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Siegfried hatte das Gefühl, ein großer Schwindel erfasse ihn und lasse seine Gedanken tanzen. So viele Dinge schienen nicht so zu sein, wie es auf den ersten Blick aussah. »Wenn Ihr soviel wißt, Oheim, erklärt mir doch eins: Weshalb hat Reinhold mir das nicht gesagt, als er mir vom Runenschwert erzählte und mir half, aus dem zerbrochenen Schwert wieder ein ganzes zu machen?«

»Bei Wodan, Donar und der ganzen Götterschar, hast du das wirklich noch nicht begriffen? Hast du dich nicht gefragt, wie Harko wissen konnte, daß du auf der Haselwiese warst?«

»Nein«, gestand Siegfried ein. »So vieles geschah in kurzer Zeit...«

»Dann frage dich jetzt!«

»Einer lügt«, sprach Siegfried laut seine Gedanken aus. »Entweder Ihr, Grimbert, oder Reinhold.«

»Richtig erkannt, mein Sohn. Einer von uns hat dich belogen und betrogen, um dich für seine Zwecke auszunutzen.«

»Nein«, sagte Siegfried und schüttelte heftig den Kopf. Alles in ihm wehrte sich gegen die Erkenntnis, all die Jahre getäuscht worden zu sein. »Ihr seid der Lügner, Grimbert! Reinhold kenne ich viel zu gut. Ihr seid es, der mich betrügen will!«

»So? Und aus welchem Grund?«

»Warum sollte Reinhold es tun?«

»Vielleicht wird er dir die Antwort selbst geben«, sagte Grimbert und sprang auf. Er zog den Wollvorhang vor dem Fenster ein wenig zur Seite. Weit genug, um nach draußen zu sehen. Geschrei klang dumpf zu den beiden Menschen in der kleinen Kammer herauf. Laute Schritte vieler Menschen, harte Stiefeltritte. Das Klirren von Waffen.

Grimbert stieß einen Fluch aus. »Sie sind schon an der Treppe! Wirst du mit mir oder gegen mich kämpfen, Siegfried?«

»Mit Euch zu kämpfen heißt, gegen Reinhold zu sein.«

Grimbert nickte und zog ein Schwert mit schmaler Klinge. »Gegen das Böse!«

Schwere, eilige Schritte erklangen auf der Treppe. Die Tür flog auf, und Bewaffnete stürmten herein. Sie trugen die Rüstungen niederländischer Soldaten.

»Bleibt stehen!« rief Grimbert und nannte seinen Namen. »Ich bin der Bruder der Königin. Ihr habt mir zu gehorchen!«

»Wir gehorchen nur Graf Reinhold!« erwiderte einer der Eindringlinge, über dessen rechte Wange eine fingerlange Narbe lief. »Und der Graf hat befohlen, euch Galgenvögel gefangenzunehmen.«

Siegfried postierte sich vor den Soldaten: »Erkennt Ihr mich etwa nicht?«

»Natürlich erkenne ich dich, Hochstapler. Du bist der dreiste Kerl, der in unsere Stadt gekommen ist, um sich für den Prinzen auszugeben.«

»Jetzt begreife ich«, knurrte Grimbert. »Der schlaue Fuchs Reinhold hat uns als Hochstapler angeschwärzt!«

»Ihr gebt es also zu?« fragte der Soldat mit der Narbe. »Ist schon ein dreistes Stück von euch friesischen Agenten, daß ihr euch als Bruder und Sohn unserer Königin ausgeben wollt, um in Xanten Verwirrung zu stiften!«

»Aber ich bin der Prinz!« schrie Siegfried.

Der Narbige lachte schrill. »Der Prinz würde nicht in solchen Lumpen herumlaufen und in so einer üblen Spelunke verkehren!«

Der Soldat war einen Moment unaufmerksam, und Grimbert, der alte Kämpe, wußte den Vorteil für sich zu nutzen. Er zog mit einer schnellen Bewegung seine Klinge und bohrte sie in das Gesicht seines Kontrahenten. Als der Soldat auf die Knie sank, hieb Grimbert schon auf die nächsten Gegner ein und drängte zwei Mann zugleich in die Ecke. Er mochte gealtert sein, aber er war noch immer ein furchteinflößender Recke.

Siegfried hatte die Wahrheit erkannt. So schwer es auch fiel, alles sprach für Grimbert - und gegen Reinhold.

Der Prinz zog das Runenschwert und durchstieß die Halsberge eines Soldaten. Dem nächsten zerfetzte er Brünne und Leib. Ein weiterer Soldat zog sich zur Tür zurück und hob schützend seinen länglichen Schild. Siegfrieds Schlag spaltete ihn in zwei Hälften. Mit einem entsetzten Schrei ließ der Mann den Schild fallen und lief so hastig zur Treppe, daß er stolperte und in die Arme seiner Kameraden fiel. Er riß mehrere Männer mit, als er in den Hof stürzte.

