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Da erkannte der Rächer auch schon die hagere Gestalt und das längliche, jetzt verwirrt und verärgert wirkende Gesicht von Bruder Donatus. Was immer der hochgestellte Mönch um diese Zeit auch im Klostergarten wollte, es war eine unglückliche Fügung, die ihn hergeführt hatte.

Wirklich?

Die Hand des Rächers war über die Lederscheide zum Hirschhorngriff gelangt, und plötzlich erfüllte ihn das unerwartete Auftauchen des Propstes mit tiefer Zufriedenheit.

»Weshalb antwortest du nicht?« fragte Donatus verärgert. »Wie lange soll ich mich in Geduld üb...«

Mitten im Wort brach er ab. Die hohe Stirn kräuselte sich in Falten der Verwunderung.

»Du bist kein Bruder aus dem Stift!«

»Nein«, sagte der Rächer gleichmütig und schlug mit der Linken seine Kapuze zurück. Er stand nur noch eine halbe Armlänge von Donatus entfernt, nah genug, daß der Propst auch in dieser finsteren Nacht das Antlitz des Eindringlings erkennen konnte.

»Ihr seid es, Herr?« krächzte der erstaunte Donatus. »Was sucht Ihr hier, um diese Stunde?«

»Buße«, antwortete der Rächer in düsterem Ton.

»Ihr wollt Buße tun, Herr?«

»Nein, du wirst büßen, Christenhund, du und deine frommen Brüder!«

Bei diesen Worten fuhr die rechte Hand des Rächers vor und jagte die schlanke, zweischneidige Dolchklinge in die Brust des Propstes. Aber der Stahl drang nicht durch, sondern rutschte an einer Rippe ab.

Röchelnd, mit entsetztem Gesichtsausdruck, taumelte Donatus zurück. Die starken Holunderzweige fingen ihn auf. Er preßte die Hände gegen seine Kutte. Die Wunde konnte nur oberflächlich sein, der Schreck war wohl größer als der Schmerz.

Der Mund des Propstes öffnete sich, aber kein Wort kam über seine Lippen. Der Rächer war schneller, und diesmal fand seine Klinge sicher ihr Ziel.

Donatus sackte auf die Knie, während das Blut in wahren Strömen an seinem Leib hinunterrann und die dunkle Kutte tränkte. Bis zu dem Moment, als er bäuchlings vor die Füße des anderen fiel, lag Unverständnis in seinen aufgerissenen Augen.

»Das erste Opfer für die wahren Götter, viele werden noch folgen«, sprach der Rächer befriedigt und bückte sich, um seinen blutigen Stahl an der Mönchskutte zu reinigen. Doch eine Bewegung, die er aus den Augenwinkeln wahrnahm, ließ ihn erstarren.

Er blickte auf und sah in ein rundes, fleischiges Gesicht, das ebenso verwirrt dreinsah wie zuvor der Propst. Die von langen braunen Haarsträhnen umspielten Wangen waren gerötet. Vergebens versuchte das dralle Mädchen, seinen üppigen Körper mit dem einfachen Kleid zu bedecken. Sie hatte das Kleid nicht an, sondern drückte es nur gegen seinen splitternackten Leib. Jetzt wußte der Rächer, welches ganz und gar nicht fromme Verlangen den Propst aus dem Schlafsaal getrieben hatte.

»Das also ist eure tiefe Frömmigkeit, Christenpack!« flüsterte er.

Der Blick des Mädchens kreuzte sich mit seinem. Eine Magd, wie es aussah, derb und willig. Der Rächer kannte das Geschöpf nicht. Aber das Mädchen mochte ihn kennen, so wie auch der Propst ihn erkannt hatte. Das zitternde Ding durfte nicht erzählen, was sich hier zugetragen hatte!

Der Rächer richtete sich zu seiner ganzen beeindruckenden Größe auf. Des Mädchens Blick glitt an ihm entlang und blieb an der Rechten mit der blutigen Klinge haften. Aus Verwirrung wurde Erkenntnis, was die Angst in ihrem rosigen Gesicht noch verstärkte.

»Bitte, Herr, nicht!« flehte die Magd und stand wie gelähmt unter dem Holunder, während der Rächer auf sie zuschritt. »Ich habe nichts Böses getan!«

»Glaubst du an den Christengott?« fragte der Rächer leise. »Glaubst du daran, daß du nach deinem Tod in den Himmel hinauffährst?«

Das Mädchen antwortete zögernd: »Ich... weiß nicht...«

»Gleich wirst du es wissen!«

Wieder zuckte der Stahl vor und fuhr mühelos durch die Kehle der Unbekannten. Tot sank sie vor die Füße des Rächers. Dann steckte er die Klinge zurück ins Leder, zog die Kapuze über und setzte seinen Weg zu den Stallungen fort, ohne die beiden Toten noch eines Blickes zu würdigen. Sie kümmerten ihn nicht. Der Propst als Anbeter des Christengottes war sein Feind gewesen, und das Mädchen war ohne jede Bedeutung.

