wagenrad, verfolgte jede seiner Bewegungen. Rupert zuckte entsetzt zurück. Drei Tentakel wanden sich um einen Soldaten und zerrissen ihn. Das geschah so schnell, dass der Mann nicht einmal Zeit zum Schreien fand. Ein Ding mit Flügeln und pelzigen schwarzen Spinnenbeinen stieß auf einen Gardisten nieder, hackte ihm die Kehle auf und war im Dunkel verschwunden, noch ehe er zu Boden stürzte. Rupert war so erschöpft, dass er keine Schmerzen mehr empfand. Er lehnte sich mit dem Rücken an einen der knorrigen, abgestorbenen Bäume und schwang das Schwert mechanisch hin und her.
Die Angreifer vor ihm waren so dicht gedrängt, dass er sie gar nicht verfehlen konnte.
Und noch mehr Dämonen tauchten auf, manche auf zwei Beinen, andere auf vier, wieder andere auf dem Bauch durch den Moder schlitternd. Im flackernden Lichtschein hatte Rupert den Eindruck, dass viele der Albtraumgestalten im Vorwärtsdrängen ihre Form veränderten und zerflossen wie wässriger Lehm. Seltsam morbide Mischwesen aus Pflanzen und Insekten erhoben sich vor ihm und sanken zusammen, Ekel erregende Monster, die in der Natur niemals lebensfähig gewesen wären. Rupert kämpfte weiter. Für jede Kreatur, die unter seinem Schwert starb, kam eine Woge neuer Gegner.