»Grimbert, die Treppe ist frei!« rief Siegfried.

Mit einer schnellen, geschickten Drehung brachte sich Grimbert in den Rücken seiner beiden Gegner. Einem hieb er den Schwertknauf zwischen die Schultern, der andere erhielt einen Tritt in den Rücken. Während die beiden stöhnend zu Boden gingen, lief Grimbert auch schon aus der Kammer und folgte seinem Neffen die Treppe hinunter.

Aus allen Türen stürzten die Soldaten. Reinhold hatte offenbar seine ganze Armee aufgeboten. Siegfried und Grimbert ließen ihre Klingen kreisen, um sich den Weg freizukämpfen. Aber für einen gefällten Gegner tauchten zwei neue auf.

»Das Schwert beiseite, Rasender!« hörte Siegfried eine schneidende Stimme. »Sonst stirbt der Alte!«

Er wandte den Kopf und sah Grimbert waffenlos am Boden liegen, niedergehalten von einem halben Dutzend Soldaten. Einer drückte seinen Dolch gegen Grimberts Kehle.

Sollte Siegfried das Runenschwert sprechen lassen, um seinen Oheim zu befreien? Doch falls er zu langsam war, würde Grimbert sterben.

Diese bittere Erkenntnis zwang Siegfried, dem Soldaten zu gehorchen. Er ließ das Götterschwert sinken, und ein Soldat riß es aus seiner Hand. Ein anderer nahm das kostbare Wehrgehänge an sich. Als seine Hände brutal auf den Rücken gerissen wurden, um sie dort zu binden, wollte Siegfried protestieren. Er hatte kaum den Mund aufgemacht, da erhielt er einen Schlag gegen die Stirn. Er sah einen Schwertknauf in einer haarigen Hand, dann nur noch Schwärze, dunkler als die Nacht...

Übelkeit drohte ihn zu übermannen. Mit jedem Schaukeln, jedem Schlingern stieg sie in ihm hoch. Im ersten Augenblick meinte Siegfried, auf einem Pferd zu liegen oder auf einem Maultier. Aber er lag mit der Seite auf hartem, splittrigem Holz, die Hände so fest auf den Rücken gebunden, daß es schmerzte. Unablässig dieses Schaukeln. Er würgte, doch er brachte nichts aus sich heraus.

»Tu dir keinen Zwang an, Siegfried. Wir sind hier nicht in feiner Gesellschaft.« Die Stimme drang aus der Dunkelheit, ganz in seiner Nähe.

»Grimbert?« fragte er zögernd.

»Ja«, knurrte die Stimme mürrisch. »Der Tor Grimbert liegt ganz dicht neben dir.«

»Warum nennt Ihr Euch einen Tor?«

»Weil wir dem Verräter Reinhold in die Falle gegangen sind, der kluge Grimbert und der tapfere Siegfried. Du warst der Lockvogel für mich und ich der deine. Und jetzt hat er uns beide!«

»Wo sind wir?«

»Im Frachtraum eines Schiffes. Da wir keinen Riemenschlag hören und trotzdem rasch vorankommen, wie du an dem starken Schaukeln merkst, wird die Fahrt wohl flußabwärts gehen. Ich kam wieder zu mir, als mich Reinholds Schergen wie einen Sack Rüben unter Deck warfen.«

»Flußabwärts«, sagte Siegfried. »Da liegt die Schwertburg.«

»Daran dachte ich auch schon. Zumindest leben wir noch, und das bedeutet Hoffnung!«

Siegfried versuchte vergeblich, sich zu bewegen. Er war mit mehreren Riemen oder Stricken zusammengeschnürt. »Hoffnung worauf?«

»Darauf, Reinhold und damit das Böse zu besiegen.«

»Eure Zuversicht scheint größer als Eure Klarheit, was die Einschätzung unserer Lage betrifft, Oheim.«

»Ja, leider. Wäre ich Reinhold schon früher auf die Spur gekommen, wäre Siegmund und mir vieles erspart geblieben, und wir wären nicht zu ruhelosen Wanderern geworden.«

»Wieso nennt Ihr meinen Vater einen Wanderer?«

»Nur eine unüberlegte Bemerkung«, erwiderte Grimbert schnell.

Siegfried spürte, wie die Erregung in ihm aufstieg. »Was ist mit meinem Vater?«

»Er büßt für seine Sünden.«

»Ihr meint, im Fegefeuer?«

»Ich meine auf dieser Welt, wenn sie auch manchmal dem Fegefeuer ähnelt.«

»Das... das bedeutet...« Es war so ungeheuerlich, daß die Worte nicht über Siegfrieds Lippen dringen wollten.