Der Viehstall war zwar verriegelt, aber nur gegen den Ausbruch der Tiere, nicht zum Schutz gegen Eindringlinge. Mühelos verschaffte der Rächer sich Einlaß und blieb vor einem Strohkasten stehen. Aus einem Beutel an seinem Ledergürtel nahm er einen Feuerstein und einen handlangen Eisenstab, mit dem er über der Kiste auf den Flint schlug, immer und immer wieder.

Winzige Funken sprühten ins Stroh, endlich qualmte es, dann schlug Feuer hoch, leckte mit gierigen Zungen nach seinen Händen. Innerhalb weniger Augenblicke verwandelte sich der große Strohkästen in eine einzige Lohe.

»So ist es gut«, seufzte der Rächer.

Er packte brennende Strohbündel und warf sie in den Stall hinein.

Der Hunger der Flammen kannte keine Grenzen. Je stärker sie sich ausbreiteten, desto mehr verschlangen sie, bald nicht mehr nur Stroh und Holz, sondern auch lebendes Fleisch. Die Schreie der Kühe, Esel und Ziegen erweichten das Feuer ebensowenig wie den Rächer, der keine Gnade kannte.

Er lief hinaus, an den beiden Leichen vorbei, und erkletterte am Seil die Vorratskammer. Auf dem Dach zog er das Seil ein, befestigte es an der anderen Seite und stieg hinunter.

Wieder blieb er vor den Fenstern des Dormitoriums stehen und lauschte auf die Schlafgeräusche der Christenmönche. Ihr friedlicher Schlummer würde nicht mehr lange währen...

In der folgenden Nacht hatten sich die Wolken verzogen. Mond und Sterne warfen ihr blaßgelbes Licht auf das Land am Niederrhein, doch hier im Königswald herrschten die Schatten. Der Rächer lächelte, als er an das verzweifelte Läuten der Stiftskirche dachte und an das vergebliche Bemühen der Mönche, die Flammen zu löschen. Auch die zu Hilfe eilenden Kaufleute aus der nahen Siedlung brachten keine Rettung. Sie kamen viel zu spät. Die Flammen fraßen den Viehstall, die anliegenden Geräteschuppen, und griffen dann auch auf das Gebälk der steinernen Gebäude über. Mönche, Kaufleute und Knechte arbeiteten die ganze Nacht hindurch, schütteten Eimer auf Eimer ins Flammenmeer. Der Feuerschlund trank das Wasser voller Gier.

Der Rächer stand nicht weit entfernt unter dem Vordach eines Lagerhauses, lauschte dem Glockengeläut, den Schreien und dem Prasseln der Flammen, deren zuckender Schein die Nacht zum Tage werden ließ. Am Morgen standen nur noch verkohlte Mauern und der verfluchte Glockenturm. Es hieß, er sei nicht mehr zu benutzen und könne jeden Augenblick zusammenstürzen.

Sollte er doch einstürzen! Der Rächer würde ein Freudenlied darauf singen.

Er war längst abgestiegen und führte den Rapphengst am Zügel durchs dichte Unterholz. Die Waldgeister eroberten das einst vom Menschen gerodete Land schnell zurück. Warum auch nicht, die Menschen hatten es aufgegeben, als sie ihre Götter verrieten. Und die Burg, einst Stammsitz mächtiger Könige, war nur noch eine verfallene Ruine.

Im Mondlicht schimmerten die bröckelnden Mauern, Zinnen und Türme bleich wie die Knochen eines riesigen Tieres. Die eines jener Drachen vielleicht, die ebenso verschwunden schienen wie die alten Götter.

Der Rächer blieb am Rand der einst viel größeren Lichtung stehen und ließ den Anblick auf sich wirken.

Er erfüllte ihn mit Stolz auf die Vorfahren, die diese Burg errichtet hatten, im Glauben an die Götter.

Gleichzeitig überfiel ihn Trauer über die neue Zeit, die angebrochen war und die Herzen der Menschen verändert hatte. Sie glaubten jetzt an einen Gott der Liebe und Versöhnung. Doch sie führten noch immer Kriege gegeneinander. Spürten sie nicht, daß dieser angebliche Liebesgott sie nur benutzte, um seine Macht zu stärken und seinen falschen Ruhm in immer weitere Gefilde zu tragen?